Der plötzliche Klang der Türklingel ließ mich erschrecken, sodass ich beinahe eine leere Pappschachtel fallen gelassen hätte. Niemand hatte sich angekündigt. Schon gar nicht hier, in diesem Haus, dessen Existenz fast niemand kannte.
Auf der Veranda stand Tamara Ivanovna, meine Schwiegermutter. In ihrem gewohnten grauen Mantel, der alle Schattierungen des petersburger Himmels aufgenommen zu haben schien, betrachtete sie erst mich, dann die Fassade des Hauses.
„Hallo, Anja“, begrüßte sie mich mit einer Stimme, die weder Überraschung noch Wärme verriet, sondern nur eine kühle, prüfende Neugier.
„Hallo, Tamara Ivanovna. Und wie geht es Ihnen?“
„Igor hat mir erzählt, du willst ihn überraschen. Ich dachte, ich helfe mal mit“, erklärte sie, bevor sie ohne Einladung eintrat.
Ihrem Blick entging nichts: die weite Diele, die großen Panorama-Fenster und die helle Eichenholztreppe, die nach oben führte.
Ich schloss schweigend die Tür. Die Überraschung, die ich monatelang für meinen Mann geplant hatte, gehörte nun nicht mehr mir allein.
„Ganz schön“, bemerkte sie, während sie ihren Mantel auszog. „Schlicht, aber geschmackvoll. Wahrscheinlich bis über beide Ohren mit Hypothek belastet? Igor kann ja nicht sparen.“
Sie äußerte dies so, als handle es sich um einen medizinischen Befund – als könne ihr Sohn keine finanzielle Verantwortung übernehmen, ohne ihre Erlaubnis.
Ich schwieg und hängte ihren Mantel in den leeren Schrank. Ihr Parfum, scharf und schwer, breitete sich sofort im Raum aus, als wolle sie ihr Revier markieren.
„Zeig mal, was ihr hier alles besorgt habt“, forderte sie, als sie ins Wohnzimmer ging.
Ich folgte ihr und fühlte mich wie eine Fremde im eigenen Haus, das ich selbst gekauft hatte. Jedes einzelne Detail, vom Farbton des Parketts bis hin zum Schwung der Türklinken, hatte ich ausgesucht. Und all das mit Geld, von dem Tamara Ivanovna nie erfahren durfte.
Vierzig Millionen Rubel – eine Summe, die ich kaum fassen konnte. Ein Jahr voller schlafloser Nächte, Dutzende gescheiterter Tests und eine geniale Codeschnipsel, die alles veränderte.
Das geheime Projekt, das ich leitete, war verkauft worden. Und ich, „die arme Waise Anjetka“, wie mich meine Schwiegermutter bei Familienessen gern nannte, war über Nacht reicher als die gesamte Familie ihres Sohnes.
„Die Küche ist groß, das ist immerhin was“, zischte sie, während sie mit dem Finger über die makellose Kunststein-Arbeitsplatte strich. „Endlich Platz, um sich auszubreiten. Früher konntet ihr nicht mal eine Pfanne abstellen.”
Jedes ihrer Worte war ein kleiner Stachel, an den ich mich nach fünf Jahren Ehe hätte gewöhnen sollen. Doch hier, in meinem eigenen Heim, trafen sie viel schärfer.
Wir gingen hinauf in den zweiten Stock: Schlafzimmer, Arbeitszimmer und das Zimmer für unser zukünftiges Kind. Bei jeder geöffneten Tür wurde ihr Gesicht dunkler. Das Lächeln, mit dem sie gekommen war, war längst einer kaum verborgenen Verärgerung gewichen.
Sie konnte es nicht verstehen. Ihr Weltbild, in dem ihr Sohn eine arme Frau ohne Mitgift heiratete, begann zu bröckeln. Dieses Haus passte nicht in ihr Schema. Es war zu groß, zu kostspielig, zu real.
Wir gingen zurück ins Wohnzimmer. Tamara Ivanovna blieb am großen Fenster stehen, das auf den Garten blickte, in dem schon frisches grünes Gras wuchs.
Sie starrte lange auf die Bäume, die gepflegten Wege und den kleinen Teich in der Ecke des Grundstücks. Dann drehte sie sich langsam um und bohrte ihren Blick in mich. Ohne jede höfliche Fassade.
„Du bist doch arm – wo hast du so ein Haus her?“ Ihre Frage lag giftig und schwer in der Luft, ähnlich wie ihr Parfum.
Ich holte tief Luft und kämpfte gegen das Zittern in meinen Händen an. Ruhe. Nur Ruhe.
„Warum sagen Sie das, Tamara Ivanovna?“ Meine Stimme war ruhig, vielleicht sogar zu gelassen.
Sie lachte kurz, bitter und scharf.
„Wie sollte ich es sonst ausdrücken? Ich kenne Igors Einkommen. Und dein bisschen Geld, das du mit deinen Bildern im Internet verdienst. Ihr hättet bis zu meiner Rente sparen müssen, um eine Anzahlung für so ein Schloss zu leisten. Also erzähl mir keinen Unsinn.“
Sie trat näher.
„Ist das etwa verbotenes Geld? Hat Igor sich da irgendwo reingesteigert? Sag’s mir!“
Zum ersten Mal in all den Jahren verspürte ich keine Angst, sondern eisige, makellose Wut.
Sie nahm keine Beleidigung für sich in Anspruch. Stattdessen ließ sie ihren Sohn bloßstellen, indem sie ihm sein Recht auf Erfolg absprach und mein Schaffen, meine schlaflosen Nächte und meinen Traum mit Füßen trat.
„Dieses Haus wurde mit legal erworbenem Geld gekauft“, erklärte ich bestimmt. „Es hat nichts mit Kriminalität zu tun.“
„Und womit dann? Mit einem reichen Liebhaber?“ spuckte sie heraus.
Ich ballte die Fäuste so fest, dass meine Nägel in die Handflächen schnitten. Hier war der Tiefpunkt erreicht, den sie so leicht fanden.
„Ist Ihnen mal eingefallen, dass ich das Geld selbst verdient habe?“
Tamara Ivanovna brach in ein lautes, schallendes Lachen aus.
„Du? Anjetka? Mädchen, bring mich nicht zum Lachen. Womit? Postkarten verkaufen? Das Einzige, was du kannst, ist einen guten Ehemann zu finden. Und das hast du gemacht. Aber selbst mein Sohn könnte das nicht alleine stemmen.“
Sie verstummte abrupt und wurde wieder ernst.
„Gut. Wenn du drin steckst, musst du auch wissen, wie du wieder rauskommst. Das Haus muss sofort verkauft werden. Ehe jemand zu Igor kommt. Schulden abbauen und den Rest in etwas Einfacheres investieren. Näher bei uns. Dann hab ich Ruhe und weiß, dass ihr unter Beobachtung steht.“
Sie sprach, als sei alles bereits beschlossen. Als wäre dieses Haus ihr Problem, das sie gnädig lösen werde.
„Niemand verkauft hier irgendwas“, erwiderte ich fast atemlos. „Dieses Haus gehört mir.“
„Was meinst du mit ‘gehört dir’?“ fragte sie mit zusammengepressten Lippen.
„Ganz genau das, was ich gesagt habe. Es steht auf meinen Namen. Und ich lege fest, was damit geschieht.“
Tamara Ivanovna erstarrte förmlich, als hätte jemand sie in Stein verwandelt. Sie schien den Atem anzuhalten, während ihr Gehirn verzweifelt versuchte, eine Information zu verarbeiten, die nicht in ihr vertrautes Bild passte.
„Dein… Geld?“ flüsterte sie. „Welches Geld denn?“
In diesem Augenblick öffnete sich die Haustür, und Igor stand auf der Schwelle. Mit einem Blumenstrauß und einem leicht verlegenen Lächeln im Gesicht.
„Überraschung!“ rief er, verstummte jedoch, als er uns sah.
Sein Blick wechselte von meinem blassen Gesicht zu dem purpurnen Antlitz seiner Mutter. Das Lächeln verglitt.
„Was geht hier vor? Mama? Anja?“
Das Bouquet wirkte fehl am Platz und traurig inmitten der angespannten Atmosphäre.
„Mama glaubt, du hättest mit Kriminalität zu tun, und ich hätte einen reichen Liebhaber“, erklärte ich ruhig und sah Igor direkt an. „Weil wir uns so ein Haus nicht leisten konnten. Wir sind arm.“
Tamara Ivanovna zog sich zurück und ergriff sofort die Hand ihres Sohnes.
„Igor, Junge, sie ist nicht sie selbst! Dieses Haus… sie hat etwas getan! Ich spüre es!“
Verwirrt sah Igor zuerst seine Mutter, dann mich an. Er kannte ihr zornverzerrtes Gesicht und mein überraschend gelassenes.
„Anja, was soll das alles bedeuten?“ fragte er leise, nur mich ansprechend.
Tief atmete ich ein. Der Moment war gekommen.
„Es ist eine Überraschung, ja. Aber nicht die, die du erwartet hast. Dieses Haus gehört uns. Genauer gesagt mir. Ich habe es gekauft.“
„Gekauft?“ Igor runzelte die Stirn. „Wie?“
„Ich habe mein Projekt verkauft. An jenes, an dem ich nachts im vergangenen Jahr gearbeitet habe. Ein großes IT-Unternehmen hat es übernommen.“
Ich nannte die Summe. Igor schwieg, seine Augen wurden groß. Weder wütend noch misstrauisch, sondern schlicht erstaunt. Vorsichtig stellte er die Blumen auf die nächste Kiste.
„Vierzig…“ flüsterte er. „Du meinst das Programm für Datenanalyse?“
„Genau jenes Programm.“
Tamara Ivanovna blickte uns ungläubig an.
„Welches Projekt? Welches Programm? Igor, sie täuscht dich! Sie will dich hereinlegen!“
Doch Igor schenkte ihr keine Beachtung mehr. Er ging auf mich zu, nahm meine Hände.
„Anj… warum hast du mir nichts gesagt?“
„Ich wollte dich überraschen“, lächelte ich schief. „Ich hatte mir vorgestellt, dass du kommst, ich dir die Schlüssel überreiche und sage: ‘Willkommen zu Hause.’ Ohne Drama.“
In seinen Augen entstand etwas Neues: Bewunderung und Stolz. Plötzlich lachte er, zuerst leise, dann lauter. Umarmte mich und drehte mich in der Diele herum.
„Gott, Anja! Du bist unglaublich! Einfach unglaublich!“
Als er mich wieder auf die Beine stellte, hatte sich Tamara Ivanovna bereits gesammelt. Ihr Gesicht nahm einen überheblichen Ausdruck an.
„Na gut“, zischte sie. „Glückwunsch. Aber mit so viel Geld müsst ihr auch die Familienprobleme lösen: Papa’s Auto, Lenkas Hypothek…“
Ich wich Igor zurück. Meine Ruhe wich einer eisernen Entschlossenheit.
- Keine Autos, keine Hypotheken.
- Das Geld ist mein Verdienst.
- Nur ich entscheide, was damit geschieht.
„Nein.“
„Was heißt hier ‘nein’?“ stammelte meine Schwiegermutter.
„Keine Autos, keine Hypotheken. Das Geld habe ich mit harter Arbeit verdient. Und ich bestimme darüber.“
„Wie kannst du es wagen! Das ist auch Igors Geld! Er ist dein Mann!“
„Mama, halt den Mund!“ sagte Igor plötzlich bestimmt. „Das ist Anjas Geld. Sie hat es verdient. Und ich bin stolz auf sie.“
Er wandte sich zu mir.
„Dieses Haus ist deins. Deine Regeln.“
Ich sah zu Tamara Ivanovna. Zum ersten Mal hatte ich keine Angst vor ihr. Stattdessen sah ich eine unglückliche, eifersüchtige Frau, keine skrupellose Manipulatorin mehr.
„Ich glaube, es ist Zeit zu gehen, Tamara Ivanovna“, sagte ich ruhig. „Mein Mann und ich wollen unser Einweihungsfest feiern.“
Sie öffnete den Mund, um zu antworten, doch als sie meinen Blick erfasste und Igor neben mir sah, presste sie die Lippen zusammen und schwieg. Sie griff ihren Mantel, warf mir einen Blick voller unverblümten Hasses zu und stürmte hinaus, drückte die Tür heftig zu.
Igor schloss ab, blickte mich an und lächelte erneut.
„Na, Hausherrin? Zeigst du mir deinen Herrschaftsbereich?“
Ich lachte – zum ersten Mal seit Jahren ein ungemein unbeschwertes, echtes Lachen voller Glück.
Zusammenfassung: Der unerwartete Besuch meiner Schwiegermutter brachte uns an den Rand eines Konflikts. Doch am Ende enthüllte ich das Geheimnis meines selbst erarbeiteten Erfolges: den Kauf unseres Hauses durch den Verkauf meines IT-Projekts. Trotz anfänglicher Ablehnung etablierte sich ein neues Gleichgewicht, basierend auf Respekt und Anerkennung meines Eigenverdienstes.