Igor ließ seine Gabel fallen. Das metallische Geräusch erklang auf dem Teller, begleitet von einem fettigen Spurenfilm Soße auf dem weißen Porzellan.
Doch er nahm es kaum wahr. Sein Blick war fest auf das Display seines Handys gerichtet, während ein fremdartiges, leeres Lächeln seine Lippen umspielte und regungslos verharrte.
„Gibt es etwas Spannendes?“ fragte ich, bemüht, völlig lässig zu klingen.
„Hm? Ach, nur Arbeit“, antwortete er widerwillig und legte das Telefon zur Seite. „Immer diese Berichte, Zahlen… ich habe die Nase voll davon.“
Er seufzte, als trüge er die Last der Welt auf seinen Schultern. Ich betrachtete ihn und erinnerte mich daran, wie sehr er sich im letzten Jahr verändert hatte. Unserem gemeinsamen Jahr.
Als wir heirateten, war er anders. Oder vielleicht wollte ich ihn damals einfach nur anders sehen.
Er sprach über die Liebe, davon, dass es egal sei, wer ich bin oder wie viel ich verdiene.
Und ich, eine einfache Buchhalterin bei einer kleinen Firma namens „Horns and Hooves“, glaubte ihm. Ich wollte einfach daran glauben.
„Weißt du, die Frau unseres Vertriebsleiters hat sich gerade ein neues Auto gekauft“, sagte er unvermittelt.
„Einfach so. Wollte es wohl haben“, Igor stach mit einem verächtlichen Blick in sein kaltes Hähnchen.
„Wann waren wir eigentlich das letzte Mal am Meer?“
Ich schwieg. Diese Frage war keine Einladung zur Antwort, sondern ein Seitenhieb gegen mich. Gegen uns.
Unser kleines, gemütliches Apartment am Stadtrand — das er nur „Vogelhaus“ nannte.
In letzter Zeit waren solche Gespräche unser Alltag geworden. Er redete zunehmend über Geld.
Das Geld anderer Leute. Über das glanzvolle Leben da draußen, jenseits der Fenster unseres „Vogelhauses“, ein Leben, das mit uns nichts zu tun hatte.
„Heute habe ich einige wirklich interessante Leute getroffen“, berichtete er plötzlich, seine Augen entflammten mit dem gleichen Feuer, das ich einst für Liebe hielt. „Ernsthafte Investoren.“
„Diese Projekte, welche Möglichkeiten!“
Er sprach lebhaft weiter. Besonders fasziniert war er von einer Person – Karina. Klug, ehrgeizig, erfolgreich. Lebt allein und hat alles selbst aufgebaut.
„Sie hat eine Wohnung mitten in der Stadt, kannst du dir das vorstellen? Panoramafenster, ein Blick über die ganze Stadt. Designer-Interieur, italienische Möbel…“ Mit den Augen verdrehend genoss er jedes Wort.
Ich hörte zu, während in mir langsam alles gefror.
Das Appartement im ‚Aquamarine‘-Komplex beschrieb er mit solch bewundernder Begeisterung, dass ich es sofort erkannte. Natürlich kannte ich es.
Denn ich war diejenige, die es an diese Karina vermietet hatte.
„Wir sind Lichtjahre davon entfernt, du weißt?“, sagte er bitter und blickte in unserer Küche umher. „Manchmal habe ich das Gefühl, in dieser Einfachheit zu ertrinken. In dieser Hoffnungslosigkeit.“
Sein Blick traf mich. Wärme suchte ich vergeblich.
Stattdessen war sein Blick kalt und kalkulierend. Als bewertete er meinen Wert und war mit dem Ergebnis nicht zufrieden.
„Ist das alles?“ fragte er leise, fast flüsternd und starrte durch mich hindurch. „Ist das wirklich unser Leben?“
Das Experiment, das ich vor einem Jahr begann, war grandios gescheitert.
Meine naive Vorstellung, geliebt zu werden – nicht für das Vermögen meines Vaters, sondern für mein wahres Ich – zerbrach an der gnadenlosen Mauer menschlicher Gier.
Igor entpuppte sich als jemand anderes, als der, der er vorgab zu sein. Oder schlimmer: Er war genau der, der er immer war. Ich hatte es nur nicht bemerkt.
Er kam immer später nach Hause.
Er roch nach fremdem, teurem Parfüm – ich erkannte das Aroma, erinnerte mich daran.
Mit ihm kam Kälte und Distanziertheit.
Unser „Vogelhaus“ schien ihn inzwischen geradezu physisch zu ekeln.
„Könnten wir nicht einfach mal eine anständige Kaffeemaschine kaufen?“ machte er morgens ein finsteres Gesicht und sah auf unsere alte Filterkaffeemaschine.
„Karinas Maschine mahlt die Bohnen selbst und bereitet zehn verschiedene Sorten zu. Wir haben während eines Geschäftstreffens bei ihr darüber gesprochen.“
„Unsere Maschine macht auch Kaffee“, antwortete ich ruhig, obwohl ich innerlich zusammenzog.
Ich hätte ein Café kaufen können. Eine ganze Kette sogar. Doch ich spielte weiter meine Rolle.
„Das da macht keinen Kaffee, sondern braunen Kaffeesatz“, schnappte er gereizt.
Karina wurde zum Maßstab für alles. Sie trug Designer-Kleidung.
Karina speiste in mit Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants. Karina fuhr das neueste Audi-Modell.
Karina, Karina, Karina… Er sprach von ihr wie von einer Gottheit, die herabgestiegen sei, um ihm, dem erbärmlichen Sterblichen, den wahren Erfolg zu zeigen.
Eines Abends hörte ich ihn in einem anderen Zimmer telefonieren. Sein Lachen klang ungezwungen und glücklich – so, wie ich es schon lange nicht mehr gehört hatte.
„Nein, natürlich weiß sie nichts“, sagte er leise. „Sie ist zu… simpel dafür.“
„Verstehst du? Sie hat keine Ambitionen, keinen Antrieb. Für sie geht es nur ums Überleben.“
Ich stand hinter der Tür und der Boden schien unter mir wegzufallen. „Einfach“. Dieses Wort verletzte mehr als jede Beleidigung.
All meine Mühen, mein Versuch, etwas Ehrliches aufzubauen — alles ausgelöscht von diesem einen Wort.
Ich entschied, dass es an der Zeit war, diese Farce zu beenden.
Als er an diesem Abend nach Hause kam, wartete ich in der Küche. Er kam herein, ohne mich anzusehen, warf seine Jacke auf einen Stuhl.
„Wir müssen reden, Igor.“
„Worüber denn?“ Er öffnete den Kühlschrank, blickte hinein und knallte die Tür vor Ekel zu. „Schon wieder kein Geld? Ich bin müde.“
„Ich will, dass du gehst.“
Er drehte sich langsam zu mir um. Überraschung stand ihm nicht ins Gesicht geschrieben, eher Erleichterung. Als hätte ich ihm den unangenehmen Anfang dieses Gesprächs erspart.
„Im Ernst?“ spottete er. „Du wirfst mich aus diesem Loch?“
Er gestikulierte um unsere winzige Küche. Sein Blick traf meinen, voller Verachtung und kaum verbergtem Triumph.
„Ich wollte ohnehin gehen!“ bellte er. „Denkst du, ich will mein Leben hier verbringen, von Cent zu Cent rechnen?“
„Ich habe eine Frau kennengelernt, die mich wertschätzt! Die mir alles geben kann, wovon ich träume! Ich verlasse dich für Reichtum, und du bleibst hier in deinem Elend!“
Mit solcher Giftigkeit und Genugtuung spuckte er diese Worte, als wolle er all seine Versagen an mir rächen.
Er stand in der Tür, gutaussehend, selbstgefällig, überzeugt, recht zu haben.
Was er noch nicht wusste: Sein neues „reiches“ Leben würde in meiner Wohnung stattfinden. Unter meinen Bedingungen.
Ich gab ihm zwei Stunden zum Packen. Dann wechselte ich.
Ich zog mein „einfaches Buchhalter“-Outfit aus, kleidete mich in ein Kaschmirkleid und bestellte ein Taxi der Business-Klasse.
Vierzig Minuten später war ich im Aquamarine-Komplex.
Ich klingelte nicht. Ich benutzte meinen Schlüssel und ging hinein. Musik und Lachen füllten den Raum. Ihr Lachen.
Ich öffnete die Tür erneut mit dem Schlüssel. Lautlos.
Sie standen am Panoramafenster mit Champagnergläsern. Igor hielt Karina an der Taille und flüsterte ihr etwas zu. Sie lachte, den Kopf zurückgeworfen.
„Hoffe, ich störe nicht“, sagte ich und schloss die Tür hinter mir.
Die Musik stoppte abrupt. Beide wirbelten herum. Igors Gesicht zeigte zuerst Verwirrung – dann Zorn.
„Du?! Was machst du hier? Wie bist du rein gekommen?“ trat er einen Schritt auf mich zu.
„Ich habe Schlüssel“, stellte ich ruhig meine Tasche auf die Design-Konsole. „Für all meine Wohnungen.“
Karina schaute von mir zu Igor. Ihr Champagnerglas zitterte.
„Was soll das, Igor?“ fragte sie kühl.
„Das… das ist meine Frau“, stammelte er. „Ex-Frau.“
„Nicht ganz“, korrigierte ich ihn. „Wir sind noch legal verheiratet. Aber das ist nicht das Wesentliche. Wesentlich ist – diese Wohnung. Wunderschön, nicht wahr?“
Ich warf einen Blick durch das Wohnzimmer. Igor erstarrte wie eine Statue. Es begann zu dämmern.
„Wovon redest du? Das ist Karinas Wohnung“, zischte er.
„Du irrst dich. Das ist meine Wohnung. Diejenige, die ich an deine Karina vermiete“, wandte ich mich an sie. „Übrigens, Karina, du bist mit den Nebenkosten vom letzten Monat im Rückstand.“
„Aber das ist jetzt unerheblich. Laut Mietvertrag kann ich ihn einseitig kündigen, wenn der Mieter gegen die Hausordnung verstößt.“
„Und mit verheirateten Männern zusammenzuleben, zählt dazu. Du hast 24 Stunden, um auszuziehen.“
Karinas Gesicht wurde blass wie die Wand dahinter. Sie blickte Igor mit solchem Hass an, dass er zurückwich.
„Du… du hast mich belogen?“ flüsterte sie.
Doch Igor starrte nur mich an. Panik weitete seine Pupillen. Seine Traumwelt zerfiel in einem Augenblick.
Sein überhebliches Grinsen war verschwunden, es ersetzte ein erbärmlicher, verlorener Ausdruck.
„Warte mal… du bist… Buchhalterin…?“
„Ich besitze das Unternehmen, in dem ich als Buchhalterin ‚arbeite‘“, zuckte ich mit den Schultern. „Ich wollte herausfinden, ob du mich lieben kannst – nicht mein Geld.“
Das Experiment scheiterte. Doch ich bin nicht bitter. Jede(r) wählt, wozu er/sie fähig ist. Du hast dich für den glitzernden Schein entschieden.
Ich drehte mich um und ging zur Tür.
„Was ist mit… mir?“ fragte seine zerbrochene Stimme hinter mir.
Ich hielt im Türrahmen inne, ohne mich umzudrehen.
„Du kannst in der Armut bleiben. So, wie du es wolltest. Nur diesmal ist sie echt.“
Ich ging hinaus und schloss die Tür hinter mir. Kein Gefühl von Triumph oder Rache erfasste mich.
Nur eine sanfte Müdigkeit und eine merkwürdig klare Erkenntnis: Du kannst niemandem Gold zeigen, wenn seine Augen vom Glitzer geblendet sind.
„Man kann niemandem Gold zeigen, wenn seine Augen vom Glitzer geblendet sind.“
Der erste Anruf kam drei Tage später. Ich nahm nicht ab. Dann flatterten Nachrichten herein.
Dutzende, voller Bitten um Verzeihung, vermischt mit Vorwürfen und Drohungen.
Er behauptete, ich hätte sein Leben zerstört. Er habe mich geliebt und ich hätte ihn betrogen.
Ich las sie mit kühler Gelassenheit und blockierte seine Nummer. Doch er fand immer neue.
Eine Woche später stellte er mich vor meinem Büro.
Er sah abgekämpft aus. Teure Kleidung hing schlaff an seinem hängenden Körper. Seine Augen spiegelten Verzweiflung.
„Anya, wir müssen reden!“ packte er meine Hand.
„Es gibt nichts zu besprechen, Igor“, löste ich sanft meine Hand. „Ich habe die Scheidung eingereicht. Die Unterlagen kommen per Post.“
„Ich lasse nicht zu, dass du dich scheiden lässt!“ schrie er. „Ich liebe dich! Ich war ein Narr — das sehe ich jetzt!“
„Die Karina… sie hat nur mein Gehirn durcheinandergebracht! Aber ich dachte immer nur an dich, an uns!“
„Uns?“ lachte ich bitter. „Du dachtest an deine Zukunft.“
„Eine, in der ich nur ein Hindernis war — bis eine bessere Option kam.“
„Und dann stellte sich heraus, dass die beste Option die ganze Zeit neben dir war. Aber das Problem, Igor, ich bin keine Option. Ich bin kein Lottoschein.“
Er sah mich an, verstand nicht. Er dachte immer noch, es gehe um Karina, um die Affäre. Er hatte nicht begriffen, dass es um ihn ging. Um seine wahre Natur.
„Ich werde es wieder gut machen! Ich werde es dir beweisen! Sag mir, was ich tun soll!“
Da wurde mir bewusst, dass ich endlich frei war. Nicht von ihm – sondern von dem naiven Mädchen, das ich vor einem Jahr gewesen war.
Ich brauchte keinen Beweis für Liebe mehr. Ich wusste, wie Liebe aussehen muss – und wie nicht.
„Nichts“, sagte ich. „Du kannst nichts tun. Denn etwas zu reparieren, das nie existiert hat, ist unmöglich. Und wir hatten nie das, was zählte — Respekt.“
„Du hast mich nie respektiert. Du hast mein ‚einfaches‘ Leben verachtet, meinen Job, unser Zuhause. Und wenn dich jemand verachtet, kann er dich nicht lieben.“
Ich ging an ihm vorbei und ging zu meinem Auto. Er rief mir etwas hinterher, aber ich hörte nicht mehr zu.
- Ein Monat später wurde die Scheidung vollzogen.
- Ich verkaufte die Wohnung im Aquamarine.
- Auch unser altes ‚Vogelhaus‘ ging weg.
- Ich kaufte mir ein kleines Haus außerhalb der Stadt und leitete meine Firma aus der Ferne.
Manchmal denke ich an ihn. Nicht mit Wut oder Mitleid.
Sondern mit einer Art distanzierter Neugier, wie an eine Figur aus einem Buch, das ich einst gelesen habe.
Er bekam, was er sich so sehr wünschte — eine Lehre.
Eine harte, aber gerechte Lektion. Die Erkenntnis, dass das Verfolgen von Glitzer stets ins Dunkel führt.
Wahre Reichtümer zeigen sich nicht in Besitztümern — sondern darin, wer man ist, wenn alles andere verloren ist.
Fazit: Diese Geschichte zeigt eindrücklich, wie Illusionen von Liebe und materieller Verlockung zerbrechen können. Sie erinnert uns daran, wie wesentlich gegenseitiger Respekt und Authentizität für eine erfüllte Beziehung sind. Wenn wir nur auf äußeren Glanz schauen, verlieren wir leicht den Blick für das, was wirklich zählt.