„Wie konntest du nur so eine Situation heraufbeschwören, törichte junge Frau? Wer wird dich jetzt mit einem Kind im Bauch nehmen? Und wie möchtest du es aufziehen? Zähle nicht auf meine Hilfe. Ich habe dich einmal unterstützt, aber jetzt auch noch dein Kind? Du bist mir hier nicht mehr willkommen. Pack deine Sachen und verlasse mein Haus!“
Leise lauschte Lena und senkte den Kopf. Ihre letzte Hoffnung, dass Tante Marina ihr erlaubt, vorübergehend zu bleiben, bis sie eine Arbeitsstelle findet, war in Luft zerfallen.
„Wenn doch Mama noch leben würde.“
Lenas Vater war ihr unbekannt, und ihre Mutter kam durch einen betrunkenen Fahrer vor fünfzehn Jahren ums Leben. Lena wäre beinahe ins Waisenhaus gekommen, doch plötzlich tauchte eine entfernte Verwandte auf, die Großcousine ihrer Mutter. Tante Marina hatte einen stabilen Job und ein eigenes Zuhause, sodass die Vormundschaft problemlos übertragen wurde.
Sie lebte am Rand einer kleinen Stadt im Süden, wo die Sommer heiß und die Winter regnerisch waren. Lena war nie hungrig gewesen, war immer ordentlich gekleidet und wurde von klein auf an die Arbeit gewöhnt. Der Haushalt, der Garten und die kleinen Tiere beanspruchten genug Zeit. Vielleicht fehlte es an mütterlicher Zuneigung, doch wer zählte das schon?
Lena war eine gute Schülerin und begann nach der Schule in einem pädagogischen Kolleg. Die sorglosen Jahre des Studiums vergingen schnell, doch jetzt war alles vorbei: Die Prüfungen waren abgelegt, und sie kehrte in die Stadt zurück, die ihr ans Herz gewachsen war. Doch die Rückkehr war nicht erfreulich.
Tante Marina hatte sich etwas beruhigt: „Genug! Verschwinde aus meinem Blickfeld. Ich möchte dich hier nicht sehen.“
„Tante Marina, darf ich vielleicht…“
„Nein, ich habe alles gesagt!“
Schweigend nahm Lena ihren Koffer und trat hinaus. Hatte sie sich so eine Rückkehr vorgestellt? Demütigt und abgelehnt, dazu auch noch schwanger – obwohl die Schwangerschaft noch jung war, wollte sie nicht länger verheimlichen.
Es war an der Zeit, eine Unterkunft zu suchen. Eintauchend in Gedanken lief sie weiter, ohne die Umgebung wahrzunehmen.
Die südliche Sommerhitze umhüllte sie. In den Gärten reiften Äpfel und Birnen, Aprikosen schimmerten golden. An den Weinbergen hingen üppige Trauben, und unter dem dunklen Laub versteckten sich blaue Pflaumen. Die Luft war erfüllt von Düften nach Marmelade, gegrilltem Fleisch und frischem Brot. Es war heiß, und Lena verspürte Durst. Als sie sich dem Gartentor näherte, rief sie eine Frau in der Sommerküche an.
„Darf ich etwas Wasser trinken?“
Polina, eine kräftige Frau um die fünfzig, drehte sich um. „Komm herein, wenn du es gut meinst.“
Sie schöpfte einen Becher aus dem Eimer und reichte ihn der jungen Frau. Diese setzte sich auf eine Bank und trank erschöpft.
„Kann ich hier sitzen? Es ist so heiß.“
„Natürlich, mein Kind. Woher kommst du? Der Koffer ist ja mit dir?“
„Ich habe gerade das College abgeschlossen und wollte Lehrerin werden. Aber ich habe keinen Platz zum Wohnen. Vielleicht wissen Sie, wer ein Zimmer vermietet?“
Polina betrachtete das Mädchen. Sie wirkte ordentlich, aber ihr Gesicht zeigte Erschöpfung, als ob schwere Gedanken an ihr nagten.
„Du kannst bei mir bleiben. Das bringt Leben ins Haus. Du musst nicht viel zahlen, aber sei anständig. Wenn du einverstanden bist, zeige ich dir das Zimmer.“
Die Möglichkeit, eine Mieterin zu haben, erfreute Polina; zusätzliches Geld würde nicht schaden, besonders in diesem abgelegenen Ort. Ihr Sohn lebte weit weg und besuchte sie selten, sodass sie in den winterlichen Abenden Gesellschaft hatte.
Lena konnte ihr plötzliches Glück kaum fassen und folgte der Hausherrin hastig. Das Zimmer war klein, aber gemütlich – ein Fenster zum Garten, ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett und ein alter Schrank. Perfekt. Schnell einigten sie sich über den Preis, und nachdem sich Lena umgezogen hatte, machte sie sich auf den Weg zum Bildungsministerium.
So begannen die Tage – Arbeit, Zuhause, Arbeit. Lena schaffte es kaum, die Blätter des Kalenders abzureißen.
Sie freundete sich mit Polina an, die sich als freundlich und fürsorglich herausstellte und sich an die bescheidene junge Frau gewöhnte. Lena half im Haushalt, und abends tranken sie oft Tee im Gartenpavillon, während der Herbst langsam Einzug hielt.
Die Schwangerschaft verlief problemlos. Lena hatte keine Übelkeit, ihr Gesicht blieb rein, auch wenn es ein wenig rundlicher war. Sie erzählte Polina ihre Geschichte, die ganz gewöhnlich war.
Im zweiten Studienjahr verliebte sich Lena in Denis, den charmanten Sohn wohlhabender Eltern, die an der Universität lehrten. Seine Zukunft schien vorgezeichnet, mit Studium, Promotionsstipendium und einer Karriere nahe der Familie. Schön, galant und gesellig war er bei vielen Mädchen beliebt. Doch er entschied sich für die schüchterne Lena. War es wegen ihres schüchternen Lächelns, der sanften braunen Augen oder der zerbrechlichen Figur? Vielleicht erkannte er in ihr eine verwandte Seele, den unerschütterlichen Geist derer, die schon in der Kindheit mit Schwierigkeiten konfrontiert waren. Wer kann das sagen? Die verbleibenden Jahre verbrachten sie fast unzertrennlich, und Lena sah ihre Zukunft nur mit ihm.
Der Tag hatte sich tief in ihr Gedächtnis eingegraben. Am Morgen bemerkte sie, dass sie nicht essen konnte, die Gerüche störten sie, und die Übelkeit hielt schon mehrere Tage an. Und vor allem das Versäumnis. Wie hatte sie das übersehen können? Sie kaufte einen Test, kehrte ins Studentenwohnheim zurück, trank etwas Wasser und wartete. Zwei Striche. Sie starrte sie an, unglaublich, zwei! Bald standen die Prüfungen an, und nun das! Wie würde Denis reagieren? Kinder gehörten derzeit nicht zu ihren Plänen.
Und plötzlich überkam sie eine Welle der Zuneigung zu dem kleinen Leben in ihr.
„Kleines“, flüsterte sie, während sie vorsichtig ihren Bauch berührte.
Als Denis von der Nachricht erfuhr, führte er Lena am selben Abend zu seinen Eltern. Dieses Treffen verursacht immer noch Tränen in ihren Augen. Kurzum, die Eltern schlugen vor, abzutreiben und nach dem Abschluss allein zu gehen, denn Denis sollte eine Karriere aufbauen, und sie war nicht die Richtige für ihn.
Was er zu seinem Sohn sagte, konnte Lena nur erahnen. Am nächsten Tag trat Denis still in ihr Zimmer, legte einen Umschlag mit Geld auf den Tisch und ging wieder hinaus.
Ein Abbruch kam für Lena nicht in Frage. Sie hatte das kleine Wesen innerhalb bereits ins Herz geschlossen. Es war ihr Kind, nur ihres. Dennoch nahm sie das Geld an, schließlich wusste sie, wie nötig sie es haben würde.
Polina tröstete, nachdem sie die Geschichte erfahren hatte: „Es gibt Schlimmeres. Es ist gut, dass du dein Kind nicht abgegeben hast, es ist ein Segen. Vielleicht ist alles zum Besten.“
Doch der Gedanke an eine Versöhnung mit Denis widerte Lena an. Sie konnte die Demütigung und seine lässige Ablehnung nicht verzeihen.
Die Zeit verging. Lena hörte auf zu arbeiten und watschelte, wie eine kleine Ente, in Erwartung des Babys. Sie war neugierig, was es werden würde, aber beim Ultraschall war nichts zu erkennen. Hauptsache gesund.
Ende Februar, an einem Samstag, begannen die Wehen, und Polina brachte sie ins Krankenhaus. Die Geburt verlief problemlos, und ein kräftiger Junge erblickte das Licht der Welt.
„Vanjuschka“, flüsterte Lena und streichelte sein rundes Wangen.
Im Kreissaal knüpfte sie Freundschaften mit anderen Müttern. Diese erzählten, dass die Frau eines Grenzbeamten vor zwei Tagen hier ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. Die beiden waren nicht einmal verheiratet, sondern lebten einfach zusammen.
„Stell dir vor, er hat ihr Blumen und Süßigkeiten, sogar Wein für die Schwestern mitgebracht, kam jeden Tag mit dem Jeep vorbei. Aber zwischen ihnen hat es nicht funktioniert. Sie sagte, dass sie keine Kinder wolle, und dann ließ sie eine Notiz zurück und verschwand, weil sie nicht bereit sei.“
„Und das Baby?“
„Sie füttern es mit der Flasche, aber die Schwester sagt, besser wäre es, wenn jemand Milch teilt. Aber jeder hat seine eigenen Kinder.“
Als das Mädchen zum Füttern gebracht wurde, fragte die Schwester: „Vielleicht kann jemand füttern? Sie ist ganz schwach.“
„Ich, das arme Ding“, sagte Lena leise, legte den schlafenden Vanya auf das Bett und nahm das Mädchen in die Arme.
„Wie klein und hellsie sie ist! Ich nenne sie Maschenka.“
Im Vergleich zu dem kräftigen Vanya wirkte das Mädchen wie ein kleines Wesen.
Lena gab ihr die Brust, und sie saugte gierig und schlief nach wenigen Minuten ein.
„Ich habe gesagt, dass sie schwach ist“, seufzte die Schwester.
So wurde Lena die Mutter von zwei Säuglingen.
Nach zwei Tagen teilte die Schwester mit, dass der Vater des Mädchens gekommen sei und die junge Frau, die seine Tochter stillt, danken wolle. So lernte Lena den Grenzbeamten, Hauptmann Dmitri Sokolov, kennen – einen kleinen Mann mit einem festen Blick aus blauen Augen.
Die weiteren Geschehnisse wurden in der gesamten Klinik erzählt und sollten der ganzen Stadt mitgeteilt werden; die Geschichte endete auf eine Weise, die lange im Gedächtnis blieb.
Am Entlassungstag hatten sich vor dem Eingang die Ärzte, Schwestern und Pfleger versammelt. Vor der Tür stand ein Jeep, geschmückt mit blauen und rosafarbenen Ballons. Der junge Offizier mit der Hauptmannsuniform half Lena beim Einsteigen und überreichte ihr ein blaues Päckchen, gefolgt von einem rosa.
Begleitet von Hupen fuhr der Jeep los und bog bald um die Ecke.
So ist das, man weiß nie, wohin deine Taten führen werden. Lena schaute aus dem Fenster, während sie beide Kinder an sich drückte, während Polina leise lächelte und sie beobachtete. Der Innenraum duftete nach frischen Blumen und Kinderschnäuzen. Hauptmann Dmitri, der vor der Entlassung vor ihrem Bett auf den Knien saß und um ihre Hand und ihr Herz bat, fuhr nun still das Auto und warf einen Blick in den Rückspiegel; das kleine Mädchen Maschenka schlief und umfasste mit ihrem Finger Lenas kleinen Finger. Zu Hause erwartete sie nicht nur ein Heim, sondern auch Liebe, Tee mit Marmelade, einen alten Schrank, in den nun Spielzeuge gestellt werden sollten, und ein Leben, dessen Verlauf niemand vorhersagen konnte, das aber bereits voller Sinn war.