— Drei Jahre sind vergangen seit meiner Scheidung von Ihrem Sohn, jetzt mag seine neue Frau Ihnen helfen, aber ich werde mich nicht rühren, — erklärte ich der ehemaligen Schwiegermutter am Vortag und legte auf.
Meine Hände zitterten vor Wut. Nadja Petrowna hatte bereits dreimal in dieser Woche angerufen, jedes Mal mit derselben Bitte — sie bat um Hilfe beim Einkaufen, für einen Arztbesuch oder um Medikamente zu bringen. Als wäre nichts geschehen, als wäre ich immer noch ihre Schwiegertochter, als ob der schmerzhafte Scheidungsprozess mit ihrem geliebten Sohn vor drei Jahren nie stattgefunden hätte.
Am Morgen brachte ich meine Tochter in den Kindergarten, machte mir dann einen Kaffee und setzte mich ans Fenster. Draußen fiel der feine Oktoberregen, und die Tropfen liefen über das Glas wie die Tränen, die ich mir nicht erlaubte zu weinen. Drei Jahre… Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an seit dem Tag, an dem ich von Igors Untreue erfuhr.
Das Telefon klingelte erneut. Ich sah auf den Bildschirm — eine unbekannte Nummer.
— Hallo?
— Katja, hier ist Elena, die Nachbarin von Nadja Petrowna. Bitte lege nicht auf.
Ich erkannte die Stimme. Elena Sergejewna wohnte seit zwanzig Jahren in der Nachbarwohnung von meiner Schwiegermutter; wir trafen uns manchmal im Laden.
— Was ist passiert?
— Nadja Petrowna ist im Krankenhaus. Herzinfarkt. Sie wurde nachts mit dem Krankenwagen gebracht.
Die Welt um mich herum schien stillzustehen. Ich stellte die Tasse mechanisch auf das Fensterbrett, der Kaffee schüttete sich auf die weiße Fläche.
— Wie… geht es ihr?
— Die Ärzte sagen, es ist ernst. Sie ist vorerst bewusstlos. Katja, ich weiß, Sie und Igor sind geschieden, aber… sie fragt ständig nach dir. Selbst im Delirium nennt sie deinen Namen.
— Und Igor? Er sollte doch…
— Igor ist mit seiner neuen Frau im Urlaub. In der Türkei. Er geht nicht ans Telefon. Ich habe deine Nummer in ihrem Notizbuch gefunden.
Ich schloss die Augen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal dankbar sein würde, dass Nadja Petrowna meine Nummer nicht aus ihren Kontakten gelöscht hatte.
— In welchem Krankenhaus ist sie?
— Im fünften Stadtkrankenhaus, kardiologische Abteilung.
Eine Stunde später stand ich bereits am Eingang des Krankenhauses. Ich war das letzte Mal vor vier Jahren in dem benachbarten Gebäude, als ich Dasha zur Welt brachte. Damals war alles anders. Damals stand Igor an meiner Seite, hielt meine Hand, und Nadja Petrowna brachte einen riesigen Blumenstrauß Rosen und weinte freudig, als sie ihre Enkelin durch das Glas des Kreißsaals sah.
Darja… Meine vierjährige Tochter, die jetzt friedlich im Kindergarten spielt. Manchmal fragt sie nach Baba Nadja, obwohl sie sich schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen haben. Nach der Scheidung versuchte Nadja Petrowna, den Kontakt aufrechtzuerhalten, kam zu uns, brachte Geschenke für Dasha. Aber dann kam Viktoria — Igors neue Frau, jung, schön, ohne Kinder. Und die Besuche hörten auf.
Im kardiologischen Bereich traf mich eine strenge Krankenschwester.
— Sind Sie Verwante?
— Ich… — ich stockte. — Ex-Schwiegertochter.
— Verwante dürfen zurzeit nicht rein. Nur morgen früh.
— Bitte, — ich holte mein Telefon heraus und zeigte ein Foto von Dasha. — Das ist ihre Enkelin. Wir sind die Einzigen, die sie besuchen dürfen.
Die Krankenschwester betrachtete mich aufmerksam und dann das Foto.
— Zehn Minuten. Nicht mehr.
Nadja Petrowna lag allein im Zimmer, an zahlreiche Geräte und Schläuche angeschlossen. Ich hatte sie fast ein Jahr nicht gesehen und war erschrocken, wie sehr sich ihr Aussehen verändert hatte. Ihr graues Haar war vollständig weiß geworden, ihr Gesicht wirkte eingefallen, und ihre Hände auf der Decke schienen durchscheinend.
Ich setzte mich auf einen Stuhl neben das Bett und nahm ihre Hand in meine. Sie war kalt und so zerbrechlich.
— Nadja Petrowna, das bin ich, Katja.
Keine Reaktion. Nur der gleichmäßige Piepton der Apparate und ihr leiser Atem.
— Wissen Sie, Dasha hat gestern nach Ihnen gefragt. Sie sagte, dass sie Baba Nadja vermisst. Sie möchte Ihnen zeigen, wie sie Lesen gelernt hat.
Ich log nicht. Darja erinnerte sich wirklich manchmal an die Großmutter, besonders wenn wir an dem Park vorbeigingen, wo Nadja Petrowna gern mit ihr geschaukelt hatte.
— Sie müssen wieder gesund werden. Hören Sie? Dasha wartet auf Sie.
Am nächsten Tag kam ich wieder, dieses Mal mit Dasha. Meine Tochter trug ein Bild — ein helles Haus mit großen Fenstern und Blumen vor der Tür.
— Mama, warum schläft Baba? — fragte Dasha flüsternd, während sie die reglose Gestalt im Bett betrachtete.
— Sie ist sehr müde, Kleines. Aber sie hört uns.
Darja trat näher heran und legte das Bild auf den Nachttisch.
— Baba Nadja, ich habe dir ein Haus gemalt. Schön, nicht wahr? Und ich kann auch lesen. Möchtest du, dass ich ein Märchen vorlese?
Ohne auf eine Antwort zu warten, holte Darja ein Buch aus meiner Tasche und begann langsam das Märchen von „Kolobok“ vorzulesen. Ihre Kinderstimme hallte im Raum, und mir schien, dass Nadja Petrownas Atem ein wenig gleichmäßiger wurde.
— Mama, warum kommt Papa nicht zu Baba? — fragte Dasha, als wir das Krankenhaus verließen.
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Wie erkläre ich einer vierjährigen, dass ihr Vater seinen Urlaub in der Türkei genießt, während seine Mutter im Krankenhaus stirbt?
— Papa ist weit weg, Tochter. Er kann nicht kommen.
— Und kommen wir?
— Ja, das werden wir.
Und so kamen wir jeden Tag. Ich kam morgens vor der Arbeit, und abends holte ich Dasha aus dem Kindergarten, und wir fuhren gemeinsam ins Krankenhaus. Darja erzählte Baba von ihren Ereignissen, zeigte ihre neuen Zeichnungen und sang Lieder, die sie im Kindergarten gelernt hatte.
Die Ärzte sagten, ihr Zustand sei stabil ernst. Niemand konnte vorhersagen, ob sie wieder zu sich kommen würde. Aber ich gab nicht auf. Täglich kaufte ich frische Blumen, wechselte das Wasser in der Vase und erzählte ihr von unserem Leben.
— Wissen Sie, Nadja Petrowna, ich habe eine Beförderung bei der Arbeit erhalten. Jetzt bin ich Projektmanager. Erinnern Sie sich, wie Sie gesagt haben, dass ich ein Talent für organisatorische Fähigkeiten habe? Sie hatten recht.
Ich sprach mit ihr, als wäre sie lebendig, erzählte Neuigkeiten und teilte Pläne. Manchmal sahen die Krankenschwestern mich mitleidig an, aber ich ignorierte es.
Am fünften Tag kam eine etwa vierzigjährige Frau in weißen Scrubs in unser Zimmer.
— Sind Sie Jekaterina?
— Ja.
— Ich bin die Abteilungsleiterin, Marina Wiktorowna. Sagen Sie, sind Sie wirklich die Ex-Schwiegertochter der Patientin?
— Ja, aber…
— Verstehen Sie, normalerweise zeigen Verwandte nach einer Scheidung nicht so viel… Hingabe. Besonders angesichts der Tatsache, dass der Sohn der Patientin nicht einmal gekommen ist.
Ich spürte, wie ich rot wurde.
— Nadja Petrowna hatte immer ein gutes Verhältnis zu mir. Und Dasha liebt sie.
— Das sieht man. Wissen Sie, ich arbeite seit zwanzig Jahren als Ärztin, und ich habe bemerkt, dass Patienten, die regelmäßig besucht werden, sich besser fühlen. Selbst im Bewusstlosen Zustand spüren sie irgendwie die Fürsorge.
— Also können wir weiterhin kommen?
— Natürlich. Darüber hinaus möchte ich Ihnen sagen — heute Morgen gab es die ersten Zeichen der Verbesserung. Ihre Reaktion auf Licht ist besser geworden.
Mein Herz schlug schneller.
— Das bedeutet…
— Das bedeutet, dass es Hoffnung gibt. Machen Sie einfach weiter wie bisher.
In der Abendzeit konnte ich nicht anders und rief Igor an. Er hob nicht sofort ab, sein Ton war unwillig.
— Katja? Was ist passiert? Ist mit Dasha alles in Ordnung?
— Mit Dasha ist alles gut. Deine Mutter ist auf der Intensivstation. Herzinfarkt.
Nach einer langen Pause hörte ich Musik und Gelächter im Hintergrund.
— Wie… ernst?
— Sehr ernst. Sie ist seit einer Woche bewusstlos.
— Verdammt… Katja, ich kann jetzt nicht kommen. Wir haben ein Fünf-Sterne-Hotel in Belek, es kostet eine Menge Geld…
— Deine Mutter liegt im Sterben, Igor.
— Sprich nicht so! Sie ist stark, sie wird es schaffen. Und du… danke, dass du nach ihr siehst. Ich werde dir alle Ausgaben erstatten.
Ich legte auf, ohne zuzuhören. Ausgaben… Er dachte, es ginge um Geld.
Es vergingen viele Abende. Aber es kam der Abend, an dem Nadja Petrowna die Augen öffnete.
Ich las ihr gerade laut einen Artikel über Erziehung vor, als ich bemerkte, dass sie mich anstarrt. Nicht einfach nur die Augen öffnete — sie schaute mich bewusst an.
— Nadja Petrowna! — sprang ich von dem Stuhl auf. — Hören Sie mich?
Sie versuchte etwas zu sagen, aber ein Schlauch des Beatmungsgeräts blockierte ihren Mund. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
— Versuchen Sie nicht zu sprechen, alles wird gut. Ich rufe gleich die Ärztin.
Als die Krankenschwester kam, sah Nadja Petrowna weiterhin zu mir, ohne den Blick abzuwenden. Ihre Hand drückte schwach meine.
Der Schlauch wurde erst am nächsten Tag entfernt. Das erste Wort, das Nadja Petrowna in einer heiseren Stimme nach langer Stille sagte, war:
— Katja…
— Ich bin hier. Alles ist gut.
— Dasha…
— Dasha ist auch hier, irgendwo im Korridor. Sie kam jeden Tag, las dir Märchen vor. Möchtest du sie sehen?
Ein schwaches Nicken.
Darja stürmte wie ein Wirbelwind ins Zimmer.
— Baba Nadja! Du bist wach! Ich dachte, du schläfst wie die Schlafende Schönheit!
Nadja Petrowna lächelte — das erste Lächeln in all den Tagen.
— Mein… Mädchen…
Darja kletterte auf das Bett und umarmte die Großmutter vorsichtig.
— Ich werde dir so viel erzählen! Ich habe gelernt, meine Schuhe zu binden! Und ich habe ein Gedicht über den Herbst gelernt! Möchtest du es hören?
— Ja, möchte ich…
Und dann erschien Igor an der Zimmertür. Bräunlich und entspannt, mit einem Strauß teurer Blumen. Hinter ihm stand schüchtern eine junge Frau — anscheinend Viktoria.
— Mama! — Igor ging ans Bett. — Wie geht es dir? Entschuldigung, dass ich nicht gleich gekommen bin, wir waren am Meer, als wir davon erfuhren…
Nadja Petrowna sah ihren Sohn an, dann mich. Ihr Blick war seltsam — nicht freudig, wie ich es erwartet hatte, sondern prüfend.
— Wo… wart ihr? — flüsterte sie.
— Nun Mama, ich sagte doch, wir waren am Meer. Ich war mit Vika in der Türkei im Urlaub. Sobald wir es erfahren haben, sind wir sofort gekommen.
— Sofort?
— Fast. — Igor schaute verwirrt zu mir. — Katja, bist du jeden Tag gekommen?
Ich zuckte mit den Schultern.
— Nadja Petrowna, wir müssen gehen. — Ich nahm Dasha an die Hand. — Bis morgen.
— Katja… — ihre schwache Stimme hielt mich an der Tür auf. — Danke…
Zu Hause konnte Dasha lange nicht einschlafen.
— Mama, warum kam Papa nicht zu Baba, während sie schlief?
— Er war weit weg, Tochter.
— Und wir waren nah?
— Ja, wir waren nah.
— Und deshalb kamen wir?
— Ja.
— Mama, wenn Menschen nah sind, müssen sie sich dann gegenseitig helfen?
Aus dem Mund eines Kindes… Ich küsste meine Tochter auf die Stirn.
— Sie müssen, Dashenka. Unbedingt.
In den nächsten zwei Wochen erholte sich Nadja Petrowna. Wir besuchten sie weiterhin jeden Tag. Igor kam auch, aber immer seltener. Arbeit, sagte er, Dinge.
— Katja, — sagte Nadja Petrowna eines Tages, als wir allein waren. — Ich muss mit dir reden.
— Worüber?
— Über Igor. Über das, was vor drei Jahren passiert ist.
Ich spannte mich an. Ich wollte nicht daran erinnert werden.
— Nadja Petrowna, das ist die Vergangenheit…
— Nein, nicht die Vergangenheit. Ich wusste es damals. Von seiner Untreue. Ich wusste es und schwieg.
Die Welt um mich herum hielt wieder an. Ich sank langsam auf einen Stuhl.
— Wussten Sie?
— Er ist mein Sohn, Katja. Ich habe ihn geboren und großgezogen. Glaubst du wirklich, eine Mutter könnte nicht merken, wenn ihr Sohn eine andere Frau hat? Ich sah, wie er sich veränderte, wie er anfing zu lügen, sein Telefon zu verstecken.
— Aber Sie haben nichts gesagt…
— Ich war dumm. — Tränen liefen über ihre Wangen. — Ich dachte, ich schütze die Familie. Ich dachte, dass, wenn ich das Problem nicht bemerke, es sich von selbst löst. Und du hast es selbst herausgefunden, und alles ist zusammengebrochen.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
— Katja, ich schulde dir etwas. Hätte ich damals mit Igor gesprochen, ihn gezwungen, eine Wahl zu treffen… vielleicht wäre alles anders gekommen.
— Vielleicht, — sagte ich leise. — Vielleicht hätte er sie trotzdem gewählt.
— Möglicherweise. Aber ich hätte es versuchen müssen. Für dich, für Dasha. Ich habe dich geliebt, aber ich habe dich dennoch verraten.
Ich nahm ihre Hand.
— Nadja Petrowna, die Vergangenheit kann man nicht ändern. Aber jetzt leben Sie, wir sind hier. Das bedeutet doch auch etwas?
— Ja, das tut es. Katja… nachdem Igor zum zweiten Mal geheiratet hat, habe ich aufgehört, euch zu besuchen. Ich dachte, es ist richtig, mich nicht einzumischen, keine Probleme mit Viktoria zu schaffen. Aber ich habe euch vermisst. Dich und Dasha. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich vermisst habe.
— Aber ich dachte, dass Sie einfach… uns vergessen hätten.
— Nie. Ich habe jeden Tag an euch gedacht. Und wenn die Ärzte sagen, dass ich in meinem Delirium nach dir gerufen habe… das ist wahr. Ich rief die einzige Person, die, wie ich wusste, mich nicht im Stich lassen würde.
Die Tränen versperrten mir den Blick.
— Aber ich bin ja nicht sofort gekommen. Als Sie angerufen haben, wollte ich nicht gehen.
— Doch dann kamst du. Das ist wichtiger.
Wir saßen in Stille, hielten uns an den Händen.
— Katja, ich möchte dich um etwas bitten.
— Worum?
— Schenke mir mein Enkelkind nicht weg. Bitte. Ich weiß, dass ich kein Recht habe, zu bitten, aber… Dasha ist alles, was ich von dem Leben habe, als wir eine Familie waren.
— Nadja Petrowna…
— Und noch etwas. Ich möchte mein Testament umschreiben. Ich habe eine Wohnung, ein Landhaus, ein paar Ersparnisse. Ich möchte alles Dasha hinterlassen. Igor… er hat jetzt eine neue Familie, eine neue Frau. Und Dasha… sie ist meine Enkelin, und sie muss wissen, dass die Großmutter sie nicht vergessen hat.
— Das ist nicht nötig…
— Es ist nötig. Ich möchte alles richtigstellen.
Ich konnte nicht sprechen vor Tränen.
— Nadja Petrowna, Sie werden gesund werden. Wir haben noch viel Zeit vor uns.
— Vielleicht. Aber ein Herzinfarkt ist eine Warnung. In meinem Alter könnte es sein, dass es keine zweite Chance mehr gibt.
Als Nadja Petrowna aus dem Krankenhaus entlassen wurde, nahm ich sie mit zu mir. Für eine kurze Zeit, sagte ich, bis sie sich vollständig erholt hat. Aber wir wussten beide, dass sie bleiben kann, so lange sie will.
— Katja, — rief Igor eine Woche später an. — Was passiert hier? Mama sagt, sie wohnt bei dir.
— Und was ist daran das Problem?
— Es ist nicht das Problem… es ist einfach seltsam. Wir sind schließlich geschieden.
— Geschieden sind nur wir, Igor. Nicht deine Mutter.
— Aber Vika versteht nicht…
— Und wollte Vika sich um ihre kranke Schwiegermutter kümmern?
— Eine Pause.
— Nun… sie ist es nicht gewohnt. Ihre Mutter ist noch jung.
— Alles klar. Mach dir keine Sorgen, ich schaffe das.
Und ich schaffte es. Nadja Petrowna erholte sich schnell, half im Haushalt, ging mit Dasha spazieren, las ihr Geschichten vor. Abends tranken wir Tee und sprachen — über das Leben, über Pläne, über Dasha’s Zukunft.
— Weißt du, Katja, — sagte sie eines Tages, — ich verstehe erst jetzt, was eine richtige Familie ist.
— Was ist das?
— Es ist, wenn Menschen nicht nur zusammen sind, weil es so sein soll, sondern weil sie es nicht anders können. Du hättest nicht ins Krankenhaus kommen müssen. Du hättest sagen können: „Kein Verwandter, nicht mein Problem“. Aber du bist gekommen. Und hast Dasha mitgebracht. Weil du es nicht anders konntest.
— Sie sind mir ja nicht fremd.
— Offiziell — fremd. Auf den Papiere bin ich niemand. Aber du hast dich wie eine Tochter verhalten. Nein, sogar besser. Ich kenne Familien, wo leibliche Kinder nicht so viel Fürsorge für ihre alten Eltern zeigen.
Ich dachte an Igor und seine Reise ans Meer.
— So ist es einfach gekommen.
— Es ist nicht einfach gekommen. Du hast gewählt. Und ich danke dir dafür.
Ein Monat später kam ein Notar zu uns. Nadja Petrowna hat das Testament so abgefasst, wie sie es versprochen hatte. Alle Immobilien — an Dasha.
— Sind Sie sicher? — fragte die Notarin. — Und der Sohn?
— Der Sohn hat alles Nötige. Und meine Enkelin wird in der Wohnung wohnen.
Am selben Abend rief Igor an. Seine Stimme war empört.
— Katja, was sind das für Spiele? Mama hat ihr Testament auf Dasha umgeschrieben?
— Das ist ihr Recht.
— Welches Recht? Ich bin der einzige Sohn! Ich werde vor jedem Richter nachweisen, dass die ehemalige Schwiegertochter eine alte Person manipuliert!
— Igor, beruhige dich. Niemand wurde manipuliert. Deine Mutter hat in vollem Bewusstsein eine Entscheidung getroffen.
— Sie steht doch unter deinem Einfluss! Katja, ich verstehe, dass du Geld willst, aber das ist nicht richtig.
Ich sah zum Fenster hinaus, wo Nadja Petrowna mit Dasha in der Sandkiste spielte.
— Weißt du was, Igor? Als deine Mutter in der Intensivstation lag, habe ich nicht an Geld gedacht. Als sie wieder laufen lernen musste nach dem Herzinfarkt, habe ich nicht an Erbschaften gedacht. Als Dasha ihr jeden Abend Märchen vorlas — haben wir nicht an das Testament gedacht. Wir haben sie einfach geliebt.
— Und ich liebe meine Mutter nicht?
— Ich weiß nicht. Sag mir — wo warst du, als sie starb?
Eine lange Pause.
— Ich wusste es nicht…
— Du wusstest es. Ich habe angerufen. Und du hattest Spaß in der Türkei.
— Katja…
— Igor, deine Mutter ist am Leben. Sie ist gesund. Wir sind glücklich. Wenn du an ihrem Leben teilnehmen möchtest — bist du herzlich willkommen. Wenn nicht — stör uns nicht.
Ich legte auf und fühlte zum ersten Mal in drei Jahren echte Freiheit.
Abends, als Dasha eingeschlafen war, saßen Nadja Petrowna und ich in der Küche bei Tee.
— Bereust du es? — fragte sie.
— Worüber?
— Dass du dich mit mir eingelassen hast. Mit einer kranken alten Frau, die dein persönliches Leben stört.
Ich lachte.
— Nadja Petrowna, als ich mit deinem Sohn verheiratet war, hatte ich eine Schwiegermutter. Jetzt habe ich eine Mama. Fühlen Sie den Unterschied?
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
— Danke, Tochter.
— Ich danke Ihnen. Dafür, dass Sie mir gezeigt haben, dass Familie kein Stempel im Ausweis ist. Es ist die Wahl, an jedem Tag an seiner Seite zu sein.
Der erste Schnee fiel draußen. Dasha würde morgen unbedingt einen Schneemann bauen wollen. Und wir, Nadja Petrowna und ich, sollten am Fenster stehen, heißen Tee trinken und zusehen, wie unser Kind spielt.
Unseres. Denn Familie ist das, was man hat, wenn es nötig ist. Diejenigen, die jeden Tag ins Krankenhaus kommen. Diejenigen, die Märchen lesen und Schneemänner bauen. Diejenigen, die sich vor drei Jahren nicht bewegt haben, aber bereit sind, heute die Hand zu reichen.
Familie ist eine Entscheidung. Und wir haben unsere getroffen.