Tamás warf verstohlene Blicke zu der Frau neben sich. Sie saß leicht abgewandt, das kleine Bündel fest an sich gedrückt, als fürchte sie, es könnte ihr jeder Moment entrissen werden. Das schwache Licht des Armaturenbretts spiegelte sich in ihrem zarten, blassen Gesicht wider. Unter ihren Augen zeichneten sich tiefe Schatten ab – sie wirkte, als hätte sie seit Tagen keinen Schlaf gefunden.
„Willst du weit weg?“ fragte Tamás leise, bemüht, ruhig zu klingen.
„Irgendwohin… nur nicht zurück“, antwortete die Frau, ihre Stimme zitterte wie ein Blatt im Wind. „Nur nicht dorthin…“
Tamás schwieg. Er wusste längst: Wenn jemand „nicht zurück“ sagt, meint er den Ort, an dem es gefährlich ist.
Die Straße zog sich dunkel und still dahin. Regen trommelte monoton auf das Dach des Lastwagens. Die Frau wiegte das kleine Bündel sanft und murmelte kaum hörbar. Tamás lauschte. Der Motor summte leise, doch die Luft war geladen mit einer Geschichte, die unausgesprochen zwischen ihnen hing.
„Wie heißt du?“ wagte er schließlich zu fragen.
„Mária. Und du?“
„Tamás.“
„Danke, Tamás. Du hast keine Ahnung, was es mir bedeutet hat, dass du angehalten hast.“
„Keine Sorge. Auf der Straße sind wir alle nur Menschen“, sagte er knapp, und spürte, wie sich etwas Schweres in seiner Brust zusammenzog.
Ein Moment voller Angst
Nach einigen Kilometern zuckte Mária plötzlich zusammen. Sie blickte in den Rückspiegel. „Siehst du… nichts hinter uns?“
Tamás sah hin. Ein schwaches Licht glitzerte in der Ferne.
„Nur ein Auto. Die Straße gehört uns nicht allein“, versuchte er zu beruhigen.
„Nein… sie sind es.“ Mária hielt das Bündel noch fester, als hinge ihr eigenes Leben daran.
„Wer sind ‚sie‘?“
Sie schwieg einen Moment, dann brach es aus ihr heraus: „Ich habe in einem Kinderheim gearbeitet. Dort war ein kleiner Junge… der hätte adoptiert werden sollen. Aber die Familie… ihr eigenes Kind war gestorben, und sie kauften die Papiere. Dieser Kleine… er gehörte nicht wirklich zu ihnen. Sie spielten nur eine Rolle.“
Tamás erstarrte.
„Du willst sagen…?“
„Ja. Kinder wurden verkauft. Ich konnte es nicht zulassen. Ich musste ihn holen.“ Sie vergrub das Gesicht in der Decke. „Ich wollte einfach nur weg… irgendwohin, egal wohin.“
Die Jagd beginnt
Plötzlich näherten sich Rücklichter. Tamás spürte, wie sich sein Rücken anspannte.
„Verdammt… sie sind es wirklich.“ Er trat aufs Gas. Der Lastwagen brüllte, die Dunkelheit verschluckte alles um sie herum.
„Halt dich fest! Ich lasse dich nicht entführen!“ rief er Mária zu.
Das Auto holte auf. Zwei Männer lehnten sich aus dem Fenster, einer hielt einen Ausweis, der andere schrie etwas, doch Regen und Motor übertönten alles.
Tamás zögerte nicht. „Auf keinen Fall!“ rief er und riss das Lenkrad nach links. Das verfolgende Auto geriet ins Schleudern und landete schließlich im Graben. Ein Moment der Stille folgte, nur der Regen klopfte auf das Blech.
„Alles okay?“ fragte er keuchend.
„Ja… glaube schon“, flüsterte Mária, zitternd.
Tamás sah hinaus. Drei Gestalten stiegen aus, einer mit Taschenlampe, ein anderer mit einem glänzenden Gegenstand. „Bleib in der Kabine!“ befahl er und griff nach der Eisenstange unter dem Sitz.
Er trat in den Regen hinaus. Der Wind schnitt ins Gesicht.
„Halt! Die Frau hat unser Kind!“ rief einer.
Tamás richtete sich auf: „Dann zeigt mir die Papiere, dann reden wir.“
Doch bevor die Männer reagieren konnten, schlug Tamás zu. Ein Kampf entbrannte, Schüsse fielen, doch er nutzte jede Sekunde, um zurück in die Kabine zu springen. Die Reifen griffen wieder auf die nasse Straße, und der Lastwagen schoss davon.
Sicherheit und Hoffnung
Hinter ihnen verschwanden die Lichter. Nur Regen und Motorengebrumm blieben. Zehn, zwanzig Minuten später waren sie weit genug.
„Sie werden nicht aufgeben“, flüsterte Mária. „Aber du… du hast uns gerettet.“
„Wir bleiben eine Weile versteckt“, sagte Tamás. „Ein Bekannter von mir arbeitet nahe Debrecen. Dort wird niemand nach dir suchen.“
Sie schwieg lange, dann fragte sie leise: „Warum hast du geholfen? Du hättest weiterfahren können.“
Tamás lächelte müde. „Ich hatte einen Sohn. Ein kleiner Junge. Er ist gestorben, als unser Haus brannte. Seitdem kann ich niemandem helfen und wegsehen.“
Mária legte die Hand sanft auf seinen Arm. „Gott segne dich, Tamás.“
Der Horizont begann zu glimmen. Die Dunkelheit der Nacht, die sie verfolgt hatte, schien endlich zu weichen.
Im Lastwagen herrschte Stille. Das Baby gluckste leise im Schlaf, und Tamás fühlte das pure Leben – wieder, klar und voller Hoffnung.