Szilvi stand regungslos da, in der Hand einen rosafarbenen Flakon. Die Geräusche des Geschäfts wirkten plötzlich weit entfernt, als hätte die Zeit selbst den Atem angehalten.
— Ich erkläre es dir… — flüsterte sie schließlich. — Nur… nicht hier.
Dann drehte sie sich hastig um, ließ ihren Einkaufswagen stehen und verschwand zwischen den Regalen. Ilona blieb wie angewurzelt zurück. Menschen schauten neugierig, flüsterten miteinander, aber sie hörte nichts. Innen jedoch spürte sie, dass etwas zerbrochen war.
Heimkehr in die Stille
Ilona erinnerte sich nicht, wie sie nach Hause kam. Die Tür schloss sich schwer hinter ihr, die Hände zitterten beim Drehen des Schlüssels. In der Wohnung herrschte absolute Stille, nur das leise Ticken der Uhr begleitete sie. Sie setzte sich ans Fenster, sah hinaus auf die langsam dunkler werdende Straße. Immer wieder tauchte vor ihrem inneren Auge dasselbe Bild auf: Szilvi, lebendig, lachend, voller Energie.
Abends wagte sie den Anruf bei Dávid. Das Telefon klingelte lange, bis er endlich abnahm:
— Mama, gerade ist kein guter Moment.
— Dávid, ich habe Szilvi gesehen — flüsterte Ilona. — Im Geschäft. Sie ist völlig in Ordnung.
Auf der anderen Seite folgte ein langes Schweigen, dann ein erschöpfter Seufzer.
— Mama, bitte fang jetzt nicht an. Du verstehst nicht…
— Was verstehe ich nicht? — Ihre Stimme zitterte leicht. — Dass du mich belogen hast? Dass alles nur ein Vorwand war, um an mein Geld zu kommen?
— Ich habe dich nicht belogen! — kam es zurück. — Ich… ich musste es tun.
— Musstest du? — wiederholte Ilona leise. — Musstest du alles nehmen, was ich über Jahre gespart habe?
Eine Pause. Dann, gebrochen und leise:
— Wir hatten Schulden, Mama. Szilvi hat Kredite. Wenn ich nicht gezahlt hätte, hätten wir die Wohnung verloren.
Ilona schloss die Augen.
— Also hast du mich verkauft, um dich selbst zu retten.
— Mama…
— Nenn mich nicht so — sagte sie und legte auf.
Sie weinte nicht. Sie konnte nicht. Sie saß einfach da und lauschte dem leisen Tropfen des Wasserhahns. Jeder Tropfen schien ein Stück Erinnerung zu sein: ein Weihnachten aus der Kindheit, ein Geburtstag, eine Umarmung.
Ein neuer Morgen, ein klarer Entschluss
Am nächsten Morgen stand Ilona früh auf. Sonnenstrahlen fielen durch die Vorhänge und spiegelten sich in der alten Teetasse vom Vorabend, in der noch eine getrocknete Zitronenscheibe lag. Sie nahm Stift und Papier:
„Dávid, komm jetzt nicht. Such mich nicht. Dein Leben gehört dir. Meins gehört mir.“
Den Zettel ließ sie auf dem Tisch liegen. Sie packte ein paar Dinge zusammen – Dokumente, alte Fotos, ein Erinnerungsstück an ihren verstorbenen Mann – und trat hinaus in die kühle Morgenluft.
Zwei Tage lang hörte sie nichts. Am dritten Tag meldete sich Szilvi am Telefon. Ihre Stimme war süß, doch die Worte klangen distanziert:
— Ilona, es tut mir leid. Wir wollten nicht, dass du es so erfährst. Es gab keine andere Möglichkeit.
— Nennen Sie mich nicht so — sagte Ilona ruhig. — Ich habe keine Schwiegertochter, die mir ins Gesicht lügt.
— Sie verstehen nicht! — rief Szilvi aufgeregt. — Die Wohnung wäre sonst verloren gewesen! Wir bringen jetzt alles wieder in Ordnung, wirklich!
— Ehrlichkeit kann man nicht auf Kredit kaufen, Szilvi.
Dann legte Szilvi auf. Stille.
Begegnung und Lektion
Eine Woche später stand Dávid vor der Tür. Er wirkte blass und erschöpft.
— Mama… ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Es tut mir leid. Ich wollte Szilvi nur helfen. Ich dachte, ich könnte alles regeln und es dir zurückgeben.
Ilona hob den Blick.
— Regeln? Indem du mir mein Sicherheitsgefühl gestohlen hast?
— Ich arbeite daran, Mama. Alles wird zurückkommen, ich verspreche es.
Sie lächelte, ruhig und friedlich.
— Es geht nicht um Geld, Dávid. Es geht darum, dass ich dich nicht mehr erkenne.
Dávid senkte den Kopf.
— Ich weiß nicht, wie ich um Entschuldigung bitten soll.
— Lerne Verantwortung zu übernehmen. Versteck dich nicht hinter anderen. Und wenn du eines Tages wieder in meine Augen sehen kannst, dann komm zurück.
Mit diesen Worten schloss sie die Tür. Draußen blieb jemand stehen, Schritte verhallten langsam im Treppenhaus.
Neubeginn und Selbstständigkeit
Drei Monate später hatte Ilona Arbeit gefunden, in einem kleinen Buchhaltungsbüro. Jeden Monat legte sie ein wenig Geld zur Seite – nicht für andere, nur für sich. Abends, vor dem Einschlafen, betrachtete sie ein altes Foto: sie und der kleine Dávid am Balaton, lachend am Strand.
„Wo ist der kleine Junge, der ich kannte?“ fragte sie sich.
Eines Abends wartete ein Umschlag im Treppenhaus. Darin: ein kleiner Zettel und ein paar Banknoten.
„Mama, ich habe angefangen, alles zurückzuzahlen. Ich gebe mein Bestes, damit du wieder stolz auf mich sein kannst.“
Ilona saß lange auf der Bank vor dem Haus, den Brief in den Händen. Die Dunkelheit fiel langsam, doch zum ersten Mal seit Langem fühlte sie wieder Freiheit.
Sie wusste nicht, wie lange es dauern würde, bis ihr Sohn alles wiedergutmachte. Aber eines war sicher: Die Ehrlichkeit hatte begonnen.