„Sind Sie sicher?“, fragte der Makler und blickte noch einmal durch die Dokumente. „Eine Schenkungsurkunde ist eine ernste Angelegenheit. Es wird schwierig, sie später zurückzubekommen.“
„Ich bin sicher“, sagte Jana. Ihre Hand zitterte nicht – sie hatte alles entschieden.
Ein Maimorgen durchflutete das Notariat mit Sonnenschein. Die Klimaanlage summte friedlich auf der Fensterbank, Kaffeeduft drang aus dem Empfangsbereich. Ein ganz normaler Tag, an dem ungewöhnliche Angelegenheiten geklärt werden.
„Mama weiß, was zu tun ist“, Jana versteckte eine Kopie der Dokumente in ihrer Tasche. „Wenn etwas passiert.“
Das war vor einem Jahr. Lange bevor Dima anfing, länger bei der Arbeit zu bleiben. Bevor das ungewohnte Damenparfüm auf seinen Hemden erschien. Vor den seltsamen Anrufen abends.
Jana war nicht naiv. Sie wuchs in einer Anwaltsfamilie auf, wo ihr von Kindheit an beigebracht wurde, immer zwei Schritte voraus zu denken. Sie kauften eine Wohnung mit ihrem Geld – einer Erbschaft ihrer Großmutter. Dima stand damals am Anfang seiner Karriere und unterschrieb eine Hypothek auf ein Auto.
„Liebling, überschreib mir die Immobilie“, hatte ihre Mutter lange mit ihr geredet. „Nicht wegen einer Scheidung, nur sicherheitshalber. Man weiß ja nie, was im Leben passieren kann.“
Und Jana stimmte zu. Ohne Skandal, ohne Erklärungen mit ihrem Mann. Sie überließ die Wohnung einfach ihrer Mutter. Laut den Unterlagen war es ein sauberer Deal. Doch in Wirklichkeit war es ein Notausgang.
Das Telefon klingelte – eine Nachricht von Dima: „Ich komme heute zu spät. Wichtiges Meeting.“
Jana lächelte traurig. Ein wichtiges Meeting. Wie gestern. Und vorgestern. Sie öffnete das Foto, das der Privatdetektiv geschickt hatte: Dima und eine Blondine gehen in ein Restaurant. Hände in die Hüften, glückliches Lächeln.
„Willst du auch?“ – Die Sekretärin reichte ihr eine Tasse Kaffee.
„Danke, aber ich habe keine Lust“, Jana stand auf. – „Ist alles bereit?“
„Ja, das komplette Paket mit den Dokumenten ist in einer Stunde da.“
Yana ging nach draußen. Der Mai war warm – der Flieder war bereits verblüht, aber die Luft duftete noch. Sie und Dima hatten sich im Mai kennengelernt, vor sechs Jahren. Er wirkte so zuverlässig, so treu. Sie glaubte…
Das Telefon klingelte erneut: „Liebling, es tut mir leid, es ist heute schon sehr spät. Warte nicht.“
„Okay“, antwortete sie. „Ich komme auch zu spät. Ich muss noch etwas klären.“
Im Café war es ruhig – die Nachmittagsflaute. Yana wählte einen Tisch am Fenster und holte einen Ordner mit Dokumenten heraus. Ihr und ihrer Mutter Lieblingsplatz – gemütlich, mit Gebäck wie in der Kindheit.
„Hast du alles mitgebracht?“ – Mama setzte sich ihr gegenüber und zog ihre leichte Jacke aus. – „Lass uns mal nachsehen.“
Jelena Sergejewna, die mit fünfundfünfzig aussah wie vierzig, war eine berühmte Familienanwältin. Sie hatte Hunderte von Scheidungen miterlebt und kannte alle Fallstricke.
„Hier ist der Kontoauszug“, Jana legte die Papiere hin. „Er hat fast das gesamte Geld vom Gemeinschaftskonto abgehoben. Gestern.“
„Er bereitet sich vor“, nickte Mama. „Und das hier?“
„Der Detektiv hat es geschickt. Die letzten drei Monate – Restaurants, Hotels, ein Juweliergeschäft …“
„Schmuck?“ Elena Sergejewna hob eine Augenbraue. „Hat er dir in letzter Zeit nichts geschenkt?“
„Nein“, lächelte Jana traurig. „Aber seine neue Freundin trägt ein Cartier-Armband. Das gleiche, das ich auf dem Kontoauszug gesehen habe.“
Die Kellnerin brachte ihren Lieblingslavendeltee. Jana rührte mechanisch den Zucker um – zwei Löffel, wie immer.
„Also, hier ist es.“ Mama holte ihr Tagebuch hervor. „Die Wohnung ist seit einem Jahr auf meinen Namen eingetragen. Sauber, legal. Keine gemeinsamen Kredite. Das Auto gehört ihm – lass ihn doch nehmen. Aber ich muss mich um die Rechnungen kümmern.“
„Mama, ich brauche kein Geld.“
„Doch“, Elena Sergejewna sah ihre Tochter streng an. „Es geht nicht nur um Geld – es geht um deine Jahre. Du hast gearbeitet, du hast gespart. Und er …“
„Ich weiß“, Jana drückte ihre Tasse. „Er hat gestern mit einem Anwalt gesprochen. Ich habe das Gespräch mitgehört. Über die Aufteilung des Eigentums, über die Wohnung …“
„Lass ihn reden“, lächelte Mama. „Er weiß nichts von der Schenkungsurkunde, oder?“
„Nein. Er glaubt, er kann die Hälfte einklagen. Oder zumindest einen Anteil.“
„Bist du sicher? Wegen der Scheidung?“
Jana schaute aus dem Fenster. Ein Paar ging die Straße entlang – sehr jung, Händchen haltend. So wie sie und Dima es einst getan hatten.
„Weißt du noch, du hast mir das Autofahren beigebracht?“, wechselte sie plötzlich das Thema. „Sie hat mir gesagt: Schau nicht nur nach vorne, sondern auch in die Spiegel. Dort könnte es gefährlich sein.“
„Ich erinnere mich“, Elena Sergejewna legte ihre Handfläche auf die Handfläche ihrer Tochter. „Und was siehst du jetzt im Spiegel?“
„Lügen. Verrat. Ein Doppelleben.“ Jana holte ihr Handy heraus und öffnete die Galerie. „Schau mal. Das war vor einer Woche – im Restaurant „Nebo“. Und das war vor drei Tagen – im Kino. Und das ist …“
„Schon gut“, Mama nahm vorsichtig das Handy. „Ich verstehe. Wann?“
„Heute. Er kommt später, nachdem er sie getroffen hat. Ich habe alles vorbereitet.“
„Dokumente?“
„Im Safe in deinem Büro. Ich habe meine Sachen geholt – das Nötigste. Den Rest hole ich später.“
Das Telefon klingelte – Dima wieder: „Etwas zum Abendessen kaufen?“
„Nicht nötig“, tippte Jana. „Wir führen ein ernstes Gespräch.“
Yana kam um sieben nach Hause. Die Wohnung roch frisch – sie hatte morgens die Fenster geöffnet, die Vorhänge gewechselt und die Vasen neu arrangiert. Der letzte Putz in diesem Haus.
Auf dem Tisch – ihr Hochzeitsfoto. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid, er einen grauen Anzug. Keine aufwendige Zeremonie, nur die Lieben. „Das Wichtigste ist nicht die Hochzeit, sondern das Leben danach“, sagte Dima. Er sagte es wunderschön.
Yana nahm das Foto und fuhr mit dem Finger über das Glas. Sechs Jahre. Sechs Jahre lang glaubte sie, dass bei ihnen alles echt sei.
Das Telefon klingelte – eine Nachricht vom Detektiv: „Sie verlassen das Restaurant. Schicke ein Foto.“
Auf dem Foto küsste Dima eine Blondine. Direkt auf der Straße, ohne sich zu verstecken.