— Wanja, könntest du einkaufen gehen? — Ljudmila Petrownas Stimme zitterte vor Müdigkeit. — Draußen ist es eisig, ich habe Angst auszurutschen…
— Mama, im Ernst? — antwortete Iwan gereizt. — Ich habe gerade Feierabend und kann mich kaum noch schleppen. Und Olja und ich wollten heute Abend einfach zusammen essen.
— Wanja, ich schaffe es nicht… — flehte die Frau leise.
— Mama, wie lange dauert das denn? Es gibt Lieferungen! Lern endlich zu bestellen, dann gibt es keine Probleme!
— Ich komme nicht dahinter, Junge. Vielleicht kannst du selbst für mich bestellen?
Im Hörer herrschte schwere Stille.
— Ich fahre gerade, es ist gerade ungünstig. Frag Natascha.
— Sie fragte… Sie sagte, sie sei beschäftigt.
— Okay, — murmelte Iwan, — ich rufe an, wenn ich da bin. Sag ihr, was du brauchst.
„Okay, ich warte“, wurde Ljudmila Petrowna munter. Doch eine Stunde verging, dann eine Sekunde – kein Anruf. Sie versuchte selbst anzurufen, aber ihr Sohn ging nicht ran. Nachbar Sergej kam ihr zu Hilfe und bestellte alles, was er brauchte. Als der Kurier die Lebensmittel brachte, stellte Ljudmila Petrowna sie in die Regale, und ihr Herz zog sich vor Groll zusammen. Warum hatte ihr das Schicksal das angetan?
Sie war eine gute Mutter. Zwei Kinder: der älteste Ivan und die jüngste Natalja. Ihr Vater starb, als Wanja sechzehn und Natascha elf war. Seitdem zog Ljudmila Petrowna sie allein groß. Sie arbeitete in zwei Jobs, nur um die Kinder auf die Beine zu stellen. Großmütter halfen, aber sie starben, und sie blieb ganz allein zurück.
Wenigstens gab es Wohnungen. Das Büro der Mutter war auf Wanjas Namen eingetragen – er war der Älteste und studierte am Institut. Selbst für die Wohnung brauchte er Geld, und seine Mutter half ihm weiterhin. Als ihr Großvater starb, ging seine Wohnung an Natalja. Ljudmila Petrowna finanzierte ihre Ausbildung und verzichtete auf alles, aber sie dachte nie daran, den Kindern die Wohnung wegzunehmen. Alles für sie.
Sie war immer da. Sie ging mit ihnen in Vereine, hospitierte im Unterricht, engagierte Nachhilfelehrer. Sie lebte für ihre Interessen und vergaß ihre eigenen. Und sie glaubte, dass sie im Alter ihre Stütze sein würden. Sie verlangte nicht viel – nur Fürsorge und Wärme.
Doch je länger, desto deutlicher wurde es: Die Kinder schätzten sie nicht. Geschenke zu den Feiertagen, seltene Anrufe – das war die ganze Dankbarkeit. Als Iwan einen Sohn bekam, saß sie den ganzen Tag bei ihrem Enkel. Natalja schenkte ihm auf Geschäftsreisen ihren Hund – einen frechen Hund, der bei jedem Wetter Gassi gehen musste. Ljudmila Petrowna lehnte nie ab. Aber die Kinder betrachteten ihre Hilfe als selbstverständlich.
Wenn sie Reparaturen brauchte, bat sie um Hilfe – zumindest um Rat. Aber Wanja war beschäftigt, und Natascha winkte ab: „Mama, nicht jetzt.“ Als Ljudmila Petrowna ins Krankenhaus kam, brachte ihr Nachbar Sergej die nötigen Medikamente. Die Kinder kamen für fünf Minuten vorbei und meinten, sie hätten geschäftliche Angelegenheiten.
„Mama, weißt du, ich kann das Krankenhaus nicht ausstehen“, zuckte Natalja zusammen.
„Niemand mag sie, Tochter“, antwortete Ljudmila Petrowna leise.
„Leg dich hin, werde gesund, dann unterhalten wir uns.“
Iwan rief wie immer seine Familie an: „Olja ist müde, ich muss mit dem Kind helfen.“ Und er ging, ohne sie auch nur zu umarmen.
Heute war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Glatteis bedeckte die Straßen von Twer, Ljudmila Petrowna schaffte es kaum nach Hause. Sie bat die Kinder, Lebensmittel zu bestellen – eine Kleinigkeit! Aber Wanja rief nicht zurück, und Natascha winkte ab. Tränen stiegen ihr in die Kehle, und in ihrer Seele war nur Leere.
Es gab nur einen glücklichen Moment. Noch vor Nataschas Geburt, als Wanja noch klein war, wurde sie in ein Sanatorium am Schwarzen Meer geschickt. Damals gab es noch keine Telefone, und niemand rief sie an. Eine ganze Woche lang spazierte sie am Ufer entlang, atmete die salzige Luft und fühlte sich frei. Das war ihre einzige Zeit „für sich“.
Nun lockte das Meer wieder. Mit fünfzig war der Neuanfang beängstigend, aber was hielt sie noch hier? Die Kinder waren erwachsen, sie brauchten sie nicht mehr.
Nur die Frage nach dem Geld blieb offen. Ljudmila Petrowna sah sich in ihrer Dreizimmerwohnung im Zentrum von Twer um. Sie hatte ihr Mann von seinem Vater, einem ehemaligen Beamten, geerbt. Jetzt gehörte die Wohnung ihr. Und sie schämte sich nicht, dass die Kinder sie nicht bekommen würden. Sie hatten bereits eine Wohnung von ihren Großeltern. Genug.
Am nächsten Morgen erschien ihr die Entscheidung nicht mehr verrückt. Über Freunde fand sie einen Makler, und die Wohnung war schnell und ohne unnötige Fragen verkauft.
Eines Tages rief sie die Kinder an und sagte, es sei dringend. Sie kamen nur widerwillig.
„Bist du krank?“, fragte Iwan mürrisch.
„Nein.“
„Warum dann die Eile?“, blaffte Natalja.
„Ich muss euch etwas sagen.“
Sie seufzten, genau wie damals, als sie als Kinder bei der Arbeit unterbrochen wurden.
„Sprich, Mama. Übrigens, wir bringen unseren Enkel übers Wochenende mit. Bleibst du bei ihm?“
„Das geht nicht, Wanja“, antwortete Ljudmila Petrowna ruhig.
„Warum?“, fragte Natalja misstrauisch.
„Ich gehe.“
„Wohin?“, fragten die Kinder wie aus einem Mund.
„Ans Meer“, lächelte sie. „Ich habe ein Haus in Anapa gekauft. Dort werde ich wohnen.“
– Mama, ist das dein Ernst? – Ivan lachte. – Wie willst du dort wohnen?
– Die Wohnung verkauft.
– Was?! – Natalja rastete aus. – Und du hast uns nicht einmal gefragt?!
– Ich würde ja gerne, aber du hast nie Zeit.
– Und was, wirst du in deinem Alter noch einen Job finden? – schrie Ivan.
– Werde ich. Von der Wohnung ist noch Geld übrig. Das reicht.
Die Kinder glaubten ihr zuerst nicht, aber als sie merkten, dass sie es ernst meinte, begannen sie zu überreden und zu schreien.
– Ihr seid alle … Ihr seid schon erwachsen, – sagte Ljudmila Petrowna leise und sah in ihre verwirrten Gesichter, – und ich werde endlich frei sein.