Der Mann hatte seine Frau verlassen, aber sechs Jahre später kehrte sie zurück … und brachte Zwillinge mit.

„Können wir reinkommen?“, fragte Elena und blickte ihn an.

Gabriel sah die beiden Kinder an: einen Jungen mit wildem schwarzen Haar und ein Mädchen, das Elenas tiefe, verträumte Augen geerbt hatte. Diese Ähnlichkeit traf ihn mitten ins Herz.

Wortlos trat er zur Seite und ließ sie herein. Das Haus war genau so, wie Elena es in Erinnerung hatte: elegant, ordentlich und kühl. Genau wie Gabriel selbst. Zu perfekt, um sich wirklich wohlzufühlen.

„Kinder“, sagte er und beugte sich zu den Zwillingen. „Es ist Zeit, dass ihr euch ausruht. Mama muss mit diesem Mann reden.“

Der Junge hob trotzig das Kinn, eine Geste, die Gabriel nur zu gut kannte.

„Ist er das?“, fragte er direkt und ignorierte die Anweisungen seiner Mutter. „Ist er unser Vater?“

„Mihai!“, schalt Elena ihn, aber ihre Stimme klang nicht barsch.

Das Mädchen war zurückhaltender und sah Gabriel schüchtern hinter ihrer Mutter hervor an. Ihr Blick war so intensiv, dass er sich unerwartet nackt fühlte.

„Ja“, antwortete Gabriel offen und verspürte den Wunsch, dem ehrlichen Blick des Jungen mit derselben Offenheit zu begegnen. „Ich glaube, ich bin dein Vater.“

Mihai nickte, als bestätigte sich sein Verdacht. Das Mädchen trat noch weiter hinter Elena zurück.

„Maria ist schüchtern“, erklärte Elena. „Aber sobald sie dich kennenlernt, redet sie ununterbrochen.“

Gabriel führte die Kinder ins Gästezimmer, ein Zimmer, das immer leer gewesen war und auf Besuch gewartet hatte, der nie kam.

Er bot ihnen etwas zu essen an und schaltete den Fernseher ein, um ein Kinderprogramm zu suchen. Er fühlte sich unbehaglich und fremd in der Rolle des Gastgebers seiner eigenen Kinder.

Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, stand Elena am kalten Kamin und betrachtete die gerahmten Fotos. Nur ein Hochzeitsfoto war noch da, fast versteckt im Schatten einer Pflanze.

„Du hast doch nicht geglaubt, dass ich jemals wiederkomme, oder?“ Sie fragte, ohne ihn anzusehen.

Warum hast du das getan?“, erwiderte er, und die alte Wut flammte in ihm wieder auf. Sechs Jahre, Elena. Sechs Jahre, in denen ich nicht wusste, ob du noch lebst oder tot bist. Und jetzt bist du plötzlich mit zwei Kindern zurück?

Elena drehte sich zu ihm um, ihr Gesicht blass im Dämmerlicht.

„Ich habe versucht, dich zu kontaktieren, Gabriel. Ich habe dir in den ersten Monaten Briefe geschrieben. Hast du sie bekommen?“

Gabriel schüttelte verwirrt den Kopf.

„Nein, ich habe nie etwas bekommen. Niemals.“

Ein Anflug von Verständnis huschte über Elenas Gesicht.

„Deine Mutter“, flüsterte er. „Sie hat nie geglaubt, dass ich gut genug für dich bin.“

Gabriel setzte sich, plötzlich erschöpft. Seine Mutter war vor drei Jahren gestorben und hatte ihre Geheimnisse offenbar mit ins Grab genommen.

„Warum bist du gegangen?“, fragte er und kehrte zu der Frage zurück, die ihn sechs Jahre lang gequält hatte. „Ich habe dich mit ihm gesehen, Elena.“ Mit deinem Chef.“

Ich wollte dir eigentlich verzeihen, aber du bist einfach verschwunden.“

Elena holte tief Luft, als würde sie sich auf einen lang ersehnten Streit vorbereiten.

Ich habe dich nie betrogen, Gabriel. Niemals. An diesem Tag war ich im Krankenhaus. Ich erfuhr, dass ich schwanger war, und hatte Angst. Robert – ja, mein Chef – fuhr mich, weil ich so zitterte, dass ich nicht fahren konnte.

„Aber ich habe dich umarmen sehen!“, warf Gabriel ein.

Er hat mich umarmt, weil ich geweint habe, Gabriel. Weil ich schwanger war, Angst hatte und er wusste, dass du keine Kinder wolltest. Du hast mir so oft gesagt, dass nur deine Karriere zählt.

Gabriel spürte, wie der Boden unter seinen Füßen bebte. Es stimmte: Er war besessen von seinem Job, davon, in der Firma aufzusteigen. Kinder waren nie Teil seines Plans.

„Als ich an dem Tag nach Hause kam und du anfingst, mich anzuschreien und mir Vorwürfe zu machen …“, fuhr Elena leise fort, damit die Kinder es nicht hörten, „brach etwas in mir zusammen.

Ich wusste, ich konnte kein Kind in eine Ehe bringen, in der so wenig Vertrauen herrschte.“

Sie hielt inne und holte tief Luft.

„Aber das ist nicht die ganze Wahrheit, Gabriel.“ Deshalb bin ich nicht hier.“

Er griff in seine Tasche und zog eine Krankenakte heraus. Sie legte sie vor ihm auf den Tisch.

Maria ist krank. Sie braucht eine Knochenmarktransplantation. Weder ich noch Mihai passen zusammen. Du bist ihre letzte Hoffnung.

Gabriel betrachtete die Akte, und die medizinischen Begriffe verschwammen vor seinen Augen. Eine ernste Diagnose, begrenzte Möglichkeiten, wenig Zeit.

„Wie lange weißt du das schon?“, fragte er mit zitternder Stimme.

Sechs Monate lang. Ich habe alles versucht, Gabriel. Experimentelle Behandlungen, anonyme Spender. Nichts hat geholfen. Die Ärzte sagen, ein biologischer Vater sei seine beste Option.

Gabriel schloss die Akte überwältigt. In nur wenigen Stunden hatte sich sein Leben komplett verändert. Er war nicht nur Vater zweier Kinder, die er nie kennengelernt hatte; er hätte eines von ihnen retten können.

„Ich werde die Tests durchführen“, sagte er ohne zu zögern. „Kostenlos.“

Zum ersten Mal sah Elena ihn mit aufrichtiger Dankbarkeit an.

„Danke. Es tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe, aber ich hatte keine Wahl.“

„Ich bin derjenige, der sich entschuldigen sollte“, erwiderte Gabriel. „Für alles.“

Maria erschien mit großen, ernsten Augen in der Wohnzimmertür.

„Bist du böse auf Mama?“, fragte sie plötzlich.