Als mir zum ersten Mal offenbart wurde, dass ich nie wieder laufen könne, zeigte ich keine Tränen. Nur ein Nicken, fast so, als hätte ich eine Wettervorhersage vernommen: Sonnig mit einer Möglichkeit der Lähmung. Mitleid war das Letzte, was ich brauchte. Auch leere „Du bist so stark“-Worte halfen mir nicht. Vielmehr wollte ich lediglich den Freiraum, meinen Verlust zu spüren, obwohl ich nicht einmal benennen konnte, was genau mir fehlte.

Als die Krankenschwester mir erklärte, dass ich Unterstützung im Alltag brauchte, wies ich das kategorisch zurück. „Ich schaffe das allein“, behauptete ich entschlossen. Doch in Wahrheit funktionierte so gut wie nichts: Die Küche glich einem Schlachtfeld, das Duschen war ein Kampf, und von heruntergefallenen Löffeln gar nicht zu sprechen.
In dieser schwierigen Zeit trat Saara in mein Leben. Ganz anders als erwartet: jünger, direkter und keineswegs besonders freundlich. Ohne jegliches Mitleid fragte sie nur: „Wo ist dein Kaffee?“ und machte sich routiniert daran, mir eine Tasse zuzubereiten – so, als gehöre das zu ihrem Alltag.
Zunächst hielt ich Abstand. Keine persönlichen Gespräche, keine Fragen. Saara unterstützte mich bei den unverzichtbaren Dingen und zog sich dann wieder zurück. Doch allmählich ertappte ich mich dabei, wie ich über ihre schrägen Witze lachte. Ich begann kleine Dinge zurückzulegen – Bücher und Artikel, von denen ich dachte, sie könnten ihr gefallen.

Eines Tages erlitt ich einen Zusammenbruch wegen einer Kleinigkeit: Ich ließ eine Schüssel fallen und konnte sie nicht erreichen. Wütend auf die Welt saß ich einfach da. Saara beeilte sich nicht, die Situation zu verbessern, sondern setzte sich neben mich auf den Boden und sagte ruhig: „Es geht doch nicht um die Schüssel, oder?“
In diesem Moment öffnete sich etwas in mir. Es wurde klar: Ich brauchte keine reine Pflege oder Hilfe. Vielmehr schenkte sie mir das Gefühl, dass es um etwas anderes ging. So, als hätte ich nicht alles verloren. Vielleicht musste diese Verbindung nicht als Niederlage empfunden werden.
Gestern schließlich offenbarte Saara mir, dass sie mit dem Gedanken spielt, wegzuziehen. Meine Emotionen waren durcheinander. Saara saß mir gegenüber, hielt ihre Tasse Tee in den Händen, ihr dunkles Haar war wie gewohnt zu einem Dutt gebunden, und sie trug denselben weiten Pullover. Doch sie wirkte ernst – eine Ausnahme zu ihrem sonst so humorvollen Wesen.

„Ich habe ein Jobangebot bekommen“, teilte sie ruhig mit. „In der Klinik. Eine Vollzeitstelle mit klareren Abläufen, Sozialleistungen und Altersvorsorge.“
„Das klingt super“, antwortete ich, obwohl sich ein Kloß in meinem Hals bildete. „Das hast du dir wirklich verdient.“
Doch dann fügte sie leise hinzu: „Der Arbeitsplatz ist drei Stunden entfernt.“ Diese Worte hingen schwer zwischen uns. Drei Stunden – nicht ganz das andere Ende der Welt, aber dennoch eine Entfernung, die unser Miteinander unwiderbringlich verändern würde.
„Ich verstehe“, sagte ich schließlich mit einem erzwungenen Lächeln. „So eine Chance darf man nicht verpassen. Du hast hart gearbeitet, um hier zu stehen.“
Sie sah mich fragend an. „Bist du sauer?“
Ich musste lachen, doch das Geräusch war hohl. „Sauer? Warum sollte ich? Es ist doch eine gute Nachricht – du solltest sie annehmen.“

Innerlich jedoch fühlte ich mich, als hätte man mich fest gepackt und ins Mark getroffen. Ich wollte laut werden, sie bitten zu bleiben, ihr zeigen, wie sehr sie mir bedeutete – nicht nur als Pflegekraft, sondern als jemand, der zu einem Teil meines Lebens geworden war. Doch stattdessen blieb ich stumm und zog an der Decke.
In den darauf folgenden Tagen versuchte Saara, das Thema erneut anzusprechen, doch ich wich aus. Ich versicherte ihr, dass ich ihre Entscheidung nachvollzog und mich freute. Vielleicht entsprach das teilweise der Wahrheit. Hauptsächlich aber fürchtete ich mich – vor Einsamkeit, davor, in den Zustand vor ihrem Kommen zurückzufallen, ohne jemanden, der einfach neben mir sitzt, während ich über eine zerbrochene Schüssel weine.
Eines Nachmittags half Saara mir, alte Fotos zu sortieren – eine Aufgabe, die ich lange vor mir hergeschoben hatte. Plötzlich blieb sie stehen und hob ein Bild von einem Wanderurlaub auf. Deutlich erinnerte ich mich an diesen Tag, kurz vor dem Unfall: Erschöpft, aber fröhlich hatten wir den Gipfel erstiegen und Selfies mit dem weiten Himmel und den Bäumen gemacht.
„Du siehst wirklich glücklich aus“, bemerkte Saara und hielt mir das Foto hin.
„Ja, das war ich“, gab ich zu, strich über den Bildrand. „Früher liebte ich das Abenteuer. Heute freue ich mich, wenn ich bis zum Briefkasten komme, ohne müde zu werden.“

Ihr Gesicht wurde weicher. „Fehlst es dir?“
Ich schnauzte zurück und bereute es sofort: „Natürlich. Es tut mir leid. Ich vermisse es, aber ich kann nicht zurück.“
„Nein“, bestätigte sie sanft, „aber vielleicht kannst du vorankommen.“
„Was meinst du genau?“
Sie lehnte sich vor und stützte ihre Ellbogen auf die Knie. „In der Region gibt es Sportprogramme, die speziell für Menschen mit Einschränkungen konzipiert sind. Hast du das jemals probiert?“
Ich sah sie ungläubig an. „Adaptive Sportarten? Für jemanden wie mich?“
„Für jeden, der es einfach versuchen möchte“, berichtete sie. „Rollstuhlbasketball, Handbike, sogar Klettern. Ich habe es letzte Woche besucht. Vielleicht interessiert dich das.“
Mein Herz krampfte schmerzhaft. „Warum tust du das für mich?“
Sie antwortete schlicht: „Weil du mir wichtig bist. Und ich glaube daran, dass du stärker bist, als du denkst.“

„Manchmal bringt allein der Glaube an unsere eigene Stärke neue Türen zum Vorschein.“
Lange schwieg ich, unsicher über Neues – besonders etwas Körperliches – zu beginnen. Was, wenn ich scheitere? Wenn ich mich blamiere? Wenn ich erkenne, dass ich vieles, was ich geliebt habe, nicht mehr kann?
Doch beim Gedanken an Saaras Weggang, allein vor mir die alten Bilder eines Lebens zu betrachten, das unwiederbringlich vorbei ist, wurde mir klar: Vielleicht sollte ich nicht länger dem Vergangenen nachtrauern, sondern herausfinden, was ich noch gewinnen kann.
Eine Woche später begleitete mich Saara ins adaptive Sportzentrum. Die helle, einladende Einrichtung war voller Rollstuhlfahrer, die sich gegenseitig anfeuerten und lachten. Nicht eine Spur von Mitleid oder Überheblichkeit. Stattdessen eine lebendige Gemeinschaft.
Wir begannen ganz klein: Ich versuchte, Basketball im Rollstuhl zu spielen – unbeholfen dribbelte ich und kippte beinahe um. Saara stand neben mir und jubelte jedes Mal, wenn ich den Ball erfolgreich warf. Am Ende war ich schweißgebadet, mit blauen Flecken, aber glücklich.

„Gut gemacht“, lobte sie und reichte mir eine Wasserflasche. „Ich hab’s dir doch gesagt.“
„Nicht so frech“, erwiderte ich, und doch klang der Stolz in meiner Stimme unverkennbar.
Mit jedem weiteren Tag tauchte ich tiefer in das Programm ein. Basketball, Fahrradgruppen, Anfänger-Klettern. Jede Herausforderung bewältigte ich besser als erwartet, sowohl körperlich als auch emotional. Und stets war Saara an meiner Seite: Sie ermutigte mich, glaubte an mich und zeigte mir, dass ich zu viel mehr fähig war, als ich angenommen hatte.
Der Tag kam jedoch, an dem Saara endgültig gehen musste.
An ihrem letzten Morgen fand ich sie in der Küche beim Packen. Sie drehte sich um, als sie mich bemerkte, und schenkte mir ein Lächeln, das ihre glänzenden Augen nicht verbergen konnte.
„Bist du bereit?“, fragte ich mit sanfter Stimme.
„So bereit wie möglich“, antwortete sie. „Und du? Heute Abend großes Spiel?“
Ich grinste. „Ja. Das erste offizielle Spiel. Drück mir die Daumen.“
„Glück brauchst du nicht“, sagte sie bestimmt. „Du schaffst das.“

Zum Abschied umarmten wir uns. Als sie die Tür öffnete, spürte ich den altbekannten Verlust, doch er fühlte sich diesmal anders an. Ich war mir sicher, dass nicht alles verloren war. Saara hatte mir etwas Wertvolles geschenkt: den Glauben an ein erfülltes, bedeutungsvolles Leben, auch wenn es anders verlaufen würde, als geplant.
Am Abend zeigte ich mein bestes Spiel. Als die Schlusssirene erklang und unser Team gewann, hob ich jubelnd die Arme, Tränen liefen meine Wangen hinab. Von den Familien auf den Rängen entdeckte ich Saara, die für einen letzten Höhenflug zurückgekehrt war.
Später in der Umkleidekabine grinste sie mich an. „Siehst du?“, sagte sie, „Ich hab’s dir doch gesagt.“
„Danke“, flüsterte ich und zog sie in eine feste Umarmung. „Für alles.“
Sie erwiderte die Umarmung. „Versprich mir nur eines.“
„Was denn?“
„Dass du voranschreitest.“
Dieses Versprechen gab ich ihr.
- Manchmal treten unverhoffte Menschen in unser Leben und verändern alles.
- Sie lehren uns, Widerstandskraft und Mut zu zeigen.
- Sie erinnern uns daran, dass Verlust auch Wachstum bedeuten kann.
- Und dass der Blick nach vorn die Vergangenheit nicht auslöschen muss.

Abschließend lässt sich sagen: Auch wenn ein Kapitel zu Ende geht, birgt die Begegnung mit neuen Menschen und Erfahrungen die Kraft, unser Leben auf unerwartete Weise zu bereichern. Die Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, sich auf Veränderung einzulassen und den Mut zu finden, weiterzugehen – in welcher Form auch immer das Leben sich präsentiert.