Verrat und Neubeginn: Marinas Geschichte von Liebe, Enttäuschung und Hoffnung

Als Marinawährend ihres letzten Treppenabsatzes ihr Telefon klingelte, griff sie hastig nach dem mobiltelefon in ihrer Tasche. Die Nummer war ihr unbekannt.

„Hallo?“, fragte sie vorsichtig.

„Marina?“, ertönte eine besorgte Frauenstimme. „Hier spricht Olga Sergejewna, die Sekretärin von Denis. Kannst du bitte dringend vorbeikommen? Wir haben eine ernste Situation.“

„Ehemann, Freundin und Verrat: Ihr Gespräch hörte ich mit an und ging für immer.“

„Was ist passiert?“, fragte Marina angespannt.

Olga zögerte, sagte dann nur: „Am besten kommst du selbst. Ich kann nur sagen, dass dein Mann und Kristina…“

Der Name Kristina ließ Marinas Herz bis zum Hals schlagen. Sie unterbrach das Gespräch abrupt. Kristina war nicht nur ihre Stellvertreterin, sondern auch ihre beste Freundin seit Studienzeiten.

Wenige Minuten später betrat Marina das Architekturbüro, das sie in den vergangenen fünf Jahren leitete. Denis, ihr Ehemann, war der Finanzdirektor, und Kristina ihre rechte Hand sowie begabte Designerin.

Die Tür zum Besprechungsraum stand einen Spalt offen, und Marina vernahm Denis’ Stimme:

„Mach dir keine Sorgen, ich werde alles regeln. Marina wird für das Projekt nach Petersburg fahren, dann starten wir unser gemeinsames Unternehmen. Das wollte ich schon lange…“

„Und was, wenn sie nicht zustimmt wegzugehen?“, fragte Kristina mit fester Stimme. „Ich bin schwanger, Denis. Das Kind ist von dir. Ich habe es meinem Mann bereits erzählt.“

Marina öffnete die Tür weit. Drei Paare von Augen blickten sie an: die von Denis, Kristina und Olga.

Auf dem Tisch lag ein Geschäftsplan mit einem Logo, das die Initialen von Denis und Kristina kunstvoll verschmolz.

Als Marina und Denis sich kennenlernten, hatte sie gerade ihr Architekturstudium abgeschlossen. Ihre Karriere entwickelte sich rasch. Nach einem Jahr übernahm sie kleinere Projekte. Innerhalb von drei Jahren führte sie ihr eigenes Büro. Denis stieß später zur Firma, wurde jedoch schnell unentbehrlich. Er brachte Ordnung in die Finanzen und akquirierte neue Kunden.

Ihr Herbsthochzeitstag mit seinen goldgelben Blättern und kühlem Wind wirkte wie der Beginn eines perfekten Lebens. Eine florierende Firma, eine großzügige Wohnung, zwei Reisen jährlich.

Doch die Freude trübte ein Schatten: Trotz diverser Untersuchungen blieb Marina kinderlos. Ärzte erklärten ihr, dass medizinisch alles in Ordnung sei und sie einfach Zeit brauche.

Doch die Zeit verstrich, ohne Veränderung. Denis wurde zunehmend distanziert, verbrachte mehr Zeit im Büro und zeigte weniger Zuneigung. Marina schob dies auf Stress und berufliche Belastung.

Doch nun, im eigenen Büro stehend, erfasste sie endlich die Wahrheit.

„Wie lange dauert das schon?“, fragte sie überraschend ruhig.

Kristina senkte den Blick, Denis trat vor.

„Ich wollte nicht, dass du es so erfährst. Wir wollten… reden“, stammelte er und suchte nach Worten.

„Drei Monate? Ein halbes Jahr? Ein Jahr?“, klang in ihrem Ton keine Wut, nur Erschöpfung.

„Acht Monate“, flüsterte Kristina.

Marina nickte nachdenklich. Acht Monate – genau die Zeit, als sie und Denis zuletzt ernsthaft über Kinder sprachen. Er hatte eine künstliche Befruchtung vorgeschlagen, sie wollte noch warten. Kristina trennte sich von ihrem Mann und tauchte vollständig in die Arbeit ein. So erklärte sie ihre späten Heimkehrzeiten.

„Ich gehe“, sagte Marina, griff nach ihrer Tasche. „Morgen wird mein Anwalt dich kontaktieren wegen Scheidung und Geschäftsaufteilung.“

„Wohin?“, fragte Denis verwirrt.

„Das spielt keine Rolle“, erwiderte sie kalt und wandte sich an Kristina. „Überprüfe erst einmal, von wem das Kind ist. Ihr kennt euch jetzt bereits anderthalb Jahre, und die Schwangerschaft kam erst jetzt. Vielleicht liegt das Problem nicht bei mir.“

Kristina explodierte:

„Ich bin gesund! Im Gegensatz zu manchen! Denis will Kinder, er braucht eine richtige Familie!“

Marina lächelte sarkastisch: „Natürlich, denn eine richtige Familie dreht sich nur um den Nachwuchs, oder?“

Ohne sich umzudrehen verließ sie den Raum. Im Flur erreichte Olga sie.

„Marina Alekseyevna, entschuldigen Sie den Anruf, aber ich dachte, Sie sollten es wissen.“

„Danke, Olga. Sie haben richtig gehandelt.“

Der Zug raste nach Norden, während Wälder in Herbstfarben vorbeiflitzten – golden und rot wie an jenem Hochzeitstag. Doch diesmal fuhr sie allein, ohne ihn.

Marina reiste in ein kleines Dorf in Karelien, wo ihr Onkel Nikolai Petrowitsch, ein bekannter zurückgezogener Künstler, lebte. Er freute sich stets über ihren Besuch. Außerdem hatte er ein freies Haus – eine alte Werkstatt am Seeufer.

Genau dorthin suchte Marina Zuflucht, um Heilung zu finden und ihre Zukunft zu ordnen.

Nach dem Gespräch mit dem Anwalt schaltete sie ihr Telefon aus. Denis versuchte sicher vergeblich, sie zu erreichen. Sie wollte davon nichts wissen.

Der Onkel begrüßte sie am Bahnhof. Ein großer Mann mit grauem Haar, wachen Augen und wettergegerbtem Gesicht.

„Kaum wiederzuerkennen – du bist total zur Städterin geworden, blass dazu.“

„Und du bleibst dir treu. Die Zeit scheint an dir vorbeizugehen.“

„Liegt wohl daran, dass ich hier draußen an der frischen Luft lebe, nicht in einem stickigen Büro.“

„Setz dich, wir fahren heim.“

Onkels alter Geländewagen rumpelte durch den Wald. Marina blickte nachdenklich aus dem Fenster und war sich sicher, dass ihre Entscheidung, hierher zu kommen, richtig war.

Abends erreichten sie das Haus – die alte Werkstatt stand am See, umgeben von Kiefern. Drinnen roch es nach Farben, Holz und einer vertrauten, längst vergessenen Atmosphäre, die Marina zu Tränen rührte.

„Mach es dir bequem“, sagte ihr Onkel, „ich bleibe im großen Haus, du kannst dich ausruhen. Morgen reden wir.“

Nachdem er gegangen war, gab Marina der unterdrückten Trauer nach. Lange weinte sie, ließ Schmerz und Enttäuschung frei.

Nach Mitternacht beruhigte sie sich und trat auf die Veranda. Der Vollmond spiegelte sich im See und tauchte alles in silbernes Licht. Tief atmete sie die kühle Luft ein. Hier konnte sie sich wiederfinden.

„Manchmal heilt Zeit, manchmal helfen neue Begegnungen.“

Drei Monate vergingen. Marina lebte bei ihrem Onkel, half im Haushalt und malte gelegentlich. Früher war sie talentierte Malerin, bevor sie sich der Architektur widmete.

Onkel sah ihre Bilder an und meinte:

  • „Schade, dass du keine Malerin geworden bist.“
  • „Es steckt wirklich etwas in dir.“

„Dafür ist es zu spät“, winkte sie ab.

„Nie zu spät“, widersprach er.

Die Scheidung verlief schnell und reibungslos. Ihr Anwalt regelte alles, Denis kaufte ihre Unternehmensanteile zu einem fairen Preis. Gemeinsam arbeiten konnten sie nicht mehr.

Von der Schwangerschaft Kristinas erfuhr Marina durch eine ehemalige Kollegin, die ihr vorsichtig mitteilte:

„Sie machen noch kein Aufheben, aber Kristina ist im fünften Monat, sagt man. Es wird wohl ein Junge.“

„Ich freue mich für sie“, antwortete Marina lakonisch.

„Wirklich?“

„Ja, jeder erhält, was er verdient.“

Sie verschwieg, dass sie anhand der Zeitrechnung Vermutungen hatte, dass Kristina kurz nach Beginn ihrer Affäre mit Denis schwanger wurde. Offenbar war es nicht ihr Schicksal, seine Kinder zu bekommen.

In dem Dorf lernte Marina den örtlichen Arzt Igor kennen – etliche Jahre älter, der aus Petersburg wegen der Ruhe hierhergekommen war. Der großgewachsene Mann mit sanften grauen Augen und leisem Ton gefiel ihr sofort.

Oft spazierten sie am Seeufer entlang, redeten über alle möglichen Dinge. Igor drängte nicht auf ihre Geschichte, und sie erzählte nur langsam.

Eines Abends beim Sonnenuntergang am See sagte Igor:

„Ich weiß, warum du hier bist. Dein Onkel hat mir davon erzählt.“

„Was hat er gesagt?“, fragte Marina gespannt.

„Dass du Zeit brauchst, tief verletzt wurdest, aber er hat keine Details genannt. Ich möchte dir nur sagen: Zeit kann heilen, und manchmal helfen Begegnungen.“

Marina nickte. Zum ersten Mal seit langem spürte sie Hoffnung aufkeimen.

Ein halbes Jahr später beschloss sie, für eine Woche nach Moskau zurückzukehren, um ihre letzten Sachen zu holen und endgültig abzuschließen.

Onkel stimmte zu:

„Es ist richtig, nicht ewig wegzulaufen. Man muss der Vergangenheit ins Gesicht sehen.“

„Ich komme in einer Woche zurück“, versprach sie.

„Ich freue mich schon, und auch Igor wird dich vermissen.“

Marina errötete, denn ihre Beziehung mit Igor entwickelte sich langsam, aber beständig. Geduldig wartete er, als wüsste er, dass sie Zeit brauchte.

Moskau empfing sie mit Lärm und Hektik. Nach der Ruhe der karelischen Wälder wirkte die Stadt fremd und kalt.

Sie übernachtete bei einer Freundin und fuhr dann in die frühere Wohnung mit Denis, um persönliche Dinge und Möbel abzuholen.

Eigentlich sollte Denis nicht auftauchen – diese Vereinbarung hatten sie über ihre Anwälte getroffen. Doch während sie die letzten Sachen zusammensuchte, öffnete er plötzlich die Tür.

Der frühere Ehemann wirkte erschöpft: abgenommen, eingefallene Augen, dunkle Schatten darunter.

„Entschuldige, ich wusste, dass du hier bist“, begann er. „Wir müssen reden.“

„Worüber?“, fragte sie kühl. „Alles ist geklärt.“

„Über Kristina. Über das Kind“, stotterte er. „Sie ist weg, Marina.“

„Was heißt ’weg’?”

„Sie sagte, sie kann nicht so leben, es ist zu schwer… Sie ist zu ihren Eltern nach Spanien gegangen und hat das Kind mir überlassen.“

Marina setzte sich auf das Sofa. Damit hatte sie nicht gerechnet.

„Und das Kind? Bist du dir sicher, es ist deins?“

„Ja“, nickte Denis. „Der Test wurde gemacht.“

Marina schwieg, unsicher, was sie sagen soll. Schließlich fragte sie:

„Und jetzt? Was soll das bedeuten?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete er ehrlich. „Der Junge kam vor einem Monat zur Welt, ich nannte ihn Kirill. Kristina verließ mich eine Woche nach der Geburt. Sie fühlt sich nicht bereit, Mutter zu sein.“

Marina erinnerte sich, wie Kristina stets schnell für neue Ideen brannte, diese aber genauso schnell verglühten. Sie war ein flammender, aber kurzlebiger Funke.

„Ich habe meine Schwiegermutter gebeten, sich um den Kleinen zu kümmern“, fuhr Denis fort, „aber sie kann nicht dauerhaft auf ihn aufpassen. Und ich arbeite…“

„Was erwartest du von mir?“, unterbrach Marina ihn scharf.

„Nichts. Es ist nur…“, riss er sich die Haare aus dem Gesicht, „ich bin verwirrt, Marina. Ich dachte, ich liebe sie. Doch inzwischen weiß ich nicht einmal, was Liebe bedeutet.“

Marina stand auf.

„Zeig mir das Kind“, sagte sie überraschend.

Denis blickte erstaunt, nickte dann.

„Er ist mit meiner Mutter im Nebenraum.“

Kirill schlief in einem kleinen Reisebett, ein winziges Wesen mit dunklem Flaum auf dem Kopf und dicken Wangen. Vorsichtig berührte Marina seine kleine Hand – im Schlaf umschloss er liebevoll ihren Finger.

Ein Gefühl berührte ihr Herz. Das Kind war unschuldig an den Fehlern der Erwachsenen.

„Ich fordere nicht, dass du zurückkommst“, flüsterte Denis hinter ihr. „Ich wollte nur, dass du es weißt.“

Marina wandte sich ihm zu:

„Ich werde nicht zurückkehren. Nicht jetzt und vielleicht niemals. Aber ich kann für das Kind da sein.“

„Ernsthaft?“, fragte er ungläubig.

„Ja“, nickte sie. „Nicht für dich, sondern für ihn.“

An diesem Abend rief Marina nach langer Zeit Igor an und erzählte ihm offen ihre Geschichte. Er hörte aufmerksam zu und sagte dann das, was sie innerlich erhofft hatte:

„Ich komme mit dir mit. Wenn du entscheidest, dem Kind zu helfen, werde ich an deiner Seite sein.“

Ein Jahr später saß Marina auf der Veranda ihres Hauses am See und beobachtete, wie der kleine Kirill seine ersten unsicheren Schritte auf Igor zutrug. Der Junge lebte zwar mit dem Vater in Moskau, doch an den Wochenenden kamen sie gemeinsam zu Besuch nach Karelien.

Denis hatte die gemeinsame Wohnung verlassen und wohnte jetzt allein. Kristina meldete sich nur noch selten, erkundigte sich nach ihrem Sohn, kehrte jedoch nicht zurück. Ihr neues Leben in Spanien schien ihr zu gefallen, zumindest sagte sie das.

Marina eröffnete ein eigenes Architekturbüro in Petrosawodsk. Igor arbeitete weiter im Dorf und unterstützte sie in seiner Freizeit bei der Betreuung des Jungen.

Ihre Beziehung wuchs stetig, ohne Hast, mit voller Hingabe an den Moment.

Vor Kurzem erfuhr Marina, dass sie schwanger war. Obwohl sie und Igor dies nicht geplant hatten, erfüllte die Nachricht sie beide mit Freude. Die früheren Zweifel an ihrer Fähigkeit, Mutter zu werden, zerstreuten sich.

Kirill plumpste lachend ins Gras, Igor hob ihn hoch und wirbelte ihn herum. Marina lächelte und fühlte, wie das Leben, das einst von Verrat zerschmettert wurde, langsam wie ein Mosaik neu zusammengesetzt wurde.

Schlussgedanke: Diese Erzählung zeigt, wie tiefgreifender Verrat und schmerzhafte Enttäuschungen durch Zeit, Abstand und neue Verbindungen in Stärke und Hoffnung verwandelt werden können. Marinas Weg beweist, dass aus Verlust und Schmerz ein neues, erfülltes Leben entstehen kann.