Das Schicksal der kleinen Sweta: Eine Geschichte von Verlust und Hoffnung
Sweta beobachtete mit einem Anflug von Neid, wie Eltern ihre Kinder einsammelten, um nach Hause zurückzukehren.
„Misha, weine nicht, wir kommen morgen wieder“, tröstete eine Mutter ihr Kind.
„Kolenka, Papa wartet zu Hause auf uns. Lass uns sofort gehen“, ermahnte eine andere.
„Katyusha, der Sand bleibt hier. Wir spielen morgen wieder und backen dann Kuchen“, fügte eine dritte hinzu.
Doch Sweta hielt sich fern vom Spielplatz. Sie war fast acht Jahre alt und fühlte sich älter als die anderen Kinder. Außerdem hatte man sie abgewiesen, als sie versuchte, sich den Spielen anzuschließen. Die jüngeren Kinder verjagten sie mit Beleidigungen und Vorwürfen.
„Landstreicherin! Du hast bestimmt Läuse oder vielleicht Krätze.“
Daraufhin setzte sie sich zwischen die Büsche und ließ die Tränen fließen, die sie den ganzen Tag begleiten würden.
Vor einiger Zeit — obwohl es Sweta wie eine Ewigkeit vorkam — hatte sie eine Mutter. Sie lebten in einem großen Dorf, und ihre Mutter war freundlich und fürsorglich. Dann wurde diese krank und kehrte nie wieder aus dem Krankenhaus zurück. Swetas Tante Olya, die Schwester ihres Vaters, den Sweta nie kennengelernt hatte, nahm sie zu sich.
Die Mutter mochte Tante Olya nicht, und für Sweta war diese Frau eine unberechenbare Gestalt, die nur Streit und Probleme brachte, besonders wenn sie betrunken war. Sweta wollte nicht zu ihrer Tante in die Stadt ziehen, doch als diese androhte, ihr würde etwas zustossen, wenn sie sich weigerte, verstand Sweta zunächst nicht, doch bald schon erlebte sie es selbst.
Sweta blieb nicht lange bei der Tante. Nachdem diese die Formalitäten erledigt und das Geld erhalten hatte, kümmerte sie sich kaum noch um sie. Mehrfach fand Sweta die Haustür verschlossen vor, während ihre Tante drinnen schlief.
Einmal sorgte eine Nachbarin für Aufruhr, als sie Sweta im Flur sah. Sie weckte die Tante auf und drohte, die Polizei zu rufen. Nach diesem Vorfall verbot die Tante Sweta streng das Verlassen des Hauses. Doch als die Tante erneut betrunken war, nutzte Sweta die Gelegenheit zur Flucht.
Wie lange sie auf der Straße blieb, wusste sie nicht — vielleicht ein oder zwei Monate. Sie lernte, von freundlichen Passanten Essen zu erbetteln, aus Angst, die Tante könnte sie finden. Sie vermisste ihre Mutter sehr. In der Nacht weinte sie so viel, dass es ihr am Morgen schwerfiel, selbst zu lächeln. Wenn der Schmerz unerträglich wurde, sang sie ein Wiegenlied, das ihre Mutter ihr als Kind vorsang. Die Worte waren unklar, doch die Melodie schenkte ihr Trost.
Ihre Mutter erzählte ihr, das gleiche Wiegenlied habe auch ihre Großmutter gesungen. Sweta hatte die Großmutter nie kennengelernt, doch wusste, dass sie aus der Ferne kam. Warum das so war, wusste sie nicht, aber diese Melodie war der unsichtbare Faden ihrer Kindheit.
Als der Spielplatz leer war, schaukelte Sweta noch etwas, rutschte die Rutsche hinab und machte sich auf den Weg zu einem alten, verlassenen Gebäude. Der Keller diente anderen obdachlosen Kindern wie ihr oft als Zuflucht. Sie waren unterschiedlicher Herkunft und Schicksale.
- Einige waren aus Waisenhäusern geflohen,
- andere wurden immer wieder eingefangen und zurückgebracht,
- einige flohen wegen Familienstreitigkeiten, kehrten aber oft zurück,
- und manche bezeichneten sich selbst als “Reisende”, auf der Suche nach einem Ort zum Umherziehen.
Beim Abstieg in den Keller bemerkte Sweta sofort, dass sich etwas verändert hatte. Das Versteck war entdeckt worden, und es waren Erwachsene dort. Ohne nachzudenken, floh sie, ohne zu wissen, wohin.
Manchmal dachte sie, es wäre besser, in ein Waisenhaus zu gehen. Aber der Gedanke an die Tante quälte sie.
Sie rannte auf den alten Friedhof zu, einen Zufluchtsort vieler Kinder. Zwischen Grabsteinen und Denkmälern konnte man sich besser verstecken. Sie setzte sich hinter ein Geländer unter die dichten Äste einer Thuja.
Die Atmosphäre war überraschend ruhig. Sie bewunderte die Engelsskulpturen auf den Gräbern und betrachtete fasziniert die Fotos auf den Grabplatten.
Während sie eine Inschrift studierte, spürte sie etwas unter ihrem Fuß – ein Telefon. Sie schaute sich um; alles war still, nur das entfernte Ticken eines Zuges war zu hören. Sie wusste, dass sie es nicht anrühren sollte, doch die Neugier siegte.
Sitzend unter dem Baum hielt sie das Telefon in den Händen und setzte sich auf eine Bank. Sie besaß nie etwas Derartiges, obwohl andere Kinder ihr ähnliche Geräte zeigten, bei denen man nur Tasten drücken musste.
Sie blies den Staub weg und drückte eine Taste. Der Bildschirm wurde hell, das Gerät funktionierte wirklich. Die Bilder fesselten sie. Sie wählte keine Nummer, sondern betrachtete das Display fasziniert.
„Ist das nicht ein Traum? Jeder wünscht sich so etwas“, dachte sie.
Sie ahnte, dass der Eigentümer es vermissen musste und wollte nicht als Diebin erscheinen. Sie überflog den Bildschirm, um zu sehen, was passierte.
Der Gedanke, jemanden anzurufen, um das Fundstück zu melden, war da – vielleicht für eine Belohnung. Doch das Telefonieren erschien ihr beängstigend.
Plötzlich sah sie einen ihr vertrauten Namen in den Kontakten: „Mama“. Sie lächelte. Immer hatte sie geglaubt, Mütter könnten nicht böse oder angsteinflößend sein. Sie versuchte, die bösen Frauen vom Spielplatz zu vergessen.
Nach einer kurzen Pause verstummte das Telefon. Gerade als sie auflegen wollte, erklang statt des Freizeichens eine Melodie: das Wiegenlied, das ihre Mutter ihr vorgesungen hatte.
Tränen strömten ihr über das Gesicht. Sie konnte nicht antworten, als jemand „Hallo“ am anderen Ende sagte. Leise schluchzte sie.
„Schatz, warum weinst du?“ fragte eine sanfte Stimme.
„Ich… habe dein Telefon gefunden“, stammelte sie.
„Mein Telefon? Das gehört Vanya, meinem Sohn. Wo bist du, Kleine?“
„Auf dem Friedhof“, murmelte Sweta.
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„Auf dem Friedhof? Es wird dunkel. Wir bleiben am Telefon, damit du keine Angst hast“, beruhigte die Stimme.
Sweta weinte noch stärker, unfähig, sich zurückzuhalten.
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„Warum weinst du? Hörst du mich? Hast du Angst? Sprich mit mir, ich komme gleich“, fuhr die fürsorgliche Stimme fort.
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„Nein… es ist nur das Lied… das Wiegenlied, das Mama mir sang…“
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„Welches Lied?“ mischte sich eine männliche Stimme ein.
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„Das, das gerade gespielt wurde…“
Stille. Danach sprach die Frau wieder, sanft:
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„Wie heißt deine Mama, Kleine?“
Sweta schluchzte und antwortete:
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„Sie ist nicht mehr da, sie ist im Himmel…“
Ein Rascheln, die Verbindung brach ab. Nach einem Moment war die Stimme zurück:
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„Wir sind auf dem Weg, mach dir keine Sorgen. Bist du noch da?“
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„Ja…“
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„Was siehst du um dich herum?“
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„Da sind Denkmäler mit Engeln und Fotos.“
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„Sind dort auch Thuja-Bäume?“
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„Ja.“
Abgelenkt von den Fragen vergaß Sweta den Schmerz.
Sie hörte Stimmen näherkommen und hob den Blick: Vor ihr standen ein Mann und eine Frau. Die Frau sah aus wie eine Großmutter, wenn auch anders als die, die sie sich vorgestellt hatte. Sie war blass, aber Sweta fürchtete sich nicht.
Verwirrt bedeckte sie ihr Gesicht und begann zu weinen. Jemand umarmte sie.
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„Hab keine Angst, alles ist gut, Schatz. Hast du dich verlaufen?“
Sweta nahm die Hände weg und flüsterte:
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„Nein, ich habe kein Zuhause. Der Platz, wo ich schlief, ist jetzt besetzt. Und du siehst so aus wie meine Mama…“
Der Mann half der Frau, Sweta zu setzen und gab ihr Medikamente. Dann setzte er sich Sweta gegenüber und sah ihr in die Augen.
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Er sprach:
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„Möchtest du mit uns kommen? Jemand könnte widersprechen, wie dein Vater?“
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„Nein, ich habe meinen Vater nie kennengelernt. Und Mama…“ zögerte Sweta.
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„Mach dir keine Sorgen“, beruhigte sie der Mann und wandte sich an die Frau. „Wir nehmen sie mit, einverstanden?“
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„Natürlich, Vanya. Schatz, ich bin Karina Sergeevna. Komm mit uns?“
Sweta nickte. Alles schien besser als ein leerer Friedhof. Vanya nahm sie in die Arme, und sie machten sich auf den Weg zum Auto.
Sweta verstand nicht, warum sie getragen wurde, obwohl sie selber laufen konnte. Doch die Umarmung gab ihr Trost, und bald schlief sie ein.
Im Auto wachte sie bei sanften Stimmen auf:
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„Vanya, was machen wir jetzt?“
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„Mama, mach dir keinen Vorwurf. Es ist passiert.“
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„Ich fühle mich verloren. Mein Herz schmerzt. Wenn wir nur diese Person finden könnten…“
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„Wir müssen alles tun, um sie glücklich zu machen.“
Als das Auto anhielt, fragte Sweta:
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„Kanntet ihr meinen Vater? Ich habe ihn nie gesehen. Mama sagte, er sei verschwunden. Sollen wir nach ihm suchen?“
Der Mann nickte:
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„Ich verspreche, ich werde ihn finden.“
Die Frau legte die Hand auf ihre Schulter:
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„Wir haben jetzt viel zu tun. Wir sprechen später.“
Sweta stieg aus und erblickte ein großes Haus vor sich.
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„Ist das euer Zuhause? Leben viele Menschen darin?“
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„Nein, nur wir und einige Helfer. Komm, tritt ein.“
Eine ältere Frau empfing sie:
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„Oh, Schatz, du bist ihr ganz ähnlich!“
Sweta erkannte, dass alle dort ihre Mutter kannten.
An diesem Abend, als sie in einem sauberen Bett lag, kam Karina zu ihr.
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„Svetochka, wir waren in Eile und hatten keine Zeit, uns besser kennenzulernen. Ich bin deine Großmutter.“
Sweta stand überrascht auf:
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„Wirklich?“
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„Ja, ich bin die Mutter deiner Mutter. Und Vanya ist dein Onkel.“
Karina sah die Tränen über die Wangen ihrer Enkelin laufen.
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„Ich werde dir alles erzählen. Vor vielen Jahren lernte deine Mutter Veronica einen fremden jungen Mann kennen. Sie verliebten sich und flohen zusammen.“
Sweta fragte leise:
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„Warum habt ihr sie nicht in Ruhe gelassen?“
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„Wir waren dagegen, weil er von einem leichten Leben ohne Arbeit träumte. Wir warnten Veronica, dass er kein guter Mann sei, doch sie hörte nicht zu. Sie wurde verletzt und brach den Kontakt ab. Jahre später hörten wir, sie sei zurück in der Stadt, aber dann verschwand sie. Leider ist sie nicht mehr unter uns.“
Karina erinnerte sich, dass kurz nach Veronicas Flucht ihr Ehemann, Veronicas Vater, krank wurde und starb. Sie und Vanya blieben allein zurück.
Sanft betrachtete sie die schlafende Sweta und richtete die Decke:
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„Es tut mir leid, Kleine. Ich hätte dich früher suchen sollen. Ich verspreche, alles zu tun, damit du glücklich bist.“
Sie küsste Sweta und schloss die Tür hinter sich, während in ihr eine Ruhe einkehrte, die sie seit dem Verlust ihrer Tochter nicht mehr gefühlt hatte.
Fazit: Die bewegende Geschichte von Sweta zeigt den tiefen Schmerz von Verlust und Ablehnung, aber auch die heilende Kraft von Mitgefühl, Hoffnung und Familie. Trotz schwerer Prüfungen eröffnet sich für sie durch Begegnungen mit Menschen, die sie unterstützen, die Möglichkeit eines Neubeginns und eines liebevollen Zuhauses.