„Was daran ist unverständlich?“ fragte Vera Pawlowna, die Schwiegermutter, während sie ihre makellos frisierten Haare zurechtrückte. „Zu meinem Jubiläum werden nur hochangesehene Gäste kommen. Professoren, Kulturschaffende – das ist ein ganz bestimmter Kreis. Und du … na ja, du verstehst schon. Kochkurse sind nicht gerade die Musikakademie.“
Sonia blieb wie erstarrt. Den letzten Monat über hatte sie die Vorbereitung dieses Jubiläums übernommen.
„Aber Vera Pawlowna, ich bin doch die Frau Ihres Sohnes“, widersprach sie behutsam.
„Genau deswegen – vorerst nur die Ehefrau“, entgegnete ihre Schwiegermutter mit einem spitzen Ton. „Meine Feier wird entspannter verlaufen, wenn du dich nicht mit deinen… kulturellen Gewohnheiten aufdrängst. Dort werden anständige Menschen sein! Bleib zu Hause und bring weder dich noch mich in Verlegenheit!“
Zu diesem Zeitpunkt kehrte Igor, Sonias Ehemann, von der Arbeit zurück. Sie erwartete, dass er ihr beistehen würde.
„Mama meint, es sei besser, wenn ich nicht zum Jubiläum komme“, sagte sie, ihre Augen auf ihn gerichtet.
„Wie das?“, runzelte Igor die Stirn. „Sonia hat sich doch so intensiv vorbereitet…“
„Ach, Igor, sei nicht so“, lachte Vera Pawlowna und richtete seinen Kragen. „Ich habe nur gesagt, dass es ihr dort langweilig sein wird. Außerdem gibt es viel im Haushalt zu tun. Vielleicht kommt sie zum Ende des Abends vorbei, um dich heimzubringen. Wir wollen doch, dass sich alle wohlfühlen.“
Sonia fühlte sich wie betäubt. „Spezifik?“ „Wohlfühlen?“ Sie hatte eine Antwort von ihrem Mann erwartet, doch sein Telefon klingelte und er verließ die Küche.
Später suchte Sonia das Gespräch mit ihm:
„Deine Mutter verbietet mir faktisch, zu kommen.“
„Sie verbietet nicht, sie schlägt vor“, seufzte Igor schwer. „Sonia, Mama sorgt sich nur um ihr Ansehen… Sie erwartet wichtige Gäste.“
„Also würde ich ihr Fest mit meinem ›Image‹ verderben?“
„Ach komm, du übertreibst. Mama ist etwas konservativ. Lass uns doch einen Kompromiss finden? Du kommst später.“
„Kompromiss?“ Sonia spürte, wie etwas in ihr zerbrach. „Man demütigt mich und du sprichst von Kompromissen?“
„Jetzt ist nicht die Zeit für Streit“, wischte Igor sich müde die Stirn.
„Gut, ich habe deine Haltung verstanden“, sagte Sonia, während Erinnerungen an zahllose Male aufkamen, in denen ihr Mann schweigend demütigende Bemerkungen seiner Mutter hinnahm.
Am Tag des Jubiläums, als Igor seine Krawatte richtete, meinte er:
„Ich gehe jetzt, Sonia. Langweile dich nicht.“
„Klar“, nickte sie. „Ich wünsche dir eine schöne Zeit.“
Sobald die Tür hinter ihm zufiel, wählte Sonia einen Anruf bei ihrer Freundin Katja.
„Magst du dich treffen? Ich habe heute plötzlich frei.“
Sie saßen entspannt in ihrem Lieblingscafé, Sonia erzählte von dem Vorfall. Nach dem Essen machte sie ein Foto von ihrem Dessert und veröffentlichte es mit dem Text: „Manchmal bedeutet Einsamkeit Freiheit.“
Igor kam spät zurück, leicht angetrunken, und berichtete vom Jubiläum.
„Mama hat übrigens nach dir gefragt“, erzählte er. „Sie hat bedauert, dass du nicht da warst. Vielleicht hat sie überreagiert.“
„Vielleicht?“, lächelte Sonia trocken.
„Bitte, fang nicht damit an. Die Feier war prima. Vergiss das.“
Aber Sonia konnte nicht vergessen. Zwei Wochen lebte sie wie in einer anderen Welt, während in ihr ein Entschluss heranreifte.
Am Ende dieser Zeit legte sie auf dem Küchentisch einen Ordner mit einer Scheidungsklage ab.
„Ich habe die Scheidung eingereicht“, sagte sie ruhig, als Igor von der Arbeit kam.
Er blinzelte ungläubig, unfähig, das Gehörte zu begreifen.
„Was? Wegen eines Tages? Wegen des Jubiläums deiner Mutter?“
„Nein, Igor. Nicht wegen eines Tages. Wegen unseres ganzen Lebens. Weil ich immer nur Nebenrolle war. Für dich, für deine Mutter. Nur eine praktische Haushaltshilfe, die man bittet, alles zu erledigen, aber nicht in gutes Gesellschaft mitzunehmen ist.“
„Sonia, du übertreibst!“
„Nein, das war das Fass, das zum Überlaufen brachte. Du hast nicht einmal bemerkt, wie man mich herabsetzte. Für dich war alles in Ordnung.“
„Bist du sicher? Vielleicht solltest du es dir noch überlegen?“
„Ich habe darüber nachgedacht. Zwei Wochen lang.“
„Ich dachte nicht, dass es so ernst ist.“
„Ich weiß. Das ist genau das Problem.“
Ein Monat später betrat Sonia, nun ohne den Nachnamen ihres Ehemannes, eine kleine Mietwohnung. Die Scheidung war schnell vollzogen, Igor widersprach nicht. Sie zog ihre alte Geschäftsplanung für ein Café hervor, ein Projekt, das sie lange als Zukunftsplans aufgeschoben hatte.
„Anscheinend sind die besten Zeiten endlich gekommen“, dachte Sonia lächelnd. Sie war nun die Hauptfigur in ihrem eigenen Leben, nicht länger eine Randfigur.
„Manchmal bedeutet Einsamkeit nicht nur Isolation, sondern den Anfang echter Freiheit.“
Wichtige Erkenntnis: Sonias Geschichte illustriert, wie tiefverwurzelte gesellschaftliche Erwartungen und familiäre Spannungen Entscheidungen prägen können. Sie zeigt den Mut, sich gegen Unterdrückung zu erheben und ein selbstbestimmtes Leben zu beginnen.
Abschließend verdeutlicht diese Erzählung die oft unsichtbaren Konflikte im Schatten scheinbar harmloser Familientreffen. Sonias Weg von der Unterordnung zur Selbstbestimmung steht exemplarisch für die Kraft, neue Wege zu gehen, wenn alte Rollen nicht mehr akzeptabel sind.