„Papa, findest du sie hübsch?“ Diese unerwartete Frage von Sonia brachte Alexandre zum Lächeln. Nach einer ganzen Woche des Zögerns konnte er nun endlich seiner Tochter von seinem bevorstehenden dritten Ja-Wort erzählen. Obwohl die zukünftige Ehefrau schon in einem Monat bei ihnen einziehen würde, hatte er das Thema sorgfältig vermieden.
Sonia war außergewöhnlich klug für ihr Alter. Manchmal überraschte sie mit Gedanken, die Erwachsene ins Grübeln brachten. Selbst Alexandre, erfolgreicher Geschäftsmann, fand sich oft von ihren Fragen und Einsichten verblüfft.
„Natürlich ist sie schön! Ihr werdet euch bestens verstehen. Sie wird dir viele Dinge beibringen – wie man sich kleidet oder welche Kleidung gut zusammenpasst…“
Sonia brach in ein herzliches Lachen aus:
„Papa, hör auf damit! Das ist zu komisch!“
Auch Alexandre lachte mit. Seine Tochter galt als kleine Modeikone in ihrem Freundeskreis. Obwohl er manchmal nur mit zusammengekniffenen Augen ihre extravaganten Outfits betrachtete, zeigte er sich stets stolz. Wenn Sonias Freundinnen sie bewunderten und ihre Mütter fragten, wer das modische Talent gewesen sei, blickte er voller rührender Zufriedenheit auf seine Tochter.
Als Anführerin zeigte Sonia viel Selbstständigkeit. Alexandre fragte sich häufig, ob er nicht zu selten Zeit mit ihr verbrachte. Die Kleine war eigenständig, gut organisiert und fand allein oder mit der Nanny Beschäftigung – sei es Lesen, Zeichnen oder handwerkliches Basteln. Die langjährige Nanny schwärmte oft: „So ein Kind habe ich selten erlebt! Einmal erklärt, versteht sie alles sofort. Und wenn sie Gedichte vorträgt, klingt es, als hätte sie sie selbst verfasst und jedes Wort verinnerlicht.“
Obwohl Alexandre stolz auf seine Tochter war, war ihm bewusst, dass sein persönlicher Anteil an ihrer Erziehung vergleichsweise klein war. Meistens lag ihre Betreuung bei der Nanny und der Haushälterin Natasha. Während der Urlaube erlebten sie jedoch ungeteilte Nähe: Sonia strahlte vor Glück und folgte ihrem Vater auf Schritt und Tritt, der einfach nur froh war, Zeit mit ihr zusammen zu verbringen – dabei ließ er sogar seinen Laptop zu Hause.
„Wann kommt sie denn?“ fragte Sonia neugierig.
„In ungefähr einem Monat.“
„Und wie heißt sie?“
„Alice.“
„Dann bereite ich eine Überraschung für sie vor!“
„Mach nur, Sonia. Es freut mich, wie gut du damit klar kommst. Ich hatte Angst, du würdest dagegen sein…“
Die Kleine blickte ernsthaft zu ihrem Vater auf:
„Nein, Papa. Ich verstehe: Zuhause braucht man eine Frau.“
Alexandre zögerte kurz und wusste zunächst nicht, wie er antworten sollte. Sein Anruf unterbrach die Szene, und Sonia winkte fröhlich, bevor sie ins Haus eilte.
Sonia hatte bereits ihre Überraschung geplant: Eine freundliche Geste für ihre künftige Stiefmutter. Sie wollte ihre Sprache lernen. Ein Monat war wenig Zeit, doch sie wollte die wichtigsten Wörter und Redewendungen üben. Sofort kontaktierte sie ihre ehemalige Nanny, die gerne helfen wollte.
Während ihr Vater zum Büro fuhr, vertiefte sich Sonia in ihre Bücher oder hörte mit Kopfhörern französische Unterrichtseinheiten. Alexandre erinnerte sich an die schwere Zeit, als Lena vor einem Jahr verstarb. Damals glaubte er, sein Leben sei vorbei. Dank Lenas Mutter fand er langsam zurück: Sie stand Sonia in dieser schweren Zeit bei, obwohl sie selbst vom Verlust erschüttert war. Alexandre hingegen hatte kaum Wahrnehmung für seine Umgebung.
Er erinnerte sich an den Tag, als seine Schwiegermutter sein Büro betrat. Alexandre saß mit einem Glas Cognac vor Lenas Bild, als sie alles auf dem Schreibtisch wegwischte, das Kinderbett aufstellte und mit harten Worten sagte:
„Du bist egoistisch! Nein, viel schlimmer: ein Monster! Lena hätte nie gewollt, dass du deine Tochter so vergisst! Ich habe meine einzige Tochter verloren, aber ich bin für Sonia da. Du bist schwach! Jetzt gehe ich. In einer Woche bin ich wieder da.“
Dann verließ sie den Raum.
Alexandre blieb betroffen zurück, während Sonia ihn mit großen Augen betrachtete und schließlich weinte. Verunsichert las er die von seiner Schwiegermutter hinterlassenen Pflegeanweisungen und begann, Verantwortung zu übernehmen. Nach einigen Tagen fühlte es sich weniger furchteinflößend an. Er lächelte Sonia aufmunternd zu:
„Wir schaffen das!“
Zwei Wochen vergingen ohne Nachricht von seiner Schwiegermutter. Als Alexandre ihr Zuhause besuchte, erfuhr er, dass sie wegen eines Herzinfarkts im Krankenhaus lag. Er wollte laut schreien, weil ihn niemand informiert hatte, doch sein Handy war kaputt.
Er bestattete Lidia Mikhaïlovna neben Lena und flüsterte auf dem Friedhof:
„Danke, dass du mir geholfen hast, wieder zu leben. Für Sonia werde ich alles tun. Sie wird glücklich sein.“
In sieben Jahren hatte er seine kleine Firma zur großen Gesellschaft ausgebaut und galt nun zu den erfolgreichsten Unternehmern des Landes.
Bei der Arbeit begrüßte ihn Rita, seine rechte Hand, Lenas ehemalige Freundin und Sonias Patin.
„Sasha, das Flugticket für deine Verlobte ist gebucht. Sie fliegt am ersten des Monats um siebzehn Uhr.“
„Das klingt gut, danke.“
„Wie hat Sonia reagiert?“
Alexandre wurde angespannt:
„Warum fragst du?“
„Nur aus Neugier…“
Bevor Rita ging, besann sich Sasha:
„Entschuldige, ich war schroff. Sonia hat die Nachricht gut aufgenommen, sogar freudig gewirkt.“
Rita lächelte:
„Sonia ist toll. Ich hoffe, sie verstehen sich gut.“
Alexandre glaubte einen Anflug von Traurigkeit in ihrer Stimme zu lesen, war sich aber unsicher.
Am Abend rief Alice an. Nach den üblichen Höflichkeiten fragte sie:
„Sasha, wo lernt deine Tochter?“
„Im Gymnasium.“
„Hast du nicht darüber nachgedacht, ihr eine erstklassige Ausbildung zu ermöglichen? Vielleicht sollte sie ins Ausland gehen?“
„Alice, lass uns bitte nicht mehr über solche Dinge sprechen.“
Nach einer Pause wurde ihre Stimme sanfter:
„Entschuldigung. Ich wollte nur das Beste für sie. Ich dachte an ihre Zukunft.“
Sasha empfand leichte Genervtheit. Überall schien man sich mehr um Sonia zu sorgen als er selbst.
Er bemerkte, dass seine Tochter seit einem Monat intensiv Französisch lernte, die Sprache ihrer Stiefmutter. Innen lächelte er über diese liebevolle Geste. Doch er verriet Alice nichts – Sonias Überraschung sollte geheim bleiben. Obwohl Alice perfekt Russisch sprach und im Ausland aufgewachsen war, wusste Alexandre kaum etwas über sie. Nur, dass sie einige angeschlagene Schuhgeschäfte besaß, die er nach der Hochzeit unterstützen wollte – entweder mit Investitionen oder einer Niederlassung in Russland.
Sonia bestand darauf, Alice zusammen mit ihrem Vater zu empfangen. Die junge Frau kam nicht mit leeren Händen: Sie schenkte der Tochter ein Parfümset für Kinder, was Sonia begeisterte, genauso wie ein riesiges Plüschtier, überreicht von Paten.
Doch Alexandre war von Beginn an skeptisch: Alice hatte einer Freundin gesagt, dass sie Kinder nicht besonders mochte. Als diese sie zu einem Ort einlud, wo Kinder dabei sein würden, lehnte sie ab.
Nach dem Telefonat stellte Sasha vorsichtig die Frage:
„Du bist kein großer Fan von Kindern?“
„Ich würde nicht sagen, dass ich sie liebe. Ich vermeide sie lieber.“
Sie kannten sich nur wenige Tage und hatten gerade ihr erstes gemeinsames Abendessen außerhalb des Hotels gehabt.
„Warum fragst du?“
„Aus Interesse. Ich habe eine Tochter.“
Alice runzelte leicht die Stirn:
„Vielleicht hast du auch eine Frau?“
„Nein. Meine Frau ist schon vor langer Zeit gestorben.“
Alice legte voller Mitgefühl ihre Hand auf seine:
„Es tut mir leid. Ich wusste das nicht…“
Ihre ehrliche Stimme rührte Sasha, der lediglich nickte. „Zumindest ist sie aufrichtig“, dachte er.
Alice wurde schnell zu einem festen Bestandteil von Alexandre Leben, das bald ohne sie unvorstellbar schien. Attraktiv, intelligent, perfekt erfüllte sie seine Träume.
Mit einem gemeinsamen Abendessen feierten sie die Rückkehr nach Hause. Alice war überrascht:
„Gehen wir nicht essen?“
Alexandre lächelte verschmitzt:
„Kein Restaurant würde mit unseren hausgemachten Kuchen konkurrieren! Später vielleicht, aber heute Abend ist Familienzeit: Du, ich und Sonia.“
Alice grinste:
„Du hast recht. Ich bin müde. Zuhause ist es besser.“
Am Morgen begab sich Alexandre zur Arbeit. Sonia bereitete sich vor, indem sie Wörter wiederholte. Im Wohnzimmer telefonierte Alice auf Französisch, sicher, dass niemand mithörte. Doch Sonia hörte Bruchstücke und wandte sich schnell ab, um in einem Buch zu lesen – dabei übersetzte sie gedanklich.
Als Alice das Zimmer betrat, rannte Sonia zur Haustür:
„Rita! Ich brauche deine Hilfe!“
„Was ist los, mein Schatz?“
„Komm und hol mich ab und bring mich zu Papa, ohne dass er es vorher weiß! Ich muss dringend mit ihm sprechen!“
„Was ist passiert?“
„Bitte, Rita! Beeil dich!“
Innerhalb von fünfzehn Minuten saß Sonia mit Notizbuch bewaffnet im Auto und überprüfte hektisch ihr Handy.
„Sonia, wer hat dir wehgetan?“
Die Tochter schaute auf, weit aufgerissene Augen:
„Nicht ich. Aber sie werden Papa betrügen!“
Als Sasha sie gemeinsam mit Rita in seinem Büro fand, war er schockiert:
„Im Ernst? Was macht ihr hier? Wie bist du reingekommen? Erklär dich, Rita!“
„Beruhig dich. Hör zuerst auf deine Tochter und hör auf, dich als Serienheld zu sehen, der immer Recht hat und den Kindern nie glaubt.“
Alexandre stand regungslos und war von Ritas Ton überrascht. Währenddessen beendete Sonia das Schreiben:
„Fertig! Die Übersetzung ist da!“
„Fertig? Wofür?“
„Für das, was Alice am Telefon gesagt hat. Ich habe fast alles verstanden, nur ein paar Worte fehlten.“
Alexandre nahm das Papier:
„Welche Worte?“
„‚Schwaches Gift‘ und ‚kleinlich‘ — es ging um mich…“
Alexandre wurde bleich. Er wandte sich an seine Tochter:
„Erzähl mir alles!“
Ungläubig ging er im Büro auf und ab. Alice war also bereits verheiratet und führte mit ihrem Ehemann Gespräche, damit dieser Sasha um finanzielle Unterstützung bat. Eine tatsächliche Heirat hatte sie nicht vor!
Die Sicherheitsüberprüfung bestätigte die Wahrheit. Alice hatte einen anderen Mann und zwei Kinder, die sie nie traf. Sie war hochverschuldet wegen Spielsucht und brauchte das Geld von Sasha, um ihre Schulden zu tilgen.
Wütend schlug Alexandre auf den Tisch:
„Diese Schurkin! Ich schwöre dir, ich werde sie zur Rechenschaft ziehen!“
Eine Woche später saß er mit Sonia zu Hause. Alice wurde aufgefordert, sofort zu gehen, verbunden mit einer klaren Nachricht von Sasha: „Geh, oder ich werde mich kümmern.“ Sie begriff sofort und fiel in Ohnmacht.
„Papa?“
„Ja, mein Schatz?“
„Du hast nichts vergessen?“
Mit gerunzelter Stirn fragte Sasha:
„Was denn?“
In diesem Moment wurde ihm klar: Heute war Sonias Geburtstag!
Ein lautes Klopfen ertönte. Eine riesige rosa Plüschfigur stand vor der Tür, gefolgt von Rita mit Geschenken.
Leise murmelte Sasha:
„Rita… Ich habe es total vergessen…“
Ohne ein Wort zu sagen, antwortete sie:
„Ich habe es vermutet. Wir sagen einfach, es war geplant.“
Sonia war überglücklich und tanzte langsam mit dem großen Kuscheltier. Zum ersten Mal wurde ihr eine so große Maskottchen-Figur geschenkt! Und was für schöne Präsente von ihren Paten!
Beim Zubettgehen flüsterte Sonia:
„Es wäre schön, wenn Rita bei uns wohnen würde…“
Überrascht blickte Sasha sie an, dann sah er lange Rita an. Schließlich fragte er:
„Rita, warum bist du nicht verheiratet?“
Sie wurde rot:
„Das ist nicht wichtig. Ich muss gehen.“
Er trat näher, berührte ihr Kinn:
„Warte. Glaubst du wirklich, ich bin dumm?“
Rita seufzte:
„Dann bleib ruhig dabei…“
Während die beiden sich unterhielten, schlief Sonia ein, ohne zu wissen, dass ihr Wunsch in sechs Monaten in Erfüllung gehen würde.
Zusammenfassung: Diese Geschichte zeichnet ein Bild von einer komplexen Familienkonstellation, in der Vertrauen, Enttäuschungen und Hoffnung eng miteinander verknüpft sind. Alexandre kämpft sich durch bedeutende Veränderungen und familiäre Herausforderungen, während seine Tochter Sonia trotz der Umstände zu einer selbstbewussten jungen Persönlichkeit heranwächst. Die Beziehung zu seiner Verlobten Alice wird auf die Probe gestellt, doch die Unterstützung durch vertraute Menschen wie Rita bildet einen Anker in dieser bewegten Zeit.