Eine besondere Geburtstagsfeier: Natal’jas vierzigster Geburtstag zwischen Familie und Selbstfindung

Am Morgen wachte Natal’ja früher als gewöhnlich auf. Noch mit geschlossenen Augen erinnerte sie sich daran, dass sie heute vierzig Jahre alt wird. Diese Zahl, einst weit entfernt, begegnete ihr nun jeden Tag im Spiegel, begleitet von feinen Fältchen an den Augenwinkeln.

Ihr Ehemann Sergej schnarchte ruhig neben ihr und bemerkte kaum, wie sie vorsichtig aus dem Bett schlüpfte. In den letzten Jahren war sein Schlaf tiefer geworden, und sein Interesse an ihr schien zu schwinden. Ein Blick auf die Uhr offenbarte 5:30 Uhr – bis zum Eintreffen der Gäste gab es noch viel vorzubereiten.

Leise schloss sie die Zimmertür hinter sich und begab sich in die Küche. An diesem Tag würde ihre Dreizimmerwohnung Schauplatz für die Zusammenkunft zweier Welten sein: die ihrer Familie und Sergejs Freunde. Nach all den gemeinsamen Jahren hatten sie es nie geschafft, eine echte gemeinsame Familie zu formen. Während ihre Freundinnen sich meist den familiären Pflichten widmeten, hatten sich Sergejs Bekannte kaum verändert.

Ein starker Kaffee wurde zubereitet, der Kühlschrank geöffnet. Seit dem Vorabend hatte Natal’ja Fleisch mariniert, Gemüse geschnitten und Zutaten für Salate vorbereitet. Jetzt fehlte nur noch die Verwandlung zu einem festlichen Mahl. Gewöhnlich bestellten sie zu Geburtstagen außer Haus oder gingen essen, doch der vierzigste Geburtstag war etwas Besonderes. Sie wünschte sich ein warmes, hausgemachtes Gericht, das sie selbst zubereitet hatte.

„Mama, kann ich zweihundert Rubel haben?“ Die Stimme ihres sechzehnjährigen Sohnes Kirill holte sie aus ihren Gedanken.

Unordentlich gekleidet stand er in der Küchentür. „Wohin willst du jetzt so früh?“, fragte Natal’ja überrascht und reichte ihm eine Fünfhundert-Rubel-Note.

„Ich habe eine Radtour mit den Jungs geplant, bevor es zu heiß wird“, meinte er, während er das Geld einsteckte. „Ich komme rechtzeitig zur Feier zurück.“

„Weißt du denn, welcher Tag heute ist?“

Für einen Moment hielt er inne und lächelte schüchtern: „Dein Geburtstag, natürlich. Ich habe dir heute Morgen nicht gratuliert, weil ich es später machen wollte.“

„Willst du mir nicht helfen? Es wird viel los sein, allein ist das alles anstrengend.“

  • Kirill: „Mama, warum soll ich helfen? Du kannst das schon so gut.“
  • „Hast du vergessen, dass Polina bei einer Freundin auf dem Land ist? Sie kommt erst um sechs, genau wenn die Gäste kommen.“
  • „Was gibt’s denn da zu tun?“, zuckte er mit den Schultern. „Jedenfalls machst du das besser als ich.“

Natal’ja seufzte. Die Kraft, um zu streiten, hatte sie nicht. Früher hatte sie sich stolz gefühlt, alles im Haushalt zu bewältigen, denn ohne sie hätte die Familie es nicht geschafft. Doch heute ermüdete sie dieser Gedanke nur noch.

„Dann geh nur, aber sei um sechs wieder hier.“

Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand im Flur. Die Haustür schlug zu.

Gegen neun Uhr herrschte in der Küche bereits reges Treiben. Der Ofen war für das Fleisch vorgeheizt, das Gemüse für die Salate lag auf dem Tisch bereit, und der Teig für die Torte ruhte unter einem Tuch, um aufzusteigen. Ein verführerischer Duft von frisch gemahlenem Kaffee lag in der Luft.

„Guten Morgen“, erschien Sergej in Schlafanzug und T-Shirt. „Warum bist du heute schon so früh unterwegs?“

„Ich bereite alles vor“, antwortete sie sachlich. „Die Gäste kommen um sechs, und es gibt noch genug zu tun.“

„Am Geburtstag dürfte man eigentlich länger schlafen“, meinte er und schenkte Kaffee ein. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Wange, der nach Zahnpasta und seiner gewohnten Cologne duftete.

„Danke“, hatte sie mehr erwartet – vielleicht ein Geschenk oder wenigstens eine Hilfsbereitschaft.

Stattdessen setzte er sich mit der Tasse in der Hand an den Tisch und vertiefte sich in sein Handy.

„Hast du heute frei?“

„Ja, ich habe frei genommen, zu Hause gibt es genug zu erledigen.“

„Prima, dann hilfst du mir beim Tischdecken?“

„Klar“, antwortete er, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. „Aber erst, wenn ich die Nachrichten durch habe.“

Stunden später war Sergej immer noch mit den Nachrichten beschäftigt. Er hatte sich ins Wohnzimmer gesetzt und den Fernseher eingeschaltet, wo das Geräusch eines Fußballspiels gelegentlich durch seine Kommentare über die Spieler unterbrochen wurde. Natal’ja schnitt, mischte, schlug auf und schob Speisen in den Ofen. In ihrem Kopf drehte sich der Gedanke: „Vierzig Jahre, und so feiere ich sie.“

Um 15 Uhr klingelte die Türglocke. Natal’ja trocknete ihre Hände ab und öffnete. Ihre jüngere Schwester Lena stand auf der Schwelle mit einem Strauß Nelken.

„Herzlichen Glückwunsch, kleine Schwester!“ Umarmte sie herzlich. „Ich wollte früh kommen, um zu helfen. Seid ihr denn noch nicht fertig?“

„Ich koche seit frühmorgens“, führte Natal’ja sie herein. „Die Gäste kommen erst um sechs, aber schön, dass du da bist.“

„Und wo ist dein festliches Kleid?“ Lena sah die verblasste Jeans und das Shirt.

„Keine Zeit“, zuckte Natal’ja die Schultern. „Ich muss noch die Salate fertig machen und die Torte dekorieren…“

„Mal sehen.“ Lena betrat die Küche, überblickte die Situation und ging dann in den Flur zurück. „Und Sergej hilft nicht?“

„Er ist… beschäftigt.“

Aus dem Wohnzimmer hallte ein lautes: „Was machst du denn, du Tollpatsch!“

„Siehst du“, meinte Lena. „Dann kümmern wir uns jetzt darum.“

Sie ging ins Wohnzimmer und bald darauf kam Sergej mit einem missmutigen Gesichtsausdruck in die Küche.

„Wie kann ich helfen?“ murrte er.

„Deck den Tisch im Wohnzimmer“, antwortete Natal’ja ruhig. „Lena, hilf ihm mit den Tellern.“

Die nächsten zwei Stunden verliefen verhältnismäßig harmonisch. Sergej deckte, geführt von Lena, die Teller und das Besteck, während er sich ab und zu „kurz“ dem Fernseher widmete. Um fünf war das Gröbste erledigt. Natal’ja spürte, wie müde sie war: Rücken schmerzten, Beine fühlten sich taub an, und der Abend hatte gerade erst begonnen.

„Geh dich fertig machen“, drängte Lena sie hinaus aus der Küche. „Ich mache mit den Salaten weiter.“

Natal’ja ging ins Schlafzimmer. Dort hing das neue Kleid, extra für diesen Abend gekauft: dunkelblau mit elegantem Ausschnitt. Es verlangte Make-up und Frisur, aber die Energie fehlte. Deshalb griff sie zum einfachen schwarzen Kleid, das sie gewöhnlich zur Arbeit trug. Schnell richtete sie die Haare, trug einen Hauch Lippenstift auf und kam zurück ins Wohnzimmer, gerade als die ersten Gäste eintrafen.

Um sechs füllte sich die Wohnung mit Stimmen und Umarmungen. Natal’jas und Sergejs Eltern, einige Arbeitskollegen und langjährige Freunde kamen. Die Kinder kamen nach Hause: Polina brachte eine kleine Torte aus der angesagtesten Konditorei mit, Kirill eine hastig gekaufte Glückwunschkarte.

Natal’ja empfing die Glückwünsche mit einem gezwungenen Lächeln. Ihr war schwindelig, doch Aspirin konnte sie nicht nehmen – die Gäste verlangten ihre Aufmerksamkeit. Plötzlich lebte Sergej als gastgebender charmanter Mann auf: Er reichte Getränke, erzählte Witze und umarmte Natal’ja schelmisch bei jedem Trinkspruch auf sie.

Endlich setzten sich alle. Natal’ja platzierte ihr bestes Gericht – das Ofenfleisch – in der Mitte des Tisches.

„Nata, pass auf die Salate auf“, flüsterte Sergej, als er sich ein Stück Olivier-Salat nahm. „Mayonnaise besteht nur aus Fett. Du solltest darauf achten…“

Er brach den Satz ab und sah ihren Körper an. Natal’jas Wangen erröteten, neben ihr spannte sich Lena an.

„Das Fleisch ist etwas trocken“, erhob Sergej die Stimme und schnitt ein Stück ab. „Du hast es zu lange im Ofen gelassen.“

„Mir schmeckt es gut“, mischte sich Natal’jas Mutter schnell ein.

„Ich kritisiere nicht“, lächelte Sergej. „Es war nur beim letzten Mal etwas saftiger.“

Natal’ja aß schweigend mit gesenktem Blick. Die Feier, die sie sich erhofft hatte, wandelte sich in einen bitteren Abend voller spitzer Worte.

„Vierzig Jahre sind für eine Frau ein bedeutender Meilenstein. Natal’ja hat sich immer gut gehalten…“

Die Trinksprüche häuften sich. Kollegen wünschten beruflichen Erfolg, Freundinnen ein Wiedererwachen der Jugend, die Eltern Gesundheit und Geduld. Schließlich stand Sergej auf, mit einem Champagnerglas in der Hand, und blickte in die stumme Runde.

„Ich möchte meiner Frau zu diesem Meilenstein gratulieren: Vierzig Jahre sind ein wichtiges Alter für eine Frau. Natal’ja war immer fleißig und hat sich gut gehalten…“

Ein verlegenes Kichern ging durch die Gäste.

„…aber sie könnte natürlich etwas mehr auf sich achten“, fuhr er mit einem kühlen Lächeln fort. „Aber so lieben wir sie. Prost, Schatz!“

Stille trat ein. Alle hoben die Gläser, ohne sie anzusehen. Natal’ja verharrte regungslos, mit gesenktem Kopf über der Tischdecke. Tief innen platzte endlich etwas, das lange zurückgehalten wurde.

Langsam erhob sie sich.

„Danke für die Glückwünsche“, sagte sie klar und verließ den Raum.

Hinter der Tür hörte sie das Flüstern der Gäste, dann nahm das Gespräch wieder seinen gewohnten Lauf. Niemand folgte ihr, nicht einmal Sergej. Vor allem er nicht.

Vor dem Spiegel blieb sie eine Weile stehen und betrachtete sich selbst: eine müde Frau mit leeren Augen, in einem einfachen Kleid und unordentlichen Haaren. Wann war sie zu dieser Person geworden? Und warum hatte sie das zugelassen?

Wie in Trance zog sie das dunkelblaue Kleid aus dem Schrank. Sorgfältig zog sie es an. Sie öffnete den kaum genutzten Kosmetikkoffer und trug Make-up, Lidschatten, Mascara und Lippenstift auf. Die Haare richtete sie, setzte die Ohrringe auf, die Sergej ihr einst geschenkt hatte – in einer anderen Zeit, als seine Komplimente noch ehrlich waren und nicht beißende Stiche.

Sie holte die High-Heels aus der Box – die Schuhe, mit denen sie bei ihrer Hochzeit getanzt hatte. Sie passten ihr immer noch perfekt.

Dann griff sie zum Telefon und rief eine Freundin an.

„Vika? Ich bin’s. Sag mal, hast du heute Abend Zeit? …Ja, es ist mein Geburtstag, aber ich möchte ihn anders feiern …Nein, nicht alleine, mit dir …Kannst du in einer halben Stunde bei ,Palermo‘ sein? …Perfekt, ich reserviere einen Tisch.“

Sie legte auf, betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel. Dort stand jetzt eine andere Frau: selbstbewusst, schön, mit geradem Rücken und bestimmt entschlossenem Blick.

Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, verstummte das Gespräch. Alle starrten überrascht auf sie. Sergej öffnete den Mund.

„Jetzt siehst du wirklich wie eine Frau aus!“ rief er empört und stand auf. „Warum hast du dich nicht früher so angezogen? Setz dich doch.“

Natal’ja lächelte zum ersten Mal wirklich.

„Weißt du, Serioža, ich werde mich nicht setzen.“

„Warum nicht?“, sah er sie verwundert an.

„Nach so einer Demütigung sollte ich doch nicht mehr lächeln und hierbleiben. Feiert ohne mich“, sprach sie ruhig, aber mit eiserner Stimme. „Ich habe beschlossen, anders zu feiern. Das Taxi kommt in fünf Minuten – Vika und ich gehen ins Restaurant.“

„Welche Demütigung? Stell dich nicht so an“, sagte er halb zu den Gästen, halb zu ihr. „Ich habe doch nur gescherzt!“

„Du weißt: In jedem Scherz steckt auch…“ begann Natal’ja und verstummte. „Egal. Es ist unwichtig. Ich gehe jetzt. Habt alle einen schönen Abend.“

Sie drehte sich um und ging zur Tür. Lena holte sie im Flur ein.

„Bist du sicher, Natal’ja?“ flüsterte sie. „Er meint es doch nicht böse…“

„Lena“, sah sie ihr in die Augen. „Seit sechzehn Jahren sagt er, dass er es nicht absichtlich macht. Vielleicht stimmt das. Aber ich will das nicht mehr ertragen. Schon gar nicht an meinem Geburtstag.“

Sie umarmte ihre Schwester und trat hinaus. Es war kühl vor der Haustür, und Stille herrschte.

Beim Hinabsteigen der Treppen spürte sie, wie mit jedem Schritt die Last in ihr leichter wurde. Es war, als ob der Damm nicht nur gebrochen, sondern verschwunden war, und einen Fluss von Freiheit freigab.

Sie wusste nicht, was morgen kommen würde. Vielleicht würde Sergej sie verstehen. Vielleicht stünden schwere Entscheidungen bevor. Doch heute, an ihrem vierzigsten Geburtstag, fühlte sie sich endlich frei.

Draußen atmete sie die milde Abendluft tief ein. Ein Taxi wartete am Bordstein. Sie stieg ein und nannte die Adresse des Restaurants. Das Telefon in ihrer Tasche vibrierte – Sergej. Sie schaltete den Ton aus, ohne auf das Display zu schauen.

Der Abend gehörte endlich nur ihr.

Zusammenfassung: Natal’jas vierzigster Geburtstag, geprägt von familiären Spannungen und persönlichen Erniedrigungen, wird zum Wendepunkt in ihrem Leben. Nach einer enttäuschenden Feier findet sie den Mut, sich selbst treu zu bleiben und den Abend anders zu gestalten – ein Schritt hin zu neuer Unabhängigkeit und Selbstachtung.