Als mein Mann verstarb, war ich überzeugt, dass die Trauer die größte Herausforderung sein würde. Doch es stellte sich heraus, dass das weitaus Schwieriger war, was meine Tochter mir mit ernster Stimme ins Gesicht sagte: „Du musst anfangen zu arbeiten, sonst wirst du bald ohne Zuhause dastehen.“ In diesem Moment spürte ich die wahre Bedeutung von Einsamkeit.
Mein Name ist Carol Simmons. Ich bin 63 Jahre alt und stamme aus Ohio. Über fast vier Jahrzehnte war ich Ehefrau und Mutter. Jetzt fühle ich mich als Witwe, ohne festen Rückzugsort.
Mein geliebter Greg erlitt Anfang März plötzlich einen Herzinfarkt. Noch Minuten zuvor bereitete er seine berüchtigten Rühreier zu, und im nächsten Augenblick war er nicht mehr da – völlig unerwartet.
Finanziell standen wir nicht schlecht da, doch unsere Ersparnisse reichten kaum aus. Greg war als Lagerleiter der Hauptverdiener, während ich mich um den Haushalt kümmerte. Dieses Arrangement funktionierte – bis zur plötzlichen Änderung.
Nach der Beerdigung nahm alles rasch Fahrt auf. Meine Tochter Lisa, die vor Jahren nach Raleigh gezogen war, kam für eine Woche, um bei der Organisation zu helfen – oder besser gesagt, um Dokumente durchzugehen, den Hausverkauf vorzuschlagen und meine Zukunftspläne zu erfragen. Ihr Ton war distanziert und fordernd.
„Ich kann dir nicht helfen, Mama“, erklärte sie am sechsten Tag. „Bedenken musst du meine eigene Familie und mit der Hypothek. Du musst arbeiten oder eine Alternative finden.“
Ich fragte zurück: „Aber Lisa, ich habe vierzig Jahre nicht gearbeitet. Was soll ich denn jetzt machen?“
Sie zuckte mit den Schultern: „Fernarbeit, Callcenter, Supermarktjobs – viele ältere Menschen schaffen das. Du kannst das auch.“
„Das war meine Tochter, mein kleines Mädchen, dem ich einst Geschichten erzählte und das mit Tränen den Kindergarten betrat. Wo war da die Fürsorge?“
Ich protestierte nicht. Wohl hätte ich das tun sollen, doch ich war zu erschöpft. So verbrachte ich die Stunden nach ihrem Weggang alleine, starrte auf den leeren Stuhl in der Küche, auf dem Greg immer saß, und ließ die Tränen fließen.
Doch Trauer zahlte keine Rechnungen. Allein die Hypothek aus eigener Kraft zu bewältigen, schien unmöglich.
- Mein Sozialhilfegeld deckte kaum Nebenkosten und Nahrung
- Andere Einkommensquellen gab es nicht
- Keine Familienhilfe oder Unterstützer standen bereit
Drei Wochen später stand ich geduldig vor dem Arbeitsamt, fühlte mich fremd in meiner eigenen Haut. Zwischen den jungen Suchenden war ich die älteste um ein Vielfaches. Ein Berufsberater namens Troy, fast alt genug, mein Enkel sein zu können, tippte konzentriert, während ich ihm gegenübersaß.
„Haben Sie schon einmal gearbeitet?“ fragte er neugierig.
„Nicht seit 1987.“
Er unterbrach seine Eingabe. „Verstehe. Wie steht es mit Computerkenntnissen?“
„Ich kann E-Mails senden und online einkaufen.“
Sein höfliches Nicken widerspiegelte seine Gedanken.
Schließlich entdeckte er eine passende Teilzeitstelle als Empfangskraft in einer Arztpraxis. Ich sollte Anrufe entgegennehmen und Termine koordinieren. Der Lohn war knapp über Mindestniveau, doch es bot zumindest eine Perspektive.
Nach meiner Bewerbung erhielt ich zwei Tage später eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Ich wählte eine bestmögliche Bluse und einen Rock, den ich seit Jahren nicht mehr getragen hatte.
Die Büroleiterin Mitte Dreißig empfing mich freundlich, doch ihr Lächeln wirkte gezwungen, als sie mir nach dem Gespräch ein Formular reichte: „Wir melden uns.“
Doch eine Rückmeldung blieb aus.
Nach fünf weiteren Absagen stoppte ich bald das Überprüfen meiner E-Mails. Jede Absage fühlte sich an, als erlitte ich einen kleinen emotionalen Bruch.
Im Mai begann ich, Besitztümer zu veräußern – Gregs Werkzeuge, alte Möbelstücke, sogar das Hochzeitsgeschirr. Dann traf ich die schwierige Entscheidung, das Haus überhaupt zum Verkauf anzubieten. Lisa reagierte nicht auf diese Nachricht – vielleicht war ihr die Erleichterung anzumerken.
Am Juni setzte ich um und zog in eine kleine Wohnung am Stadtrand. Trotz muffigem Geruch und billigem Lufterfrischer fühlte es sich zumindest nach einem Zuhause an.
In einer Phase der Verzweiflung suchte ich die öffentliche Bibliothek auf, um die Bibliothekarin nach speziellen Kursen für Senioren zu befragen.
Ihr Lächeln war herzlich: „Ja, wir bieten Computerkurse, Bewerbungstrainings und sogar Excel-Grundlagen an. Soll ich Sie anmelden?“
Mein Herz schlug schneller. Trotz großer Angst regte sich erstmals seit Monaten ein Funken Hoffnung.
Schlüsselpunkt: Das Erlernen von Excel mit 63 Jahren zerstörte nicht nur meine Zuversicht, sondern eröffnete mir neue Lebenswege – ein autonomes Dasein, ungezwungen und selbstbestimmt.
Die Bibliothek wurde mein Zufluchtsort. Zwei Mal wöchentlich nahm ich den Bus zum Zentrum, ein abgenutztes Leder-Notizbuch und einen günstigen Kaffee in der Hand.
Der Computerkurs umfasste lediglich fünf Teilnehmer über 55. Die Dozentin, Frau Henry, strahlte mit ihren silbernen Haaren Erfahrung und Geduld aus. Nie fühlten wir uns herabgesetzt – ein zentraler Aspekt.
Unsere Ausbildung begann bei grundlegenden Abläufen wie Dateiablage sowie dem sicheren Umgang mit Online-Bewerbungen und betrugsfreien Suchmethoden. Anschließend widmeten wir uns Google Docs, Tabellenkalkulationen und der Video-Plattform Zoom.
„Man weiß ja nie“, scherzte Frau Henry. „Vielleicht arbeitet jemand von euch bald von zu Hause.“
Ich musste lachen. Kaum vorstellbar, dass eine ältere Witwe mit zitternden Händen und einem seit 1973 bestehenden Lebenslauf eine Anstellung finden würde.
Doch ich trainierte wissbegierig. Abends am kleinen Wohnzimmertisch wiederholte ich geduldig jede Lektion.
Parallel dazu nahm ich eine Teilzeitstelle bei einem Reinigungsunternehmen in drei Blocks Entfernung an. Die Bezahlung war gering, und sechs Stunden täglich verbrachte ich stehend mit Etikettieren und Kassieren.
Trotzdem machte ich meinen Job gut. Ich merkte mir Gesichter, lächelte offen, und zum ersten Mal erwiderte man mein Lächeln.
- Eine zufällige Begegnung mit Angie, einer früheren Rechtssekretärin, lenkte meinen Blick auf Fernarbeit
- Sie erzählte mir von ihrer Erfahrung als virtuelle Assistentin
- Die Aussicht auf flexibles, ortsunabhängiges Arbeiten weckte mein Interesse
Am Abend suchte ich online nach „virtuelle Assistenten Jobs für Senioren“. Ich fand Stellen, die das Organisieren von E-Mails und Kundenbetreuung per Vertrag umfassten – realistisch für mich.
Nachdem ich mich angemeldet hatte, erhielt ich Ende Sommer einen Fernarbeitsvertrag bei einem Möbelbetrieb aus Vermont. Meine Aufgaben: Terminverwaltung und Betreuung des Support-Postfachs. Stundenlohn: 17 Dollar. Rührung erfüllte mich, als ich den ersten Gehaltsscheck sah.
Im September kündigte ich meine Reinigungsstelle. Nicht, weil ich ihr gegenüber Abneigung empfand, sondern weil sie nicht mehr notwendig war.
Mit neu gewonnenem Selbstvertrauen erweiterte ich meinen Wirkungskreis. Ich begann, einfache Rechnungen für einen Blumenladen in Portland zu erstellen und lernte zusätzlich das Grafikprogramm Canva, um Social-Media-Beiträge für eine dritte Kundin zu gestalten.
Mit etwa 25 Stunden Wochenarbeitszeit saß ich an meinem kleinen Schreibtisch am Fenster, bewacht von einer Pflanze, die seit Gregs Tod täglich mein Leben erhellte.
Im Oktober kam ein Anruf von Lisa. Ihre Stimme klang vorsichtig – nach Wochen Funkstille fragten ihre Worte, ob es mir gut ginge.
Ich erzählte von meinen Jobs, Kursen und Kunden. Ohne Prahlen, aber auch ohne Beschönigungen.
Als sie sich schweigend mit den Worten meldete: „Ich hätte nicht gedacht, dass du es wirklich schaffst. Es tut mir leid, was ich gesagt habe.“ schluckte ich schwer.
„Es war nicht einfach, doch ich bin nicht auf der Straße.“
Nach einer Pause lud sie mich fürs Thanksgiving-Fest ein, da ihre Kinder mich vermissten. Ich sagte, ich überlege es mir – ein Ja kam nicht sofort. Ich wollte diese Entscheidung allerdings aus eigener Kraft treffen und nicht aus Schuldgefühl oder Nostalgie heraus.
Im Dezember verfügte ich über ein stabiles Einkommen, zwei ehrenamtliche Unterstützerinnen aus der Bibliothek, die ich mittlerweile Freundinnen nannte, und einen gebrauchten Laptop, den ich selbst finanzieren konnte.
Mein Leben gleicht nicht mehr dem früheren, doch ich habe es in die Hand genommen. Ich stolperte und fiel, wurde gestoßen, doch stand immer wieder auf – nicht gerettet durch Andere, sondern durch meine eigene Kraft.
Dieses Erlebnis zeigt, dass selbst in tiefster Not ein Neubeginn möglich ist, wenn man Hilfe annimmt, sich weiterbildet und an sich glaubt.