Elena stand am Fenster und beobachtete, wie ein überladener GAZelle-Transporter in den Hof fuhr. Ein ängstliches Gefühl griff nach ihrem Herzen, denn sie wusste genau, was das zu bedeuten hatte. Bereits seit drei Tagen lief Andrey mit einem schuldbewussten Blick durch die Wohnung, offensichtlich bereit für ein ernstes Gespräch.
„Len“, begann er vorsichtig am Vorabend, „erinnerst du dich daran, dass ich dir erzählt habe, Ira hat Probleme mit ihrer Wohnung?“
Elena konnte sich noch gut daran erinnern. Andrey’s Schwester Ira hatte seit vier Jahren eine Zwei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand gemietet. Dort lebte sie mit ihrem Ehemann Sergei und ihren zwei Kindern: Max, zehn Jahre alt, und Dasha, sechs. Obwohl die Wohnung in Ordnung war und die Vermieterin vernünftig schien, gab es ein Problem: Die Tochter der Vermieterin würde bald heiraten und das frisch verheiratete Paar benötigte dringend eine Unterkunft. Daraus ergab sich die schwierige Situation, dass Ira und ihre Familie ausziehen mussten.
„Sie haben uns gebeten, vorübergehend bei uns unterzukommen“, fuhr Andrey fort und vermied dabei den Blick seiner Frau. „Bis sie etwas Passendes gefunden haben…“
Elena nickte schweigend. Was konnte sie auch sagen? Ira war die einzige Schwester ihres Mannes; sie verband eine warme Beziehung. Die Familie in Not zu lassen, kam für sie nicht in Frage. Und die Notlage war ernst: Man kann doch keine Familie mit zwei kleinen Kindern auf die Straße setzen.
„Wie lange sollen sie denn bleiben?“ fragte sie nur.
„Maximal zwei oder drei Wochen“, antwortete Andrey schnell. „Sie suchen intensiv und Sergei hat sogar schon eine Immobilienagentur kontaktiert.“
Als Elena die Kisten, Koffer, Kinderfahrräder und sogar einen Katzentransport aus dem Wagen laden sah, wurde ihr jedoch schnell klar, dass „zwei oder drei Wochen“ wohl kaum realistisch waren.
Die Kinder stürmten zuerst ins Gebäude: Max mit seinem Rucksack und einem Fußball, Dasha zog einen riesigen Teddy hinter sich her und erzählte ihrem Bruder begeistert Geschichten. Die Erwachsenen folgten: Ira mit der Katze im Käfig, Sergei mit den Koffern und Andrey trug die Umzugskartons.
„Lena!“ rief Ira freudig, als sie die Wohnung betraten. „Danke, dass du uns aufgenommen hast. Wir verschwinden so schnell wie möglich…“
Elena umarmte ihre Schwägerin herzlich, wobei sie ehrliche Zuneigung für sie empfand. Ira war schon immer eine gute, wenn auch etwas hilflose Frau gewesen. Kurz nach dem Studium hatte sie geheiratet, Kinder bekommen und sich ganz auf Familie und Haushalt konzentriert. Sie arbeitete hauptsächlich von zu Hause aus im Bereich Design, doch die meisten Entscheidungen traf weiterhin ihr Mann.
„Mama, wo schlafen wir?“ fragte Dasha sofort und blickte sich um.
Die Zwei-Zimmer-Wohnung von Elena und Andrey war gemütlich, aber klein. Das Schlafzimmer war das größte Zimmer, dann gab es ein Wohnzimmer mit Sofa und Sessel, eine Küche von etwa zehn Quadratmetern sowie getrennte Toilette und Badezimmer. Für zwei Personen ideal – aber sechs Menschen davon unterzubringen…
„Wir nehmen das Sofa im Wohnzimmer“, erklärte Ira rasch. „Und für die Kinder legen wir vielleicht Matratzen auf den Boden im Wohnzimmer oder im vorderen Zimmer?“
„Im vorderen Zimmer gibt es schon ein Sofa“, bemerkte Andrey. „Die Kinder werden dort schlafen.“
„Und die Katze?“ fragte Dasha besorgt.
„Die Katze bleibt im Flur“, entschied Sergei. „Dort ist Platz für eine Katzentoilette.“
Binnen zwei Stunden verwandelte sich die kleine Wohnung in eine Art Wohngemeinschaft oder Notunterkunft. Die Kinder hatten ihren Spielsachen und Dingen das Wohnzimmer erobert, die Koffer der Erwachsenen reihten sich den Flur entlang, und die Katze wurde vorerst im Bad untergebracht – „bis sie sich eingewöhnt hat“. Die Luft war erfüllt von fremden Gerüchen, anderen Essensdüften und einem ganz neuen Leben.
Elena beobachtete schweigend, wie ihr persönlicher Raum nach und nach verschwand. Am meisten beeindruckte sie, wie selbstverständlich sich alle hier zu Hause fühlten, als sei dieses Zuhause nicht nur ihr, sondern gemeinsames Eigentum.
„Lena, wo bewahrst du das Toilettenpapier auf?“ fragte Ira, als sie mit einem Kulturbeutel ins Badezimmer kam.
„Im Schrank unter dem Waschbecken.“
„Kann ich auch ein Handtuch haben? Wir haben unsere Sachen noch nicht vollständig ausgepackt.“
„Natürlich.“
Gegen Abend wurde allen klar, dass ihr bisheriges Leben so, wie sie es kannten, vorbei war. Die Kinder spielten Fangen und Verstecken, die Katze maunzte laut nach Aufmerksamkeit, und die Erwachsenen besprachen Pläne, wie sie nach einer neuen Wohnung suchen würden.
„Morgen gehen wir zur Agentur in Komsomolskaya – dort arbeitet ein nettes Mädel“, erzählte Sergei. „Übermorgen machen wir eine Tour vormittags in der Gegend. Vielleicht finden wir dann etwas Passendes.“
„Nicht zu teuer“, seufzte Ira. „Unser Budget ist knapp bemessen.“
„Wir werden etwas finden“, versprach Andrey bestimmt. „Im schlimmsten Fall könnt ihr noch eine Weile bei uns bleiben.“
Elena wandte sich plötzlich ihrem Mann zu. Eine Weile länger? Sein verlegener Blick wich schnell aus.
„Okay, ich mache das Abendessen“, sagte sie und ging in die Küche.
Instinktiv begann sie, Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu holen. Früher kalkulierte sie für zwei Personen, höchstens für drei mit etwas Reserve. Jetzt waren sechs Menschen im Haus, inklusive zweier Kinder, die genauso viel aßen wie Erwachsene.
- Überforderung trotz guter Absicht
- Gemeinschaft im beengten Raum
- Familienbande stärken sich in schwierigen Zeiten
Wichtige Erkenntnis: Manchmal stellt das Leben unerwartete Herausforderungen, die alle Familienmitglieder vor neue Anforderungen stellen. Doch gegenseitige Unterstützung und Verständnis helfen, schwierige Situationen gemeinsam zu meistern.
Diese Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie Familienzusammenhalt durch gemeinsame Herausforderungen wächst und wie selbst kleine Räume mit Leben und Fürsorge erfüllt werden können.