Ein unerwarteter Abschied: Ludmila und das Geheimnis ihres Mannes

Ludmila schaute nachdenklich aus dem Zugfenster, während ihre Gedanken bei ihrer Mutter verweilten. Sie hatte drei Tage bei ihr verbracht, sie mit nahrhaften Brühen gepflegt und sorgfältig Medikamente verabreicht. Erst am gestrigen Tag sank das Fieber.

„Du solltest noch einen weiteren Tag bleiben“, hatte ihre Mutter am Morgen gesagt.

„Viktor ist allein zu Hause, Mama. Wahrscheinlich hat er schon Hunger“, erwiderte Ludmila.

Im Abteil bereute sie, nicht länger geblieben zu sein. Gleichzeitig meldete sich Viktor jeden Abend telefonisch, erkundigte sich nach dem Befinden der Mutter und klagte über den leeren Kühlschrank. Seine Stimme klang müde, fast erschöpft.

„Ich vermisse dich“, hatte er am Vorabend vor dem Einschlafen geflüstert.

Ludmila lächelte in diesem Moment. Dreiunddreißig Jahre gemeinsames Leben, und dennoch verspürte er Sehnsucht. Ein wahrlich guter Mann.

Der Zug schwankte sanft. Eine Frau gegenüber knabberte Sonnenblumenkerne und las einen Kriminalroman. Das Cover zeigte eine hübsche junge Frau, die einen Mann im Anzug innig umarmte. Ludmila betrachtete ihr Spiegelbild im Fenster. Fältchen, graue Spitzen ans Tageslicht – wann war sie nur so gealtert?

„Fährst du zu deinem Ehemann?“ fragte die Mitreisende.

„Ja. Ich kehre nach Hause zurück.“

„Ich besuche meinen Liebhaber“, lachte die Fremde. „Mein Mann glaubt, ich bin bei meiner Schwester.“

Ludmila errötete und wandte sich ab. Wie konnte man so offen darüber sprechen? Solche Dinge waren doch privat.

Das Telefon summte.

„Wie geht es dir? Wann kommst du?“ – Viktor hatte geschrieben.

Die Uhrzeit betrachtend, sah Ludmila, dass es noch vier Stunden bis nach Hause waren. Zuerst wollte sie ehrlich antworten, dann entschied sie sich anders: Es sollte eine Überraschung sein. Er würde kommen und das Abendessen zubereiten. Darüber würde er sich freuen.

„Morgen früh bin ich da. Vermisse dich auch“, schrieb sie zurück.

Viktor schickte sofort ein Herzchen.

Draußen zogen Felder, Dörfer und Wochenendhäuser vorbei. Sie griff in die Tasche, holte eine Thermosflasche mit Tee hervor. Die Mutter hatte ihr Tee eingeschenkt und sie mit belegten Broten versorgt. Sie war stets fürsorglich wie bei einem Kind.

„Du bist so schlank geworden, meine Tochter. Dein Viktor passt wohl nicht darauf auf, wie du isst.“

„Mama, ich bin schon siebenundfünfzig.“

„Und für mich bleibst du immer mein kleines Mädchen.“

Ludmila biss in ihren belegten Brotscheiben und dachte erneut an ihre Mutter. Diese lebte allein in der Wohnung, in der Ludmila aufgewachsen war. Der Vater war vor fünf Jahren gestorben. Ein Umzug in die Stadt, wo Ludmila wohnte, kam für die Mutter nicht infrage.

„Ihr habt euer eigenes Leben“, sagte sie stets. „Ich will euch nicht zur Last fallen.“

Doch Ludmila wollte nie stören. Seit jeher liebte sie es, sich um andere zu kümmern. Zunächst für ihre Eltern, danach für Viktor und die Kinder. Sie arbeitete früher als Lehrerin, aber mit der Geburt von Sergej trat sie in den Mutterschaftsurlaub ein. Später kam Nastja hinzu. Schließlich wurde sie zur Hausfrau.

„Warum brauchst du einen Job?“ hatte Viktor damals gesagt. „Ich verdiene genug. Du kümmere dich besser um den Haushalt.“

Und so tat sie es dreißig Jahre lang: Kochen, Waschen, Putzen. Die Kinder großziehen, zu Freizeitaktivitäten begleiten. Viktor die Hemden bügeln, Socken stopfen.

  • Die Kinder wurden erwachsen und zogen aus.
  • Sergej arbeitet in einer anderen Stadt; er hat mittlerweile eine eigene Familie.
  • Nastja heiratete, schenkte ein Enkelkind und wurde selbst Großmutter.

Doch wie sollte es nun weitergehen?

Der Zug verlangsamte seine Fahrt. Ludmila sammelte ihre Sachen, verabschiedete sich von der Mitreisenden. Am Bahnhof herrschte reges Treiben. Der Bus nach Hause brauchte etwa eine halbe Stunde.

Während der Fahrt stellte sie sich vor, wie überrascht Viktor sein würde. Er erwartete sie erst morgen. Doch sie würde heute schon da sein, vielleicht auf dem Weg noch einkaufen und Abendessen zubereiten. Gutes Fleisch, frische Kartoffeln. Den Tisch schön decken.

Im Laden erwarb sie alles Gewünschte. Die Kassiererin lächelte:

„Bereiten Sie eine Feier vor?“

„Nein, einfach nur, mein Mann wartet.“

Die Taschen waren schwer. Mühsam erreichte sie den Hauseingang, atmete im Aufzug tief durch. Im Inneren suchte sie lange nach den Schlüsseln.

Endlich öffnete sie die Tür.

„Vitia, ich bin’s!“ rief sie. „Ich bin zurück!“

Stille. Er schlief bestimmt; es war spät, fast zehn Uhr abends.

Ludmila stellte die Taschen ab und zog die Jacke aus. Doch seltsam – das Licht war an. Viktor schlief nie bei eingeschaltetem Licht.

Als sie die Garderobe erreichte, stockte sie. Am Eingang standen Pumps – schwarze, glänzende mit Absatz. Schöne Schuhe.

„Vitia?“ flüsterte sie sanft.

Ihr Herz schlug schneller. Wahrscheinlich gehörten sie Nastja, der Tochter. Sie konnte zu Besuch sein, hatte Schlüssel. Aber warum hatte sie nicht Bescheid gesagt?

Aus der Küche drang leises Lachen; weibliches Lachen.

Ludmila blieb wie versteinert. Es war nicht Nastja. Die Stimme war fremd.

„Viktor, du bist so lustig“, sagte die Frau

„Ludmila kommt erst morgen. Können wir es ruhig angehen“, entgegnete ihr Mann.

Ludmila lehnte sich gegen die Wand, ihre Knie gaben nach. Was geschah hier? Wer war diese Frau? Welche Gespräche führten sie?

„Und wenn sie früher zurückkommt?“

„Das wird nicht passieren. Sie ist immer verlässlich. Wenn sie morgen früh sagt, bedeutet es morgen früh.“

Sie lachten wieder. Ludmila schloss die Augen. Das Atmen wurde schwer.

Leise ging sie den Flur entlang zur Küche. Die Tür stand offen, und sie spähte hinein.

Am Tisch saß Viktor in einem gemütlichen Hemd, das Haar zerzaust, ein Lächeln auf den Lippen. Gegenüber eine junge etwa dreißigjährige Blondine in einem Morgenmantel – Ludmilas Morgenmantel.

Auf dem Tisch standen zwei Tassen Kaffee, Kuchen, Pralinen. Viktor hielt die Hand der Frau.

„Len, du bist etwas ganz Besonderes“, sprach er leise.

Len? Wer war diese Len?

„Und deine Frau? Du sagtest, du liebst sie“, neckte die Frau und neigte kokett ihren Kopf.

„Ich liebe sie. Aber das hier ist anders. Bei dir fühle ich mich jung.“

Ludmila klammerte sich an die Türzarge. Die Welt schwankte vor ihren Augen. Dreiunddreißig Jahre Ehe, in die sie Vertrauen, Fürsorge und Liebe investiert hatte – und nun das.

„Vitia…“ flüsterte sie.

Beide wandten sich abrupt um. Viktor wurde blass, öffnete seinen Mund. Die Frau richtete schnell ihren Mantel.

„Luda? Aber du… du kommst doch erst morgen…“ stammelte er.

„Wer ist das?“ fragte Ludmila und deutete auf die Blondine.

„Das ist… Len, unsere Nachbarin aus Wohnung 52.“

„Nachbarin?“ Ludmila sah die Frau in ihrem Morgenmantel an. „Sitzt die Nachbarin in meinem Morgenmantel?“

„Hör zu, ich gehe besser“, sagte Len und ging Richtung Tür. „Viktor, ruf mich später an.“

„Bleib!“, rief Ludmila. „Geh nicht weg! Erklär mir, was hier los ist!“

Len blieb stehen, ihr Blick war schuldbewusst, wenn auch nicht allzu sehr.

„Wir haben einfach geredet“, antwortete sie. „Viktor hat mir geholfen, als mein Wasserhahn kaputt war.“

„Wasserhahn?“ Ludmila begann hysterisch zu lachen. „In meinem Morgenmantel Wasserhahn repariert?“

„Luda, beruhige dich“, versuchte Viktor einzuschreiten. „Es war nichts. Len bat um Hilfe, ich kam vorbei. Dann bot sie Kaffee an. Wir haben geredet…“

„Geredet? Händchen gehalten? In meinem Morgenmantel?“

„Ich hatte meine eigenen Sachen gewaschen“, sagte Len leise. „Viktor gab mir den Morgenmantel, damit ich mich nicht erkälte.“

„Meinen Morgenmantel gegeben!“ Ludmila konnte nicht aufhören. „In meiner Wohnung! An meinem Tisch! Während ich die kranke Mutter pflegte!“

Viktor trat näher.

„Luda, schrei nicht. Die Nachbarn hören sonst.“

„Nachbarn?“ Ludmila wich zurück. „Du denkst an die Nachbarn? Und an mich, wenn du diese…“

„Es war nichts!“, griff Viktor nach ihren Schultern. „Ich schwöre dir, nichts!“

Ludmila blickte in seine Augen. Dort war Panik, Furcht und Unwahrheit. Nach all den Jahren hatte sie gelernt, sein Gesicht zu lesen.

„Lass mich los“, sagte sie leise.

„Luda…“

„Los!“

Viktor ließ sie los, seine Hände zitterten.

„Ich gehe“, murmelte Len und rannte zur Tür.

„Warte!“ rief Ludmila. „Zieh erst den Morgenmantel aus!“

„Vor dir?“ Viktor versuchte sich zwischen die beiden zu stellen.

„Jetzt etwa schämst du dich?“ Ludmila schubste ihren Mann. „Beim Kaffee mit ihr in meinem Haus hast du dich nicht geschämt!“

Len zog den Morgenmantel aus und warf ihn auf einen Stuhl. Darunter trug sie Jeans und ein Sweatshirt.

„Entschuldige“, sagte sie und verließ die Küche.

Die Tür schlug zu.

Ludmila setzte sich und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Es flossen keine Tränen, nur Leere – ein großer dunkler Abgrund dort, wo einst ihr Herz schlug.

„Luda, lass uns ruhig reden“, setzte sich Viktor neben sie. „Ich werde alles erklären.“

„Erklär.“

„Len hat wirklich um Hilfe gebeten. Ihr Wasserhahn tropfte. Ich kam vorbei, reparierte ihn, sie dankte mit Kaffee.“

„Um zwei Uhr nachts Kaffee?“

„Nicht um zwei, neun Uhr abends.“

„Und jetzt ist es ein Uhr nachts! Vier Stunden Kaffee getrunken?“

Viktor schwieg, sein Gesicht rot und schweißnass.

„Vitia, ich bin nicht naiv“, sagte Ludmila leise. „Dreiunddreißig Jahre verheiratet. Ich merke, wenn mein Mann lügt.“

„Es war nichts, wir haben nur geredet. Sie ist einsam, hat niemanden.“

„Und ich? Mit mir redest du nicht?“

„Mit dir geht es um den Alltag, das Enkelkind, deine Mutter. Mit ihr spreche ich über das Leben.“

Ludmila stand auf, ihr Inneres brannte.

„Über das Leben? Ich bin kein Möbelstück?“

„So habe ich es nicht gemeint…“

„Wie hast du es gemeint?“, klopfte sie wütend auf den Tisch. „Ich habe dreißig Jahre zuhause verbracht! Für dich! Für die Kinder! Habe meinen Job, meine Karriere aufgegeben! Und du sagst, mit mir sei es langweilig?“

„Beruhige dich…“

„Ich beruhige mich nicht!“ Sie wandelte wie ein gefangenes Tier. „Ich bügle deine Hemden, wasche deine Socken, koche deine Suppen! Und du redest mit Nachbarinnen über das Leben!“

„Nur eine Nachbarin…“

„Nur eine? Und wie viele gab es davor?“

„Keine!“

„Lügner!“ Sie trat näher. „Wie oft kamst du zu spät von der Arbeit? Auf Dienstreisen? Konferenzen?“

„Das war Arbeit!“

„Arbeit? Wie war heute mit Len Arbeit?“

Viktor senkte den Kopf.

„Luda, ich liebe dich. Wirklich. Du bist das Wichtigste für mich.“

„Wichtig? Wie ein Wertgegenstand? Wie ein altes Möbelstück?“

„Sag so was nicht…“

„Wie soll ich sonst sprechen?“ Schließlich flossen Tränen. „Ich gab dir mein ganzes Leben! Und du… du rennst jungen Frauen hinterher?“

„Das tue ich nicht! Len kam selbst…“

„Selbst? Sie kam selbst zu dir? Zog meinen Morgenmantel an? Nahm deine Hand?“

Viktor schwieg.

„Antworten!“, schrie Ludmila. „Selbst?“

„Wir sind erwachsene Menschen… Es war beidseitig…“

„Beidseitig!“ Ludmila griff sich an die Brust. „Du wolltest es! Du hast daran gedacht!“

„Luda, hör auf…“

„Ich höre nicht auf! Wie lange geht das? Wie lang?“

„Ein halbes Jahr…“

„Ein halbes Jahr!“ Ludmila setzte sich mitten auf den Küchenboden. „Sechs Monate hast du mich betrogen! Küsstest mich gute Nacht, sagtest, du liebst mich! Und bist heimlich zu ihr gegangen!“

„Ich bin nicht gegangen! Wir sahen uns selten!“

„Selten? Also habt ihr euch doch getroffen!“ Sie kroch zur Tür. „Aus! Es ist vorbei!“

„Wohin gehst du?“

„Keine Ahnung! Irgendwohin, nur nicht hier!“

Ludmila stand auf und ging zum Flur. Viktor folgte ihr.

„Bleib! Lass uns morgen sprechen, mit klarem Kopf!“

„Klarer Kopf? Ich muss jetzt mein ganzes Leben mit klarem Kopf weiterleben!“

„Bitte geh nicht!“

Sie drehte sich um. Viktor stand in Unterhose und Hemd, kahlköpfig mit einem Bauchansatz. Ein jämmerlicher Anblick.

„Weißt du was?“ sagte sie. „Geh zu deiner Len. Sprecht über das Leben.“

Ludmila schlug die Tür hinter sich zu und rannte die Treppen hinunter. Den Aufzug mied sie aus Angst, Viktor könnte sie einholen.

Draußen war es kalt. Wohin nur gehen? Zu Nastja konnte sie nicht; es war zu spät, der Enkel würde gestört. Zur Mutter war es zu weit und der letzte Zug schon gefahren.

Sie erinnerte sich an Galja, eine Freundin im Nachbarviertel. Rief sie an.

„Luda? Was ist passiert?“ fragte Galja mit verschlafener Stimme.

„Galja, kann ich zu dir kommen? Es ist dringend.“

„Klar. Was ist los?“

„Später erzähle ich.“

Im Bus dachte Ludmila nach. Dreiunddreißig Jahre voller Erlebnisse. Und was blieb? Eine tiefe Leere und Schmerz.

Galja empfing sie zerzaust und im Morgenmantel.

„Setz dich, ich mach Tee. Erzähl.“

Ludmila legte alles offen dar. Galja schüttelte den Kopf.

„Idiot“, sagte sie kurz. „Alle Männer sind Idioten.“

„Galja, ich weiß nicht, was ich tun soll.“

„Was gibt es da zu überlegen? Scheidung und gut.“

„Wir waren so lange zusammen…“

„Gerade deshalb denkt er, du erträgst alles.“

Die Nacht schlief Ludmila nicht. Sie lag auf Galjas Sofa, dachte an ihre gesamte gemeinsame Zeit: das Kennenlernen, die Hochzeit, die Geburt der Kinder und ihre Erziehung. Wie Viktor in der Arbeit versank und sie das Zuhause führte.

Wann war er distanziert geworden? Vor etwa zwei Jahren bemerkte sie eine Veränderung. Er wirkte kühler, zerstreuter. Sie dachte, es läge an der Midlife-Crisis.

Doch er hatte sich einfach verliebt.

Am Morgen rief sie Nastja an.

„Mama, was ist los? Papa hat angerufen und nach dir gesucht.“

„Sag ihm, ich bin bei Galja. Und dass ich nachdenke.“

„Worüber denkst du?“

„Erzähl ich später.“

Viktor rief den ganzen Tag an, aber sie nahm nicht ab. Am Abend erschien er bei Galja selbst.

„Ist Ludmila zu Hause?“ fragte er an der Tür.

Ludmila trat in den Flur. „Was willst du?“

„Reden. Vernünftig reden.“

„Sprich.“

„Luda, ich habe mit Len Schluss gemacht. Für immer. Wir sehen uns nicht mehr.“

„Aha, bis zur nächsten Len.“

„Es wird keine nächste geben. Ich schwöre.“

Ludmila sah ihm ins müde Gesicht, das Hemd zerknittert. Vermutlich meinte er es jetzt ernst.

„Vitia, ich dachte, ich könnte für mich leben.“

„Wie meinst du das?“

„Ich will irgendwo arbeiten, die Welt sehen. An mich denken, nicht nur an dich.“

„Wir sind doch eine Familie…“

„Familie?“, lächelte sie bitter. „Familie bedeutet Respekt, nicht, dass einer für sich lebt und der andere für ihn.“

„Ich werde dich respektieren, wirklich!“

„Weißt du was? Vielleicht sollten wir eine Pause machen. Zeit getrennt leben, um unsere eigenen Wege zu finden.“

„Ist das das Ende?“

„Nur eine Pause. Wenn du verstehst, dass ich die Richtige bin und nicht nur die Putzfrau in einem Hausfrauenkleid, dann komm zurück. Wenn nicht – dann nicht.“

Viktor nickte schweigend.

„Gut. Ich werde um dich kämpfen.“

„Mal sehen.“

Er ging. Galja umarmte Ludmila.

„Gut von dir. Richtig gehandelt.“

„Angst habe ich, Galja.“

„Natürlich hast du Angst. Aber wenigstens ehrlich.“

Ludmila setzte sich ans Fenster. Draußen regnete es. Ein neuer Lebensabschnitt begann – mit fünfundfünfzig Jahren. Seltsam, aber vielleicht eine Chance.

Morgen würde sie Arbeit suchen, dann zu ihrer Mutter fahren und von Herzen reden. Das hatte sie lange nicht mehr getan.

Dann würde sich zeigen, ob Viktor sich wirklich ändern konnte oder ob sie erkannte, dass das Leben auch ohne ihn lebenswert war.

Das Wichtigste ist, künftig auch für sich selbst zu leben und nicht nur für andere.

Der Regen trommelte sanft aufs Fenster. Ludmila lächelte zum ersten Mal seit langem wirklich.

Schlusswort: Diese Geschichte erzählt von Liebe, Vertrauen, Enttäuschung und dem Mut, das eigene Leben neu zu gestalten. Ludmila steht vor einem Wendepunkt, an dem sie lernt, sich selbst Priorität einzuräumen und den Wert der eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Sie zeigt, dass auch im fortgeschrittenen Alter ein Neubeginn möglich ist – mit Ehrlichkeit und Stärke.