Als die Geliebte meines Mannes kühl verkündete: „Ich habe deine Sachen auf den Müll geworfen“, blockierte sie mir den Zugang zum Haus.
Der späte Abend hüllte die Stadt in dunkle, lilafarbene Schattierungen. In der ruhigen Wohnung herrschte ein gemütliches Halbdunkel, nur unterbrochen vom sanften Licht einer Tischlampe. Sophia schlief auf der Couch, in eine Decke gehüllt, als das beharrliche Klingeln ihres Handys sie aus dem Schlaf riss. Ihr Herz zog sich zusammen bei einem unheilvollen Vorahnen, ein kalter Schauer lief ihren Rücken hinunter. Auf dem Bildschirm leuchtete ihr bekanntes Bild auf – ihre Mutter.
Die Stimme von Anna Wasiljevna klang gedämpft und unregelmäßig, als würde sie versuchen, das Zittern zu kontrollieren, das jedes Wort durchdrang.
- „Schätzchen, schläfst du noch?“
Sophia wusste sofort, dass etwas Wichtiges und Beunruhigendes in der Luft lag.
- „Nein, Mama, ich schlafe nicht. Ist etwas passiert? Ist es ernst?“
Sophia richtete sich auf und setzte sich bequemer, während sie versuchte, ihrem eigenen Stimme so viel Ruhe und Zuversicht wie möglich zu verleihen.
- „Ich muss morgen ins Krankenhaus. Die Ärzte bestehen auf einer Operation. Sie sagen, es gibt keinen Grund zur Verzögerung mehr,“
Anna Wasiljevna sprach leise und wählte ihre Worte sorgfältig, aber die Angst drang durch die Telefonleitung und erfüllte Sophias Zimmer.
„Was für eine Operation? Mama, erklär mir bitte, was passiert?“
Dabei stand sie auf, ihre Finger drückten unwillkürlich den Rand der Decke.
„Bei mir haben sich Steine in der Gallenblase gebildet. Sie bereiten Schwierigkeiten und haben eine Entzündung verursacht. Ich wurde bereits ins Krankenhaus eingeliefert und für morgen ist der Eingriff angesetzt,“
Anna Wasiljevna räusperte sich. „Schatz, kannst du kommen? Ich würde mich so freuen, dich an meiner Seite zu haben.“
„Natürlich, ich komme. Ich nehme den ersten Bus, der morgen früh fährt,“
- antwortete die Tochter sofort, während ihre Gedanken hastig Alternativen durchspielten und einen Handlungsplan aufstellten.
Nach diesem schweren Gespräch machte sich Sophia langsam auf den Weg zur Küche. Ihr Mann Artem saß am Tisch und scrollte durch einen Nachrichtenstrom auf seinem Tablet. Sein ruhiges Gesicht wurde vom bläulichen Schein des Bildschirms beleuchtet.
„Artem, ich muss dringend zu Mama fahren. Ich verlasse morgen früh.“
- verkündete Sophia, während sie sich der Spüle näherte.
„Ist etwas Ernstes passiert?“
Er riss den Blick von dem Bildschirm und sein Gesichtsausdruck wurde aufmerksam und konzentriert.
„Sie wird operiert. Die Gallenblase wird entfernt. Ich muss da sein, um ihr nach all den medizinischen Eingriffen zu helfen,“
Sophia füllte ein Glas mit Wasser, ihre Hände agierten automatisch.
„Verstehe. Fahr natürlich. Das ist deine Pflicht. Wie lange planst du zu bleiben?“
Artem stellte das Tablet beiseite und wandte seine gesamte Aufmerksamkeit Sophia zu.
„Mindestens eine Woche. Vielleicht etwas länger, alles hängt davon ab, wie schnell Mama sich erholt,“
setzte sich die Frau neben ihn am Tisch und verspürte plötzlich eine tiefe Müdigkeit.
„In Ordnung, ich komme hier alleine klar. Das wäre eine gute Gelegenheit, um auf dem Balkon Ordnung zu schaffen. Das habe ich schon lange vor,“
schmiss Artem seine Schultern zuckend ein und seine Stimme klang beruhigend und ermutigend.
Nur zustimmend nickte Sophia. Artem hatte tatsächlich seit Monaten versprochen, das Durcheinander auf dem Balkon zu beseitigen. Vielleicht würde er es jetzt tatsächlich tun, dachte sie.
Der Morgen begann mit hektischem Packen. Sophia packte schnell ihre Tasche mit dem Nötigsten, vergaß nicht die Dokumente und ihr Portemonnaie. Artem begleitete sie zum Busbahnhof und half, das Gepäck im Bus zu verstauen.
„Vergiss nicht zu telefonieren, sobald du angekommen bist. Halte mich auf dem Laufenden, sag mir Bescheid, wie es Mama geht,“
bittete ihr Mann, während er Sophia zum Abschied umarmte, bevor sie ins Bus stieg.
„Versprochen. Du auch, vergiss nicht zu melden, wenn etwas passiert,“
Sophia küsste ihn zärtlich auf die Wange und stieg die Stufen zur Kabine hinauf.
Die Reise dauerte lange Stunden. Ihre Mutter lebte in einer kleinen Provinzstadt, die mehr als dreihundert Kilometer entfernt war. Sophia kam an, fuhr aber nicht in das leere, elterliche Haus, sondern begab sich direkt ins Krankenhaus. Anna Wasiljevna lag auf dem Krankenhausbett, ihr Gesicht war blass und erschöpft, doch in ihren Augen funkelte Hoffnung.
„Du bist gekommen, mein Schatz,“
versuchte ihre Mutter zu lächeln, und ihr Lächeln war etwas schwach, aber ehrlich.
„Natürlich, Mama. Es wird alles gut werden. Diese Operation ist für die Chirurgen alltäglich, sie haben gigantische Erfahrung damit,“
nahm Tochter die Hand ihrer Mutter und spürte die kühle Berührung ihrer Haut.
Der medizinische Eingriff fand am nächsten Tag statt. Alles verlief erfolgreich, ohne unerwartete Komplikationen. Anna Wasiljevna wurde auf eine normale Station verlegt, wo sie sich allmählich vom Narkosemittel erholte. Sophia blieb ununterbrochen an ihrer Seite, half, wo sie konnte: reichte Wasser, richtete Kissen und las laut ihre Lieblingsbücher vor.
Die ersten Tage nach der Operation waren besonders hart. Die Mutter litt unter Schmerzen, ihr Schlaf war unruhig und besorgt, jede Bewegung fiel ihr schwer. Ihre Tochter war ihr Schatten, ihre Unterstützung und Motivation. Sie fütterte ihre Mutter mit dem Löffel, half ihr zur Toilette und wechselte vorsichtig die Verbände.
Artem rief nicht oft an. Ein- bis zweimal am Tag, seine Anrufe waren kurz. Er erkundigte sich nach dem Gesundheitszustand seiner Schwiegermutter und berichtete nüchtern, dass es ihm gut ginge. Sophia schenkte diesen kurzen Telefonaten wenig Beachtung – ihr Mann war beschäftigt mit der Arbeit, immer hatte er viel zu tun.
Eine ganze Woche verging. Anna Wasiljevna wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Das heimische Umfeld tat ihr sichtlich gut, doch Hilfe und Pflege waren weiterhin nötig. Sophia kochte, hielt die Wohnung sauber und begleitete ihre Mutter zu den notwendigen Verbandswechseln in die Klinik.
Der Kontakt zu ihrem Mann wurde immer seltener und spärlicher. Artem sendete kurze Nachrichten: „Alles in Ordnung“, „Arbeit ist chaotisch“, „Ich rufe später an“. Telefonate fanden alle zwei Tage statt und dauerten nicht länger als ein paar Minuten.
Die Frau schob dieses Verhalten auf das banale Gefühl der Müdigkeit und Arbeitsbelastung. Artem arbeitete als Vorarbeiter auf einer großen Baustelle, sein Zeitplan war unregelmäßig, oft kam er spät nach Hause. Vermutlich war er einfach erschöpft vom Arbeitsstress und hatte keine Kraft für lange Gespräche, versicherte sich Sophia selbst.
Am Ende der zweiten Woche hatte Anna Wasiljevna spürbar an Kraft gewonnen. Sie begann, sich im Haus selbstständig fortzubewegen, die Schmerzen waren nahezu verschwunden. Sophia entschied, dass es an der Zeit war, nach Hause zurückzukehren. Die Mutter wollte sie nicht aufhalten – sie sah, wie sehr ihre Tochter unter ständiger Anspannung und Sorge gelitten hatte.
„Fahr nach Hause, mein Kind. Ich kann schon ganz gut alleine zurechtkommen. Ich danke dir von Herzen für alles, was du für mich getan hast,“
Anna Wasiljevna umarmte ihre Tochter kurz vor dem Abschied, und in ihrer Umarmung lag ein ganzes Universum aus Wärme und Dankbarkeit.
„Mama, wenn irgendetwas passiert, auch die kleinste Kleinigkeit, ruf sofort an. Ich komme am selben Tag zurück,“
betrat Sophia und küsste ihrer Mutter fest auf die Wange, atmete den vertrauten Duft ein.
Der Bus fuhr früh am Morgen ab. Sophia setzte sich ans Fenster, ihre Reisetasche lag auf dem nebenan freien Sitz. Sie holte ihr Telefon heraus und schrieb an Artem: „Ich bin bereits unterwegs. Ich werde in etwa vier Stunden zu Hause sein.“
Es kam keine Antwort. Die Frau steckte ihr Telefon in die Tasche und schloss die Augen. Eine lange Reise stand ihr bevor, also konnte sie ein wenig ausruhen und schlafen.
Sie wurde durch ein sanftes Bremsen des Busses geweckt. Sie waren angekommen. Sophia nahm ihre Tasche und stieg auf den Bahnsteig. Draußen war es kühl, die Herbstsonne verbarg sich hinter einem grauen Wolkenvorhang, ihr Licht war schummrig und diffus. Ein heftiger Wind trieb farbenfrohe, gefallene Blätter über den Asphalt und bildete einen traurigen, aber schönen Teppich.
Sie bestellte ein Taxi. Es waren nur zwanzig Minuten bis zu ihr nach Hause. Sophia schaute aus dem Fenster des Wagens und dachte, wie angenehm es sein würde, sich in einer eigenen Wohnung wiederzufinden, eine lange heiße Dusche zu nehmen und endlich gut in ihrem eigenen Bett zu entspannen.
Das Taxi hielt vor ihrem vertrauten fünfstöckigen Gebäude. Sophia bezahlte den Fahrer, schnappte sich ihre Tasche. Als sie sich der Eingangstür näherte, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen.
Vor der Eingangstür stand ein unbekanntes Auto. Ein neues, schimmerndes Importfahrzeug in sattem Dunkelblau mit perfekt polierter Karosserie. Es parkte genau am Platz, wo ihr bescheidenes Familienauto immer stand.
Sophia runzelte die Stirn. Hatte vielleicht einer der Nachbarn ein neues Auto gekauft? Oder hatten Gäste bei jemandem eingecheckt, die mit ihrem eigenen Auto kamen? Sie zuckte mit den Schultern und verdrängte das seltsame Unbehagen, als sie das Treppenhaus betrat.
Sie stieg in den dritten Stock. Als sie einen Schlüsselbund aus ihrer Tasche zog, ging sie zur vertrauten Tür ihrer Wohnung. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss und versuchte, ihn zu drehen.
Der Schlüssel drehte sich nicht. Er steckte fest, als wäre er auf ein unüberwindliches Hindernis gestoßen. Sophia probierte es noch einmal, drückte ein wenig stärker – das Ergebnis blieb dasselbe. Sie zog den Schlüssel heraus und betrachtete ihn sorgfältig. Es war ihr Schlüssel, der, den sie immer genutzt hatte, ohne irgendwelche Beschädigungen.
Dann sah sie sich den Schloss genauer an. Es war anderes. Völlig neu. Es war nicht das Schloss, das sie vor zwei Wochen installiert hatten.
Ein scharfer, kalter Schauer durchzuckte ihr Herz. Sophia drückte die Klingel. Langsame Schritte waren drinnen zu hören, dann klickte das Schloss. Die Tür öffnete sich.
Auf der Schwelle stand eine fremde, junge Frau. Etwa dreißig, sehr gepflegt, mit langen blonden Haaren und makellosem Make-up. Sie trug einen teuren, seidigen Bademantel, und um ihren Hals schimmerte eine elegante goldene Kette. Die Unbekannte betrachtete Sophia mit einem kalten, bewertenden Blick, der Überlegenheit ausstrahlte.
- „Brauchen Sie etwas?“
Fragte sie, sich lässig an den Türrahmen lehnend.
„Das ist meine Wohnung. Entschuldigung, wer sind Sie? Und wo ist mein Mann?“
Sophia machte einen Schritt nach vorne, um hinter die Fremde ins Innere zu blicken.
„Deine Wohnung?“
Die Frau lachte spöttisch, und in ihrem Lachen lag unverhohlene Verachtung. „Nicht mehr. Jetzt wohnen wir hier.“
„Was meinen Sie damit? Was heißt ‘wir wohnen jetzt hier’?“
Sophia konnte ihren Ohren nicht trauen.
„Deine persönlichen Sachen befinden sich auf dem Platz neben den Müllcontainern. Du kannst sie abholen, wenn du sie noch brauchst,“
bewegte die Unbekannte sich, um die Tür zu schließen.
„Warte einen Moment! Welche Sachen? Wo ist Artem?“
Sophia stützte instinktiv ihre Hand gegen die Tür und hielt sie offen.
„Artem ist gerade beschäftigt. Und deine Sachen sind da, wo ich gesagt habe. Neben den Mülleimern. Du kannst nachsehen,“
die Tür fiel mit lautem Knallen direkt vor ihrer Nase zu.
Sie blieb im Treppenhaus stehen. In ihren Ohren dröhnte ein ohrenbetäubendes Geräusch, ihre Beine wurden weich und gehorchten ihr nicht mehr. Ihre Gedanken waren wirr, sie weigerten sich, sich zu einer logischen Kette zu fügen.
Ihre Wohnung. Eine fremde Frau drinnen. Das Schloss wurde gewechselt. Ihre Sachen wurden auf den Müll geworfen.
Die Frau drehte sich abrupt um und lief schnell die Treppe hinunter. Sie trat hinaus in den Hof und machte sich auf den Weg zu den Müllcontainern. Neben den großen Tonnen standen mehrere große schwarze Müllsäcke, aus denen Ecken ihrer Kleider, Ärmel von Blusen und vertraute Jeans herausragten.
Sophia trat näher. Sie knotete den ersten Sack auf. Darin lag ihre Kleidung – einst sorgfältig gefaltete Kleider, Pullover, Hosen. Im zweiten Sack befand sich ihr Schuhwerk. Im dritten – wichtige Dokumente, Familienfotos, ein altes wertvolles Fotoalbum.
Ihre Hände zitterten. Die Frau kniete nieder und durchsuchte kraftlos die Inhalte der Taschen. Alles war hier. Ihr gesamtes Leben, ihre ganze Geschichte, all ihre Erinnerungen waren in Müllsäcke gepackt und wie unnötiger Kram auf die Müllkippe geworfen worden.
Eine Nachbarin, Tante Walentina, kam vorbei, die von einem Einkauf zurückkehrte, mit vollen Tüten in der Hand. Als sie Sophia sah, hielt sie an und in ihrem Gesicht spiegelte sich aufrichtiges Mitgefühl und Mitleid.
„Sophia? Bist du zurückgekehrt? Ich dachte, du hilfst noch deiner Mutter.“
„Ich bin gerade angekommen. Walentina Petrowna, was ist hier los? Du weißt nichts?“
Sophia stand auf, klopfte den Staub von ihren Knien und wies auf die verstreuten Taschen.
„Oh, mein Liebling, ich…“
Tante Walentina schüttelte traurig den Kopf und ihr Blick war voller Traurigkeit. „Ich kann dir nicht sagen, wie es mir leidtut. Dein Artem hat eine Frau hereingebracht. Das ist vor etwa drei Tagen passiert. Er sagte, sie sei jetzt die wahre Herrin hier.“
„Welche Frau? Was meinst du damit?“
Die Stimme von Sophia zitterte verräterisch und hörte auf zu sprechen.
„Nun, die, die jetzt in deiner Wohnung lebt. So eine schöne, perfekt gepflegte. Sie kam mit einem teuren Auto. Sie haben deine Sachen zusammengetragen und in diese Taschen gepackt,“
Tante Walentina seufzte schwer, als ob es ihr schwerfiel, von dieser Ungerechtigkeit zu atmen. „Ich habe versucht, mit Artem zu sprechen, habe ihn gefragt, wie er das tun kann, während seine Frau sich um die kranke Mutter kümmert. Er antwortete mir grob und forderte mich auf, mich nicht in seine Angelegenheiten einzumischen und nicht zu versuchen, ihm vorzuschreiben, wie er zu leben hat.“
Sophia hörte sich das an, und in ihr begann alles langsam still zu stehen und in Eis zu verwandeln. Nur zwei Wochen. Nur vierzehn Tage waren vergangen. Und in dieser kurzen Zeit hatte es ihr Mann geschafft, eine andere Frau in ihr gemeinsames Haus zu bringen, die Sachen seiner rechtmäßigen Frau auf die Straße zu werfen und die Schlösser auszutauschen.
„Sophia, du musst zur Polizei gehen. Das ist doch ein echtes Unrecht! Das verstößt gegen alle Gesetze!“
Riet die Nachbarin, ihre Stimme voller echter Besorgnis.
„Danke dir, Walentina Petrowna, für deine Anteilnahme. Ich… ich werde diese Situation selbst klären,“
stammelte die Frau und griff nach ihrem Telefon.
Die Nachbarin nickte verständnisvoll und schüttelte schwer seufzend den Kopf, dann ging sie weiter, zu ihrem Eingang. Sophia stand mit den Taschen alleine dastehend, die all ihre frühere Lebensgeschichte repräsentierten. Ihre Hände zitterten unrhythmisch, ihr Atem stockte, in ihren Augen sammelten sich tränenvolle Vorwürfe. Sie wollte laut schreien, weinen, die Treppe hinaufrennen und die Tür einfach eintreten.
Aber sie sammelte sich und fasste allen Mut zusammen. Sie schaltete die Kamera ihres Telefons ein und begann methodisch alles festzuhalten, was sie sah. Die Säcke mit ihren Sachen, die Müllcontainer, den Eingangsbereich, die Nummer des fremden Autos. Alles, was in Zukunft als Beweis dienen konnte.
Die Dokumente verstaute sie sorgfältig in ihre Reisetasche – ihren Ausweis, die Heiratsurkunde, die Arbeitsbescheinigung, die Krankenversicherungskarte. Auch das alte Fotoalbum packte sie behutsam hinein. Ihre Kleidung faltete sie wieder in die Taschen zurück und ließ sie neben den Containern – jetzt war nicht der Zeitpunkt, diese mit sich zu tragen.
Sie wählte die Nummer von Artem. Lange Warntöne, dann wurde die Verbindung unterbrochen. Sie wählte noch einmal – die gleiche Geschichte. Dann schrieb sie eine kurze Nachricht: „Ich muss mit dir sprechen. Sofort. Erklär mir, was hier vor sich geht.“
Es kam keine Antwort. Sophia steckte das Telefon wieder in ihre Tasche. Jetzt musste sie entscheiden, was sie tun würde. Offensichtlich würde man sie nicht hineinlassen, sie hatte keine Schlüssel und niemand schien sie wieder reinlassen zu wollen.
Die Frau zückte wieder ihr Telefon und wählte die Nummer ihrer alten Freundin, Anastasia. Lange Warntöne, dann die vertraute, so vertraute Stimme.
„Sonia? Bist du schon zurück? Wie geht es deiner Mutter?“
„Nastya, ich brauche dringend deine Hilfe. Kann ich dich jetzt besuchen? Sofort?“
Die Stimme von Sophia zitterte wieder, aber sie bemühte sich, gefasst zu klingen.
„Sicher kannst du! Komm sofort! Aber sag mir, was ist passiert? Bist du in Ordnung?“
„Ich erzähle alles, wenn ich ankomme. Ich bin auf dem Weg,“
legte Sophia den Hörer auf und war nicht mehr in der Lage, das Gespräch fortzusetzen.
Sie bestellte ein weiteres Taxi. Während sie auf das Auto wartete, hob sie wieder den Blick auf die Fenster ihrer Wohnung. Dritter Stock, das letzte Fenster. Das Licht brannte, und sie konnte schemenhafte Silhouetten hinter den Vorhängen sehen, die sich bewegten.
Artem und sein neues Abenteuer bereiteten ihr Leben in der Wohnung vor, die sie von ihren Eltern geerbt hatte. In der Wohnung, in der sie fünf lange Jahre mit ihm verbracht hatte. Wo all ihre gemeinsamen Erinnerungen aufbewahrt wurden, Pläne für die Zukunft geschmiedet wurden, wo Hoffnungen lebten.
Das Taxi kam angefahren. Sophia stieg ein und nannte die Adresse ihrer Freundin. Das Auto setzte sich sanft in Bewegung. Die Frau lehnte sich zurück und schloss die Augen.
In ihr tobte ein wahrer Sturm aus gemischten Gefühlen und Emotionen – Verwundbarkeit, Wut, unerträglicher seelischer Schmerz, völlige Verwirrung. Wie konnte man so niederträchtig und schändlich handeln? Seine eigene Frau auf die Straße zu setzen, während sie sich um ihre kranke Mutter kümmerte?
Aber neben all diesen zersetzenden Emotionen begann langsam, aber sicher, etwas anderes zu wachsen. Kalte, stählerne Entschlossenheit. Sophia wollte sich nicht kampflos geschlagen geben. Sie war nicht bereit, ihre Wohnung, ihr hart erarbeitetes Eigentum, ihr ganzes Leben einfach aufzugeben.
Sie würde kämpfen. Sie würde ihr rechtmäßiges Recht auf all dies beweisen. Sie würde zurückbekommen, was ihr nur rechtmäßig gehörte. Artem und seine neue Geliebte würden für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden und das verdiente Urteil erhalten.
Freundin Anastasia begrüßte sie an der Tür ihrer Wohnung mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Sie führte Sophia hinein, ließ sie auf ein großes, weiches Sofa im Wohnzimmer Platz nehmen, und brachte eine große Tasse heißen, süßen Tee.
„Nun, erzähl mir sofort, was passiert ist,“
fügte Anastasia hinzu, als sie sich neben ihre Freundin setzte und sie aufmerksam anblickte.
Sophia erzählte ihr alles. Von ihrer Rückkehr nach Hause, von der fremden Frau, die die Tür zu ihrer eigenen Wohnung geöffnet hatte, von den Dingen, die vor den Müllcontainern geworfen worden waren, von den Worten der Nachbarin. Sie sprach bemerkenswert ruhig, aber ihre Hände zitterten immer noch und die Finger umklammerten kraftlos die warme Tasse.
„Was für ein Mistkerl,**“
entfuhr es Anastasia mit einer gefühlvollen Ausatmung nach dem Zuhören der ganzen Geschichte. „Während du dich um deine Mutter kümmerst, hat er es geschafft, seine Geliebte direkt in dein Haus zu setzen.“
„Ich weiß nicht einmal, was ich jetzt tun soll. Ich darf nicht einmal in meine eigene Wohnung, die Schlösser wurden geändert,“
beendete Sophia und stellte die ungetrunkene Tasse auf den Wohnzimmertisch.
„Morgen früh suchen wir dir einen guten Anwalt. Das ist eine vollkommene Ungerechtigkeit, die Wohnung gehört schließlich dir,“
erklärte Anastasia mit Entschlossenheit. „Ich werde dir solange helfen, wie es nötig ist, bis die Situation gelöst ist.“
Sophia nickte dankbar, unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen. Die Nacht verging fast schlaflos. Die Frau lag auf dem Klapp-Sofa im Gästezimmer ihrer Freundin und ließ all das Geschehene in Gedanken Revue passieren. Wie konnte Artem das tun? Ist so etwas in der Realität sogar möglich?
Am Morgen half Anastasia, einen Anwalt zu finden. Ihre Bekannte empfahl einen Experten für Mietstreitigkeiten – Dmitri Alexandrowitsch, einen erfahrener Juristen mit einwandfreiem Ruf. Sie machten sofort einen Termin aus.
Die Konsultation war auf die Mittagszeit angesetzt. Dmitri Alexandrowitsch erwies sich als etwa fünfzigjähriger Mann mit grauen Schläfen, streng aussehenden Brillen und einem aufmerksamen, durchdringenden Blick. Er hörte sich die ganze Geschichte von Sophia in Ruhe bis zum Ende an, ohne sie zu unterbrechen, nur hin und wieder stellte er klärende Fragen.
„Ist die Wohnung auf dich registriert? Auf welcher Grundlage?“
fragte er, als Sophia ihre Erzählung beendet hatte.
„Ja, komplett auf mich. Ich habe sie von meinen Eltern geerbt, noch bevor ich geheiratet habe. Sie war als Erbschaftseigentum angemeldet,“
antwortete Sophia klar und deutlich.
„Das bedeutet, es handelt sich um dein persönliches Eigentum, nicht um gemeinschaftliches Eigentum in der Ehe,“
nickte der Jurist zufrieden und machte Notizen in seinem Block. „Dein Ehemann hatte überhaupt kein Recht, ohne dein Wissen und Einverständnis darüber zu verfügen.“
„Aber er lässt mich jetzt nicht mehr hinein. Die Schlösser wurden gewechselt,“
wiederum holte die Frau ihr Handy hervor und öffnete die Galerie mit Fotos.
Dmitri Alexandrowitsch betrachtete all die Bilder sorgfältig – die Taschen mit den Sachen, das Nummernschild des fremden Fahrzeugs, das Treppenhaus.
„Es war richtig von dir, all dies zu dokumentieren. Das wird uns später sehr nützlich sein,“
nickte der Jurist zustimmend und legte das Telefon zur Seite. „Hast du die kompletten Unterlagen, die dein Eigentumsrecht an diesem Wohnraum belegen?“
„Ja, natürlich, alle Originale sind dabei. Die Urkunde über die staatliche Registrierung des Eigentumsrechts, ein aktueller Auszug aus dem Einheitlichen staatlichen Register der Immobilien,“
holte Sophia einen ordentlich gefalteten Ordner mit wichtigen Dokumenten aus ihrer Tasche.
Der Anwalt prüfte alle vorgelegten Unterlagen akribisch. Er überprüfte Stempel, Unterschriften, Daten und verglich die Nummern.
„Mit den Dokumenten ist alles in ordnung. Du bist der alleinige und rechtmäßige Eigentümer dieser Wohnung. Niemand hatte das gesetzliche Recht, dich dort hinauszuwerfen,“
fiel Dmitri Alexandrowitsch sein Fazit. „Jetzt ist die Hauptfrage: Hat dein Mann die Wohnung verkauft oder einfach seine Geliebte dort einquartiert?“
„Das weiß ich nicht genau. Die Nachbarin sagte, dass die Frau direkt angegeben hat, dass sie jetzt die Eigentümerin sei,“
verfinsterte sich der Ausdruck von Sophia, während sie versuchte, sich an jedes Detail zu erinnern.
„Es ist dringend erforderlich zu überprüfen, ob es irgendwelche offiziellen Geschäfte mit dieser Immobilie gab. Wir werden einen erweiterten Auszug aus dem EGRN anfordern, der alle Änderungen und Transaktionen widerspiegelt,“
der Anwalt machte erneut einige Notizen in seinem Block.
Sie bestellten sofort den erweiterten Auszug. Das Dokument kam zwei Tage später an. Sophia kam erneut ins Büro des Anwalts, um es in Empfang zu nehmen. Dmitri Alexandrowitsch entfaltete die Papiere und begann aufmerksam zu lesen.
Sein Gesicht wurde nach und nach düsterer, während er las.
„Leider wurde ein Geschäft abgeschlossen. Vor einer Woche. Die Wohnung wurde für zwei Millionen Rubel an eine Galina Wiktorowna Sokolova verkauft,“
zeigte der Jurist Sophia die bedauerliche Zeile im Auszug.
„Was? Verkauft?! Aber ich habe nichts unterschrieben! Keine Unterlagen!“,
schoss Sophia von ihrem Stuhl auf, unfähig, ihre Empörung zu zügeln.
„Hier ist deine Unterschrift. Aber mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ist sie gefälscht,“
verfinsterte sich Dmitri Alexandrowitsch noch stärker. „Leider sind solche Fälle in meiner Praxis nicht selten. Unredliche Ehepartner nutzen oft alte Vollmachten oder fälschen einfach die Unterschriften ihrer Partner.“
„Vollmacht…“
erinnerte sich Sophia plötzlich an einen wichtigen Punkt. „Ich habe ihm tatsächlich vor etwa zwei Jahren eine Vollmacht erteilt, damit er die Nebenkosten zahlen kann, als ich im langen Urlaub war.“
„Das erklärt einiges. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er genau diese Vollmacht benutzt hat. Oder er hat einfach deine Unterschrift auf den Dokumenten gefälscht,“
der Anwalt schrieb auch diese Information auf. „Nun müssen wir diese Transaktion gerichtlich anfechten. Wir erstatten eine offizielle Anzeige bei der Polizei wegen Betrugs und bereiten gleichzeitig eine Klage vor, um diese Transaktion für ungültig zu erklären.“
Sophia nickte schweigend und begriff die Ernsthaftigkeit der Lage. Dmitri Alexandrowitsch begann sofort, alle notwendigen Dokumente vorzubereiten. Sie formulierten eine detaillierte Anzeige bei der Polizei wegen Betrugs und dem Fälschen von Unterschriften sowie eine Klage zur Anfechtung des Kaufvertrags und zur Räumung der illegal dort lebenden Personen.
Nach drei Tagen reichte Sophia persönlich alle vorbereiteten Dokumente bei den Behörden ein. Bei der Polizei die Anzeige über Betrug und das Fälschen offizieller Dokumente. Bei Gericht die Klage zur Anfechtung des Kaufvertrags und zur Räumung der unrechtmäßigen Bewohner.
Der Ermittler, der die Anzeige aufnahm, ordnete ein handschriftliches Gutachten an, um die Echtheit der Unterschrift festzustellen. Sophia musste ihre eigenen Unterschriften zur anschließenden Vergleichsanalyse zur Verfügung stellen.
Das Gericht setzte eine vorläufige Anhörung für einen Monat an. Dies war die Zeit, um sich mit allen Materialien des beginnenden Verfahrens vertraut zu machen.
Artem ignorierte weiterhin alle Anrufe und Nachrichten. Daher schickte Sophia ihm eine offizielle Mitteilung darüber, dass sie ihn verklagt hatte. Das Dokument wurde über einen Kurierdienst zugestellt, und ihr Mann war gezwungen, den Erhalt zu unterschreiben.
Die erste Gerichtsverhandlung verlief ziemlich formell. Der Richter machte sich mit den Materialien der Klage vertraut und hörte beide Parteien an. Artem erschien mit seinem Anwalt und der besagten Frau. Seine Begleiterin wirkte überzogen selbstsicher – sie trug einen teuren Designer-Mantel, hochhackige Schuhe und hatte ein makelloses Make-up. Sie betrachtete Sophia mit unverblümtem Verachtung und Überheblichkeit.
Alle Verfahrensbeteiligten traten in den Gerichtssaal ein. Der Richter las das Fazit der durchgeführten Handwriting-Analyse vor. Die Unterschrift im Kaufvertrag wurde offiziell als gefälscht anerkannt. Die Transaktion war mit schwerwiegenden Verstößen gegen die geltende Gesetze abgeschlossen worden, ohne das Wissen und die Zustimmung der rechtmäßigen Eigentümerin.
Der Anwalt von Artem versuchte, die Ergebnisse des Gutachtens anzufechten, indem er behauptete, dass es nicht objektiv und voreingenommen sei. Doch der Richter wies seinen Antrag zurück, indem er erklärte, dass Gutachten von einem unabhängigen, akkreditierten Labor durchgeführt worden war, und es keine Gründe gab, an den Ergebnissen zu zweifeln.
Danach legte Dmitri Alexandrowitsch dem Gericht zusätzliche gesammelte Beweise vor. Die schriftlichen Aussagen von Nachbarin Walentina Petrowna, wie Artem und seine Geliebte die Sachen von Sophia aus der Wohnung trugen, wurden verlesen. Es wurden Fotos der Taschen mit Sachen, die an den Müllcontainern standen, in den Prozess eingeführt. Zudem wurde ein Ausdruck der Korrespondenz vorgelegt, in der der Mann alle Fragen seiner Frau über das Geschehen ignorierte.
Der Richter hörte sich alle Argumente und Beweise beider Seiten aufmerksam an. Dann zog sie sich zur Beratung zurück, um das endgültige Urteil zu fällen. Nach etwa einer halben Stunde kehrte sie zurück.
„Bitte alle aufstehen. Der Prozess ist zur Verkündung des Urteils geöffnet,“
kündigte der Sekretär der Verhandlung an.
Alle Anwesenden im Saal standen von ihren Plätzen auf. Der Richter begann, die Beschlüsse zusammenzufassen:
„Die Geldforderungen der Klägerin Sophia Andrejewna Mironowa sind vollständig und bedingungslos zuzubilligen. Die Kauftransaktion der Wohnung, gelegen unter [Adresse], ist ungültig zu erklären. Die Beklagten Artem Igoriewitsch Mironow und Galina Wiktorowna Sokolova werden verpflichtet, diese Wohnräume innerhalb von zehn Tagen nach Rechtskraft dieses Urteils zu räumen. Von Artem Igoriewitsch Mironow ist zugunsten der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von hunderttausend Rubel zu zahlen, sowie alle Verfahrenskosten zu erstatten.
Sophia schloss die Augen und spürte, wie eine gigantische, drückende Last der letzten Monate von ihren Schultern fiel. Der Sieg. Die Gerechtigkeit hatte obsiegt. Das Gesetz stand auf ihrer Seite.
Die Geliebte von Artem sprang abrupt von ihrem Platz auf, rief irgendetwas Unverständliches laut in seine Richtung und rannte verärgert aus dem Gerichtssaal. Artem selbst blieb sitzen, sein Gesicht war bleich, und sein Blick war leer und ausgebrannt.
Nachdem das Urteil verkündet wurde, trat Sophia an die Seite ihres Anwalts aus dem Gerichtssaal. Dmitri Alexandrowitsch drückte ihr herzlich und fest die Hand:
„Herzlichen Glückwunsch zum verdienten Sieg. Der Fall ist gewonnen. In zehn Tagen wird deine Wohnung vollständig von Fremden befreit sein.“
„Vielen Dank für all deine Hilfe und Unterstützung,“
lächelte Sophia zum ersten Mal seit vielen Monaten wirklich und spürte, wie die Ruhe, die sie so lange vermisst hatte, zu ihrem Herzen zurückkehrte.
Artem folgte ihnen aus dem Saal und versuchte, mit seiner ehemaligen Frau zu sprechen. Doch Sophia ging an ihm vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Es gab nichts mehr zu sagen zwischen ihnen. Alles, was gesagt werden musste, war schon durch seine Handlungen gesagt worden.
Zehn Tage vergingen, die das Gericht zur Räumung der Wohnung festgelegt hatte. Sophia kam gemeinsam mit Dmitri Alexandrowitsch und einem Gerichtsvollzieher zu ihrer Wohnung. Sie gingen in den dritten Stock und klingelten.
Die Tür öffnete Artem. Er war allein, ohne seine Geliebte. Er sah sehr mitgenommen und müde aus – sein unrasiertes Gesicht, zerknitterte Kleidung, rote Augen von Schlaflosigkeit.
„Befreien Sie die Wohnräume gemäß der gerichtlichen Anordnung?“
fragte der Gerichtsvollzieher streng und formal.
„Ja, ich werde meine letzten Sachen jetzt packen und die Wohnung befreien,“
antwortete der Ex-Mann leise, gleichzeitig seinen Blick abwendend.
Sophia trat still in die Wohnung ein. Sie sah sich langsam um. Die Wohnung sah ganz anders aus, nicht so, wie sie es gewöhnt war – neue, fremde Möbel, andere Tapeten im Flur, ein unbekannter Teppich an der Türschwelle. Trotzdem war es immer noch ihre Wohnung, ihr Zuhause, das sie verteidigt hatte.
Artem begann schweigend und ohne weitere Worte seine verstreuten Sachen in große Reisetaschen zu packen. Seine Geliebte war offenbar nirgends zu sehen.
„Wo ist deine Freundin?“
überwand sich Sophia doch zu fragen und brach das drückende Schweigen.
„Sie ist gegangen. Sobald sie von dem Urteil gehört hat, hat sie sofort ihre Sachen gepackt. Sie sagte, sie wolle ihr Leben nicht mit einem Versager verbinden, der selbst seine eigene Wohnung nicht verteidigen kann,“
eine bittere Ironie schlich sich in der Stimme von Artem, während er seine Sachen weiter einpackte.
Sophia gab darauf keine Antwort. Ihr Ex-Mann erhielt nun, was ihm zusteht. Er hatte sie betrogen, belogen, ihre Sachen auf die Straße geworfen, während sie sich um ihre kranke Mutter kümmerte. Jetzt war er ganz allein – ohne Wohnung, ohne Geliebte, mit Schulden durch Gerichtsurteile.
Etwa eine Stunde später war Artem mit dem Packen fertig. Der Gerichtsvollzieher prüfte sorgsam, ob alle Sachen abgeholt wurden und ob etwas Fremdes in der Wohnung geblieben war. Der Ex-Mann trat ruhig über die Schwelle hinaus, schwere Taschen in den Händen tragend. An der Tür drehte er sich ein letztes Mal um:
„Sophia, vergib mir, wenn du kannst …“
„Auf Wiedersehen, Artem,“
antwortete die Frau kalt und völlig emotionslos und schloss hinter ihm die Tür, hinter der ihr ganzes früheres Leben zurückblieb.
Sie blieb allein im Flur stehen und lauschte der eingetretenen Stille. Die Wohnung gehörte wieder nur ihr. Jetzt war kein Platz mehr für Lügen, für Verrat und für Fremde.
Zuerst bestellte Sophia einen Monteur für den Schlosswechsel. Sie ließ alle Schlösser gegen neue, moderne austauschen, die einen höheren Einbruchschutz boten. Die alten Schlüssel warf sie ohne jeden Bedauern in den Mülleimer.
Danach nahm sie den bunten, synthetischen Teppich, den die Geliebte ihres Ex-Mannes an der Tür ausgelegt hatte. Er war so fremd, so unpassend zu ihrem ganzen Zuhause. Sie rollte ihn zusammen und brachte ihn zu den Müllcontainern. An seine Stelle legte sie ihren alten, bewährten Teppich, den sie unter ihren einst auf den Müll geworfenen Sachen fand.
Nachdem sie in die Wohnung zurückgekehrt war, ging sie langsam durch alle Zimmer und berührte die Wände, die Möbel, die vertrauten Dinge mit ihrer Hand. Das Haus empfing sie mit seiner vertrauten, warmen und heimeligen Atmosphäre wieder. Jetzt standen große Arbeiten bevor – der Wohnung ihren früheren, so geliebten Look zurückzugeben, alle Zeichen des unerwünschten Eintretens zu beseitigen.
In den nächsten Tagen widmete Sophia sich kleinen, aber gründlichen Renovierungsarbeiten. Sie entfernte die neuen Tapeten, die durch Artem und seine Geliebte aufgehängt worden waren, und brachte die alten, hellen und ruhigen zurück an die Wände. Sie stellte die Möbel an ihre gewohnten Plätze zurück und warf all die fremden Sachen weg, die sie nicht mitnahmen.
Allmählich, Schritt für Schritt, begann die Wohnung, ihre ursprüngliche, so geliebte und vertraute Gestalt wiederzugewinnen. Sophia arbeitete ohne Hast und genoss jeden Moment dieses Prozesses. Jede ihrer Handlungen gab ihr das Gefühl von Zuhause, ihrem persönlichen, geschützten Raum zurück, den kein anderer jemals wieder ohne ihre Erlaubnis betreten sollte.
Anastasia besuchte sie fast täglich, um ihr bei der Reinigung und Einrichtung zu helfen. Die Freundinnen wuschen zusammen die Fenster, hängten neue, schöne Vorhänge auf und sortierten die Bücher in den Regalen des Wohnzimmers.
„Wie fühlst du dich, wieder zu Hause zu sein?“
fragte Anastasia, als sie gemeinsam den Staub von der Oberfläche des großen Bücherregals wischten.
„Das lässt sich nicht in Worte fassen. Ich fühle wieder, dass es mein Platz ist, mein Eckchen, meine Festung,“
antwortete Sophia mit einem Lächeln, und in ihrem Lächeln lag so viel Licht und Frieden.
„Bereust du etwas? Artem?“
fragte die Freundin vorsichtig, fast im Flüsterton.
„Nein. Keine Sekunde. Er hat seine bewusste Wahl getroffen. Er hat mich verraten in dem Moment, als ich ihn am meisten brauchte, als ich meiner kranken Mutter zur Seite stand. Er hat bekommen, was er verdient, und ich fühle nichts außer Gleichgültigkeit ihm gegenüber,“
antwortete Sophia fest und überzeugt, und ihr Gesichtsausdruck zeigte keinen Schimmer an Zweifel.
Anastasia nickte nur verständnisvoll und die Freundinnen setzten ihre Arbeit im komfortablen, vertrauten Schweigen fort.
Zu Silvester war die Wohnung völlig verwandelt. Sophia hatte alle Spuren des unerwünschten Eintretens beseitigt und den Frieden zurück in ihr Zuhause. Sie kaufte sogar ein neues, bequemes Sofa – das alte war für ihre Zeit mit Artem zu stark mit Erinnerungen belastet, die sie nicht mehr brauchte.
»Am Abend des 31. Dezember saß sie allein in ihrer Küche mit einer großen Tasse duftendem Kräutertee. Draußen fiel leise der flauschige Schnee, die ganze Stadt bereitete sich auf das neue Jahr vor, auf eine neue Lebensphase. Sophia betrachtete das winterliche Märchen vor dem Fenster und dachte an den langen und schwierigen Weg, den sie im letzten Jahr zurückgelegt hatte.
So viel war in dieser Zeit passiert. Der Verrat des nächsten Menschen, ein langwieriger und ermüdender Kampf um ihre eigene Wohnung, Gerichtsstreitigkeiten, nervöses Warten und schließlich der verdiente Sieg. Vier Monate ständiger Anspannung, schlafloser Nächte, Tränen und Verzweiflung. Doch sie hatte all diese Prüfungen überstanden, sich nicht beugen lassen und geschafft, das zurückzuholen, was ihr rechtmäßig zustand.
Ihr Telefon vibrierte leise, als es auf dem Tisch lag. Es war eine Nachricht von ihrer Mutter: „Frohes neues Jahr, meine Tochter! Ich wünsche dir viel Gesundheit und unendliches Glück in deinem Leben!“
Sophia lächelte und antwortete hastig: „Dir auch, meine liebe Mama! Frohes Neues Jahr! Wie geht es dir? Mach dir keine Sorgen, oder?“
„Alles ist wunderbar, ich fühle mich einfach großartig. Die Ärzte sagen, ich habe mich vollständig von der Operation erholt. Komm im Frühling zu mir, damit wir zusammen sein können.“
„Das werde ich unbedingt machen. Ich vermisse dich sehr. Dicken Kuss.“
Sie legte ihr Telefon beiseite. Ihre Mutter war wohlauf, die Wohnung zurückgegeben, die Gerechtigkeit hatte siegte. Jetzt war es Zeit, mit reinem Herzen und hellem Geist ein völlig neues Leben zu beginnen. Ein Leben ohne Lügen, ohne Verrat, ohne Menschen, die bereit sind, dir das Messer in den Rücken zu stechen, genau in dem Moment, in dem du es am wenigsten erwartest.
Das Beste lag vor ihr. Rein, hell, frei von der Last der Vergangenheit, voller neuer Hoffnungen und endloser Möglichkeiten. Und diese Zukunft gehörte nur ihr. Sie begann genau jetzt, in der Stille und Gemütlichkeit ihres eigenen Zuhauses, unter dem leisen Klang von Gläsern hinter der Wand und dem gleichmäßigen Ticken der Uhren, die die letzten Minuten des abziehenden Jahres zählen. In dieser Zukunft würde sie auf jeden Fall glücklich sein.
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