Eine unerwartete Begegnung zwischen Müttern

Es gab eine Frau, die oft zu Clara sagte, dass sie ihre wahre Mutter sei, jedes Mal, wenn Clara und ihre Freunde von der Schule nach Hause kamen.

Nachmittags gingen Clara und ihre beiden besten Freundinnen, Mia und Jordan, stets denselben Weg nach Hause: Sie spazierten die Maple Street hinunter, vorbei an der Bäckerei, um dann den alten Park zu überqueren, wo eine Frau in zerschlissenen Kleidern immer auf der gleichen Bank saß.

Die Mehrheit der Zeit murmelte die Frau wirre Wörter, während sie einen abgetragenen Teddybären umklammert hielt. Doch an einem Tag, als Clara vorbeiging, sprang die Frau auf und rief: „Clara! Clara, ich bin es! Ich bin deine wahre Mutter!“

Die Kinder blieben abrupt stehen. Mia flüsterte: „Ignorier sie, das ist alles“ und hasteten nervös weiter. Doch Clara konnte nicht lachen. Ihr Herz zog sich zusammen und aus einem Grund, den sie selbst nicht verstehen konnte, blieb die Stimme der Frau in ihr verankert.

Von diesem Tag an wurde es zur Gewohnheit: Täglich rief die Frau ihren Namen, manchmal leise, manchmal lautstark. Die Lehrer behaupteten, sie sei nur eine wohnungslose Person mit psychischen Problemen. Clards Adoptiveltern, Mark und Elaine Carter, rieten ihr, die Frau zu meiden. „Sie ist gefährlich, mein Schatz“, sagte Elaine und zog Clara an sich. „Komm ihr nicht zu nahe.“

Aber nachts konnte Clara nicht aufhören, daran zu denken. Wie konnte diese Frau ihren Namen kennen? Wie wusste sie von dem kleinen Muttermal hinter Claras Ohr — dem, über das nie jemand sprach?

Dann, an einem regnerischen Nachmittag, als Clara ihr Heft fallen ließ, bückte sich die Frau, um es aufzuheben. „Du hast die Augen deines Vaters“, flüsterte sie, während sie Clara das Heft reichte. „Man hat mir gesagt, du wärst tot.“

Clara rannte nach Hause, durchnässt und zitternd. „Mama“, sagte sie, „diese Frau… sie wusste Dinge. Sie wusste von dem Muttermal hinter meinem Ohr.“

Elaine erstarrte. Mark sah zu Boden. Zum ersten Mal schien das Haus in unerträglichem Schweigen zu verharren.

Nach einer langen Stille seufzte Elaine. „Clara, es gibt Dinge, die wir dir nicht erzählt haben. Wir haben dich adoptiert, als du zwei Jahre alt warst. Die Agentur sagte, deine Mutter… sei nicht wohlauf gewesen. Sie hatte dich in einem Heim zurückgelassen.“

Clara hatte das Gefühl, als ob ihr die Luft aus den Lungen entglitt. „Also ist es wahr. Diese Frau…“

„Sie ist krank“, schnitt Elaine schnell ein. „Du kannst nichts von dem glauben, was sie sagt.“

Doch Claras Neugier nagte an ihr. Am nächsten Tag ging sie allein dorthin. Die Frau, die Lydia hieß, saß wieder unter demselben Baum, hielt denselben Teddybären. Als Clara näher trat, füllten sich Lydias Augen mit Tränen.

„Man hat mir gesagt, dass man dich genommen hat“, sagte sie sanft. „Ich habe dich jahrelang gesucht. Ich war nicht verrückt, Clara — ich hatte Schmerzen.“

Sie reichte Clara ein vergilbtes Foto. Eine junge Frau mit strahlenden Augen hielt ein in eine gelbe Decke gewickeltes Baby — dieselbe Decke, die Clara noch immer in ihrem Zimmer hatte.

„Bitte“, flüsterte Lydia. „Hör mir einfach zu.“

In den folgenden Wochen traf sich Clara heimlich mit Lydia. Jede Erzählung von Lydia entsprach Bruchstücken aus Claras Kindheit — das Wiegenlied, die Narbe am Knie, der Spitzname „Stella“, auf den niemand sonst wusste, dass sie einmal reagiert hatte.

Schließlich konnte Clara nicht mehr. Sie konfrontierte ihre Adoptiveltern. „Ihr habt gesagt, sie hat mich verlassen“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Aber das ist nicht wahr — oder?“

Marks Augen füllten sich mit Schuld. „Wir wussten nicht die ganze Wahrheit“, gestand er. „Deine leibliche Mutter hatte einen Unfall. Sie lag monatelang im Koma. Das System erklärte dich für verlassen, bevor sie wieder zu sich kam. Als sie schließlich genas, war es zu spät. Wir… wir konnten den Gedanken nicht ertragen, dich zu verlieren.“

Elaine brach in Tränen aus. „Es war falsch, dir das zu verheimlichen. Ich hatte einfach Angst, dass du uns verlässt.“

Clara saß still da, ihr Herz zerrissen zwischen Dankbarkeit und Schmerz.

Am nächsten Tag brachte sie Lydia nach Hause. Elaine blieb stunned auf der Türschwelle stehen, dann öffnete sie langsam die Arme und umarmte die zitternde Frau. Zum ersten Mal sah Clara zwei Mütter — die eine, die ihr das Leben geschenkt hatte, und die andere, die gekämpft hatte, um ihr ein besseres Leben zu geben — die sich in den Armen hielten und weinten.

An diesem Tag war die „verrückte Frau“ kein Fremder mehr. Sie war eine Mutter, die niemals aufgehört hatte zu suchen.