An diesem Morgen erlebte Katya eine der seltsamsten und überraschendsten Wendungen ihres Lebens. Noch am Abend zuvor hatte sie den Streit, den umgestoßenen Tisch, Denis’ erschrockenes Gesicht, das Entsetzen ihrer Schwiegermutter und den Wutausbruch ihres Schwiegervaters erlebt — doch niemand war auf das vorbereitet, was nun geschah. Als die Bank sie darüber informierte, dass achtzig Millionen Rubel auf ihr Konto überwiesen worden waren, wurde die Küche für einen Moment so still, dass man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Der Schwiegervater starrte sie mit offenem Mund an, als wollte er mit einem einzigen Wort die Situation stoppen. Die Schwiegermutter hielt sich die Hand aufs Herz, als hätte sie die größte Überraschung ihres Lebens zu verarbeiten, und Denis sprang zum ersten Mal an diesem Abend auf, eine Mischung aus Unglauben und Aufregung in den Augen.
„Siebundzwanzig Supermärkte?“ flüsterte er, kaum fassend, dass jemand so viel besitzen konnte.
Katya stellte ruhig ihre Tasche auf den Tisch. „Ja. Außerdem Lagerhäuser, Grundstücke und ein ziemlich großes Bankkonto.“
Anzela blinzelte, versuchte die Zahlen und ihre Bedeutung zu begreifen. „Wie… wie groß ist ‚ziemlich groß‘?“
Katya holte tief Luft und sprach die Worte aus, die alle erstarren ließen: „Achtzig Millionen Rubel.“
In der Küche hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Alle hielten den Atem an.
„ACHTZIG MILLIONEN?!“ schrie der Schwiegervater, kippte den Stuhl um. „Du? Dir hat er das Geld vermacht?!”
In seiner Stimme lag kein Erstaunen, sondern blinder Zorn. Hilfloser, neidischer Zorn.
„So wollte es mein Onkel“, antwortete Katya ruhig, als wäre dies das Selbstverständlichste der Welt.
„Dir platzt der Kopf vor so viel Reichtum!“ murmelte die Schwiegermutter. „Vielleicht liegt ein Irrtum vor. Vielleicht bist du gar nicht die Richtige.“
„Die Unterlagen stehen auf meinen Namen“, entgegnete Katya, ungewöhnlich bestimmt.
Denis trat näher, unsicher. „Katya… entschuldige, was ich gestern gesagt habe. Ich wusste nicht…“
Katya sah ihn an. Ihre Augen waren noch sanft, aber müde, voller Jahre zurückgehaltener Worte. „Es geht nicht ums Geld, Denis. Es geht um Respekt.“
Der Mann stammelte, wusste nicht, was er sagen sollte. Doch der Schwiegervater ließ nicht locker: „Dieses Geld muss ordentlich verwaltet werden! Du hast keine Ahnung vom Geschäft. Wir kümmern uns darum! Denis wird Geschäftsführer! Ich überwache die Lager… Wir haben Erfahrung!“
„Welche Erfahrung?“ fragte Katya ruhig, was den Schwiegervater nur noch mehr erzürnte. „Dreißig Jahre hast du in einer Fabrik gewartet. Du hast nichts geleitet, nur deinen Traktor bedient.“
Das Gesicht des Schwiegervaters errötete. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen?!“
„Sehr leicht“, sagte Katya. „Zum ersten Mal in meinem Leben.“
Zum ersten Mal fühlte sie, dass sie sich nicht mehr zusammenziehen musste, um in ihre Welt zu passen.
Denis versuchte, zwischen sie zu treten: „Kommt, das ist nicht der richtige Moment zum Streiten…“
„Nicht der richtige Moment?!” schrie die Schwiegermutter. „So viele Jahre haben wir das Haus über dir gehalten, und jetzt redest du mit uns, als wärst du die Chefin!“
Katya sah lange in ihre Gesichter. „Ich habe euch nie etwas verlangt. Ich habe gekocht, geputzt, mich um das Haus gekümmert. Ich wollte euren Respekt gewinnen… Aber ihr habt immer nur gesehen, dass ich ‚esse, aber kein Geld ins Haus bringe‘. So hast du es gesagt, nicht wahr?“
Der Schwiegervater biss sich auf die Lippe. Er wusste, dass es stimmte.
Anzela meldete sich zaghaft: „Katya… bitte, sei nicht böse. Du weißt, wie unsere Eltern sind. Aber jetzt, wo du so viel Geld hast… vielleicht… könntest du mir ein wenig leihen? Für meinen Schönheitssalon.“
Katya sah sie verblüfft und traurig an. „Kaum komme ich nach Hause, und sofort geht es nur ums Geld?“
Die Schwiegermutter richtete sich plötzlich auf. „Was dachtest du, mein liebes Kind? Dass wir den Kopf in den Sand stecken? Wir sind Familie! In der Familie teilt man Geld miteinander!“
Katya lächelte kalt. „Interessant. Gestern noch war ich eine Parasitin. Heute bin ich Familie.“
Mit jedem Wort wuchs die Spannung. Denis berührte ihre Schulter: „Katya, bitte… denk nicht, dass wir gegen dich sind. Wir sind es nicht. Nur… diese Nachricht hat uns völlig überrascht.“
Sie spürte seine Berührung, seine Wärme. Doch sie fühlte keinen Schutz — nur Unsicherheit.
„Denis… hättest du genauso gesprochen, wenn ich das Geld nicht bekommen hätte?“
Er schwieg. Das war Antwort genug.
Katya holte tief Luft und sagte dann entschlossen: „Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich ziehe vorübergehend in die Wohnung, die ich mit dem Erbe bekommen habe. Ich muss mich um die Unterlagen kümmern, mit Buchhaltern sprechen, die Geschäftsleiter der Kette treffen. Ich werde in den nächsten Wochen hier nicht wohnen.“
„Wie, du gehst?!” brach der Schwiegervater aus. „Dieses Haus gehört auch dir!“
„Du hast hundertmal gesagt, dass es das nicht tut“, erwiderte Katya. „Also hast du recht.“
Die Schwiegermutter platzte heraus: „Und Denis? Nimmst du ihn mit? Oder lässt du ihn hier wie einen kleinen Hund?“
Katya sah ihren Mann an. Sie wartete auf ein Wort. Alles, was ihr zeigen würde, dass er zu ihr hielt. Denis senkte den Blick. „Katya… vielleicht… könnten wir noch darüber reden… beeil dich nicht…“
In diesem Moment riss etwas in ihr endgültig. Ein altes, viel zu fest gezogenes Knotenband. „Verstanden“, sagte sie leise. Sie ging ins Vorzimmer, nahm Mantel und Tasche.
Als sie am Schwiegervater vorbeiging, blickte er sie mit einer seltsamen Mischung aus Angst und Wut an. „Vergiss nicht, wer dir ein Dach über dem Kopf gegeben hat!“ schrie er ihr nach.
Katya blieb in der Tür stehen, drehte sich um: „Ich vergesse es nicht. Aber auch nicht, wie du mich genannt hast.“
Die Augen des Schwiegervaters weiteten sich, als erinnere er sich plötzlich an jene beschämende Szene vor einigen Tagen, als er sie mit einer Pfanne geschlagen hatte. Katya sah es und lächelte schwach. „Von nun an wird mich niemand mehr verletzen. Weder mit Worten noch mit Händen, noch mit Pfannen.“
Die Tür schloss sich kurz und entschlossen hinter ihr — wie ein Urteil.
Draußen war die Luft kalt, aber für Katya befreiend. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie sich leicht. Nicht wegen des Geldes — sondern weil sie ihre Würde wiedergewonnen hatte.
Sie öffnete ihr Handy. Der Anwalt hatte ihr die Adresse der neuen Wohnung geschickt. Ein modernes Penthouse, zentral gelegen, mit riesigen Fenstern.
Das Taxi kam schnell. Der Fahrer sah sie im Rückspiegel an. „Schlechter Tag, Frau Katya?“
Sie lächelte schwach. „Langer Tag. Aber ein guter.“
Im neuen Zuhause wurde sie vom Portier respektvoll begrüßt, die Rezeptionistin übergab ihr einen eleganten Schlüsselbund.
Die Wohnung war hell, weitläufig, mit Blick auf die Stadt. Katya trat ein, schloss die Tür sanft, stellte ihre Tasche ab und blickte sich um. „Das… ist mein Anfang.“
Zum ersten Mal seit Jahren flossen ihre Tränen nicht aus Schmerz. Sondern aus Erleichterung.
Sie setzte sich aufs Sofa, holte die Unterlagen hervor und legte sie auf den Tisch. Morgen würde sie den Geschäftsführer der Supermarktkette treffen, dann den Hauptbuchhalter. Wichtige Entscheidungen standen bevor. Ein Imperium wartete auf sie.
Doch jetzt, in der Stille der Wohnung, konnte sie endlich durchatmen. Sie wischte ihre Tränen weg.
„Ich bin kein Parasit mehr“, flüsterte sie. „Ich bin Herrin meines eigenen Lebens.“
Und nach langen Jahren der Demütigung schlief sie zum ersten Mal ruhig ein, bereit, ihre eigene Zukunft zu gestalten.