Als Clara sich auf ihre geschäftliche Reise begab, bereit, ihr Berufsleben auf eine völlig neue Ebene zu heben, ahnte sie nicht, dass eine Begegnung mit einer Fremden alles verändern würde. Eine einzige Aussage, ein beiläufiger Kommentar, und plötzlich schien ihre gesamte Ehe zu zerbrechen.
Allein zu reisen war für sie eigentlich immer etwas Angenehmes gewesen. Besonders bei Geschäftsreisen genoss sie es, für eine gewisse Zeit in einer fremden Umgebung zu sein, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren und den Alltag hinter sich zu lassen. Auch die vorübergehende Trennung von ihrem Mann Tom fiel ihr nie schwer. Er machte es ihr leicht, denn sie wusste genau, wie er seine Zeit verbrachte, wenn sie unterwegs war – entspannt auf dem Sofa, mit ungesunden Snacks vor dem Fernseher, bis sie wieder nach Hause kam.
„Ich werde sowieso nichts anderes tun“, hatte er gelacht, als er ihr den Koffer zum Abschied überreichte. Doch diesmal war es anders. Auch Tom hatte eine geschäftliche Reise geplant, etwas, das er sonst nur selten tat.
Die Vorbereitungen für ihre Reise waren für Clara eine emotionale Achterbahnfahrt. Es stand viel auf dem Spiel, denn sie und ihr Geschäftspartner Malcolm waren dabei, ihr Restaurant in eine Franchise zu verwandeln. Die Investoren, mit denen sie sich treffen würde, könnten diesen Traum wahr werden lassen.
„Mach dir keine Sorgen“, hatte Malcolm ihr versichert. „Geh einfach rein und präsentiere alles, woran wir die letzten Monate gearbeitet haben. Und vor allem: Sei einfach du selbst!“
„Du solltest mitkommen“, hatte sie ihn gedrängt, doch Malcolm schüttelte nur den Kopf. Er konnte es sich nicht leisten, die Stadt zu verlassen – schließlich erwartete seine Frau jeden Moment ihr erstes Kind.
Auch Tom hatte sie ermutigt. „Du hast so viele Präsentationen gehalten. Warum sollte es diesmal anders sein?“
„Weil es um eine riesige Summe Geld geht“, hatte sie eingeworfen.
„Und genau deshalb haben sie dich eingeladen. Sie wissen, dass du es wert bist.“
Er hatte recht. Wäre ihr Vorschlag nicht vielversprechend, hätten die Investoren sie nicht in ein derart luxuriöses Hotel eingeladen.
Kurz vor ihrer Abreise hatte sie ihn noch gefragt, ob er wegen seiner eigenen Reise nervös sei, doch er hatte verneint. „Ganz im Gegenteil, ich freue mich sogar darauf. Ich war in letzter Zeit unruhig, und das ist eine gute Gelegenheit, mal rauszukommen. Wir sollten wirklich mal gemeinsam verreisen.“
„Nach unserer Rückkehr“, hatte sie versprochen.
Tom küsste ihre Stirn, wünschte ihr viel Erfolg und ging.
Als sie im Flugzeug saß, spürte sie plötzlich eine merkwürdige Unruhe, ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Doch sie schob es beiseite – jetzt musste sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren.
Nach einer Flugverspätung blieb ihr kaum Zeit, ins Hotel einzuchecken, bevor sie zu ihrem Meeting eilte. Die Präsentation verlief hervorragend, und als Grant, der leitende Investor, ihr gratulierte, spürte sie eine Welle der Erleichterung. Nun musste sie nur noch auf die endgültige Entscheidung warten.
Zurück im Hotel wollte sie sich endlich entspannen. An der Rezeption fiel ihr eine Frau auf, die neben ihr im Flugzeug gesessen hatte.
„Hey! Auch hier abgestiegen?“ begrüßte sie die Fremde mit einem freundlichen Lächeln.
Clara nickte und erwiderte die Frage.
„Nur für ein paar Tage“, antwortete die Frau. „Ein kleiner Kurzurlaub mit meinem Freund. Aber es ist kompliziert.“
„Wieso das?“ fragte Clara neugierig.
„Er ist verheiratet“, gestand die Fremde mit einem Grinsen. „Aber er vermutet, dass seine Frau selbst eine Affäre hat, also gleicht sich das aus.“
Clara lachte ungläubig. Diese Art der Rechtfertigung war ihr fremd. Doch sie wollte sich nicht weiter mit den Problemen anderer befassen.
Als die Frau an der Rezeption ihren Namen nannte, spürte Clara, wie ihr Herz plötzlich schneller schlug. Veronica – so hieß sie. Und die Reservierung lief auf Tom Harrison.
Ihr Tom Harrison.
Das konnte kein Zufall sein.
Die Rezeptionistin bat um eine Kontaktnummer zur Bestätigung der Buchung, und Veronica nannte ohne zu zögern die Telefonnummer ihres Mannes.
In diesem Moment brach etwas in Clara. Die Bestätigung war endgültig. Ihr Mann war nicht nur untreu, sondern hatte diese Reise sorgfältig geplant. Während sie um ihre berufliche Zukunft kämpfte, lebte er ein Doppelleben.
Wie in Trance checkte sie ein. Die Euphorie über ihr erfolgreiches Meeting war verflogen, verdrängt von Wut, Schmerz und einem tiefen Gefühl des Verrats.
Sie wollte nicht einfach tatenlos bleiben.
Als sie hörte, welches Zimmer Tom und Veronica erhalten hatten, griff sie zu einer List. Mit einer einfachen Notiz über eine kostenlose Massage für Tom ließ sie sich eine Schlüsselkarte aushändigen.
Dann wartete sie.
Als sie schließlich ihr Zimmer betrat, machte sie es sich gemütlich und wartete auf seine Ankunft.
„Schatz, ich bin da“, erklang Toms Stimme.
„Überraschung!“ rief sie mit einem süffisanten Lächeln.
Seine Gesichtsfarbe wich abrupt, Schweiß glänzte auf seiner Stirn.
„Clara!“ stotterte er.
„Nicht die, die du erwartet hast?“ Ihre Stimme war kalt.
Er versuchte nicht einmal, eine Lüge zu erfinden. Als sie ihn fragte, wie lange das Ganze schon lief, antwortete er ohne zu zögern: sieben Monate.
Sie sah ihn lange an, spürte, wie eine endgültige Klarheit in ihr aufstieg. Sie hatte ihre Antwort.
„Ich verdiene jemanden, der mich respektiert und wertschätzt“, sagte sie ruhig. „Und du bist nicht dieser Mensch.“
Er schwieg. Keine Entschuldigung, kein Erklärungsversuch.
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verließ das Zimmer.
Zurück in ihrem eigenen rief sie Malcolm an, berichtete von der erfolgreichen Präsentation.
„Jetzt heißt es abwarten“, sagte er.
„Jetzt heißt es abwarten“, wiederholte sie leise.
Dann duschte sie, bestellte sich ein gutes Essen und wartete auf Grants E-Mail.
Ab jetzt konnte es nur noch bergauf gehen. Oder?