In einer staubigen Ecke des Dachbodens stand er – wackelig, mit abgesplittertem Lack, das Polster vom Zahn der Zeit zerfressen. Der alte Stuhl gehörte einst meiner Großmutter. Niemand konnte sich erinnern, wann er zuletzt benutzt wurde. Als wir das Haus entrümpelten, warf mein Bruder einen flüchtigen Blick auf ihn und sagte: „Der kommt weg, oder?“
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Wahrscheinlich.“

Doch in der Nacht, als alle schliefen, stieg ich noch einmal auf den Dachboden. Ich weiß nicht, warum – vielleicht wegen der Geschichten, die Oma mir früher auf diesem Stuhl erzählt hatte. Vielleicht, weil ich spürte, dass dieser Stuhl mehr war als nur ein altes Möbelstück.
Ich setzte mich – vorsichtig – und der Stuhl knarzte protestierend. Und dann spürte ich es: einen Funken. Eine Erinnerung. Ein Gefühl. Als ob das Holz selbst flüsterte: „Gib mir noch eine Chance.“

Am nächsten Tag trug ich den Stuhl in meine kleine Werkstatt. Ich begann, ihn auseinanderzunehmen, Schicht für Schicht, vorsichtig, fast ehrfürchtig. Ich entdeckte alte Gravuren unter der Farbe – Initialen, ein Herz, eingeritzt mit einem Messer. Wer hatte das getan? Vielleicht Opa? Vielleicht Oma in ihrer Jugend?
Ich schliff das Holz ab, behandelte es mit Öl, ersetzte die Schrauben, die durchgerostet waren. Das Sitzpolster nähte ich neu – aus Stoff, den ich von Omas alten Vorhängen gerettet hatte. Jeder Stich fühlte sich an wie ein Gruß an sie.

Drei Wochen später war der Stuhl verwandelt. Kein altes Möbelstück mehr, sondern ein Kunstwerk. Er thronte in meinem Wohnzimmer, stolz, schön, lebendig.
Und dann, an einem Sonntagnachmittag, saß meine kleine Tochter zum ersten Mal auf ihm. Sie wackelte ein wenig, lachte und rief: „Der erzählt Geschichten, Mama!“

Ich lächelte. „Das hat er früher auch schon getan.“