Ich heiße Gisela, und ich beginne mit dem, was ich früher nie gewagt hätte zu sagen: Ich bin wieder allein. Nicht verwitwet, nicht verlassen – geschieden. Nach 35 Jahren Ehe. Nach einem Leben voller Alltäglichkeit, kleiner Rituale und großer Kompromisse.
Friedrich und ich waren nie das Paar, das sich in der Öffentlichkeit küsst oder sich gegenseitig Liebesbotschaften in Brotdosen steckt. Wir waren leise, ordentlich, zuverlässig. Zwei Zahnräder im gleichen Getriebe. Ich dachte, das sei Liebe. Oder zumindest das, was nach Jahrzehnten davon übrig bleibt.
Der Bruch kam nicht plötzlich, auch wenn er sich so anfühlte. Es war, als hätte jemand die Tür geöffnet und mir eiskalten Wind ins Gesicht geweht. Er fuhr – wie jedes Jahr – „in die Heimat“. Doch diesmal brachte er etwas mit zurück: die Entscheidung. Keine Diskussion, kein Streit, kein Weinen. Nur ein Satz: „Ich habe jemanden gefunden, der mich heilt.“
Zuerst hielt ich es für einen Witz. Dann für einen Nervenzusammenbruch. Dann für einen bösen Scherz des Lebens. Doch nein. Die Wahrheit war noch absurder: eine Frau mit Pendel, Heilsteinen und einem Thermomix. Eine Reinkarnation seiner Jugendliebe. Angeblich könne sie Krebs spüren, bevor er entstehe – und Friedrichs Rückenschmerzen „auspendeln“. Ich dachte, das könne man sich nicht ausdenken. Und doch war es meine Realität.
Ich verlor nicht nur meinen Mann. Ich verlor das Bild, das ich von uns hatte. Von mir. Von unserem Leben.
Ich erinnere mich, wie ich an diesem Januarmorgen allein im Schlafzimmer stand – seine Hemden noch im Schrank, sein Rasierer noch im Bad. Und mir wurde klar: Ich war nicht traurig, dass er ging. Ich war traurig, dass ich geblieben war. So lange. So still. So blind.
Es folgten dunkle Wochen. Der Boden war mir weggezogen worden, meine Identität in Trümmern. Wer war ich, wenn nicht Ehefrau? Wer sprach mich an, wenn ich nicht die „Frau von Friedrich“ war? Freunde schwiegen, Nachbarn tuschelten, die Kinder versuchten, neutral zu bleiben. Ich aber saß mitten in meinem eigenen Leben – und erkannte es nicht mehr.
Doch langsam, fast unmerklich, begannen sich Dinge zu verändern. Ich hörte morgens nicht mehr nur seine Stille. Ich hörte das Vogelgezwitscher vor dem Fenster. Ich ging spazieren, weil ich es wollte, nicht weil „wir das immer tun“. Ich meldete mich in einem Yogakurs an – weil ich nicht mehr fragte, ob jemand mitkommen wollte.
Eines Abends, ich hatte gerade meine erste eigene Gemüsesuppe gekocht – viel zu scharf, aber befreiend – stand ich am Fenster und sah den Schnee fallen. Es war der gleiche Schnee, der vor einem Jahr mein Leben zu erfrieren schien. Und doch war etwas anders. Ich atmete. Ich fühlte.
Vielleicht war der Winter nicht der Anfang vom Ende. Vielleicht war er der Anfang von mir.
Ende.
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Nach 35 Ehejahren ließ er mich für eine Heilerin mit Auraöl zurück
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