Es war ein regnerischer Nachmittag, als Anna ihre Tasche auf den Küchentisch legte und die Fenster mit einem Blick betrachtete, der an die endlosen Tage der Kindheit erinnerte. Der Regen prasselte gegen die Scheiben, und draußen war die Welt von einem grauen Schleier bedeckt, der keine Freude in den Tag brachte. Ihre Gedanken schweiften ab, als sie die Nachricht auf ihrem Handy las: “Wir müssen reden.”
Es war ein Jahr her, seit sie das letzte Mal von Thomas gehört hatte. Der Mann, den sie vor Jahren geliebt hatte, der sie jedoch plötzlich und ohne Erklärung verlassen hatte. Anna hatte versucht, weiterzumachen, sich auf ihre Karriere zu konzentrieren und ihre Freunde zu schätzen, aber tief in ihrem Inneren war ein leerer Raum geblieben, der sich nie richtig füllen ließ.
Der Regen begann stärker zu werden, und der Wind peitschte gegen das Fenster. Anna entschied sich, der Nachricht nachzugehen. Sie griff nach ihrem Mantel und zog ihn über, bevor sie aus der Tür trat und in die regennasse Straße hinausging. Es war fast so, als ob der Himmel ihre Stimmung widerspiegelte, so düster und trist wie ihre Gedanken.
Thomas’ Wohnung war nur einen kurzen Spaziergang entfernt. Als sie vor seiner Tür stand, konnte sie das vertraute Gefühl von Nervosität und Anspannung nicht unterdrücken. Ihre Hand zitterte, als sie klingelte. Sekunden vergingen, dann öffnete sich die Tür.
Er stand da, älter, mit einem leicht grauen Bart, aber noch immer der Mann, den sie gekannt hatte. Die Zeit hatte ihn verändert, aber irgendwie nicht genug, um den Verlust, den sie beide gespürt hatten, auszulöschen.
„Anna…“, sagte er, seine Stimme brüchig. „Es tut mir leid, dass ich einfach verschwunden bin. Ich hatte Angst, dass du mich nicht verstehen würdest.“
Die Worte trafen sie härter, als sie erwartet hatte. Es war nicht nur die Entschuldigung. Es war die Erkenntnis, dass der Schmerz, den er ihr zugefügt hatte, noch immer präsent war, dass sie nie wirklich vergessen hatte.
Sie trat in die Wohnung, und der vertraute Duft von alten Erinnerungen schlug ihr entgegen. Sie setzten sich auf das Sofa, wie früher, als sie zusammen stundenlang geredet hatten.
„Warum jetzt? Warum hast du mich damals einfach verlassen?“ Anna fragte, die Tränen brannten in ihren Augen. Sie hatte sich jahrelang gefragt, was passiert war, und jetzt, wo er vor ihr saß, schien die Antwort plötzlich nicht mehr zu genügen.
„Ich hatte Angst“, antwortete Thomas leise. „Ich dachte, ich würde dir nie gerecht werden. Du warst so stark, so unabhängig, und ich… ich war nicht genug.“
Für einen Moment war es still. Der Regen hörte auf, und die Welt schien stillzustehen.
„Aber ich habe dich immer geliebt“, sagte Thomas schließlich. „Ich wusste nie, wie ich zurückkommen sollte, und dann wurde der Abstand einfach zu groß.“
Anna blickte auf den Boden. Der Schmerz war noch immer da, aber jetzt fühlte sie sich auch befreit. Die Wunden waren nicht mehr frisch, aber sie waren nicht geheilt.
„Ich habe dich auch geliebt“, flüsterte sie. „Aber ich habe gelernt, mich selbst zu lieben, ohne dass du das tun musstest.“
Thomas nickte, ein trauriges Lächeln auf seinem Gesicht. „Ich hoffe, du findest das Glück, das du verdienst.“
Anna stand auf und ging zur Tür. „Ich bin auf dem Weg dorthin“, sagte sie. „Aber danke, dass du mir endlich die Wahrheit gesagt hast.“
Als sie die Tür hinter sich schloss, wusste Anna, dass sie einen wichtigen Schritt gemacht hatte – nicht nur, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen, sondern auch, um sich selbst zu finden. Sie ging hinaus in den Regen, nicht mehr auf der Suche nach Antworten, sondern nach einem neuen Anfang.
