Wie eine zufällige Begegnung alte Träume neu entfachte

Eine unerwartete Wiederbegegnung auf dem belebten Markt

Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich meinen ehemaligen Lehrer aus der Schulzeit Jahre später auf einem vollbesetzten Markt treffen würde. Doch plötzlich rief jemand meinen Namen, als wäre keine Zeit vergangen. Was als höfliches Gespräch begann, entwickelte sich in etwas, womit ich niemals gerechnet hätte.

In der Schulzeit war Alexej Petrowitsch bei allen Schülern beliebt. Frisch von der Universität hatte er die Gabe, alten Geschichtsunterricht in spannende Geschichten zu verwandeln. Er war lebhaft, scharfsinnig und ohne Frage ziemlich attraktiv für einen Lehrer.

Für die meisten war er einfach „der coole Lehrer“, bei dem das Lernen Spaß machte. Für mich war er hingegen nur Alexej Petrowitsch, ein freundlicher und lebensfroher Erwachsener, der immer Zeit für uns Schüler fand.

„Klara, deine Analyse der Unabhängigkeitserklärung war ausgezeichnet“, bemerkte er einmal nach dem Unterricht. „Du hast eine scharfe Denkweise. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, Jura zu studieren?“

Ich zuckte mit den Schultern, hielt mein Heft fest an die Brust gedrückt und antwortete: „Ich bin mir nicht sicher… Vielleicht? Geschichte fällt mir einfacher als Mathematik.“

Er lachte: „Glaub mir, Mathematik wird leichter, wenn man nicht zu viel grübelt. Geschichte dagegen besteht aus Geschichten – und du kannst sie entdecken.“

Damals mit sechzehn Jahren hatte ich dafür wenig Verständnis. Er war einfach nur ein Lehrer. Doch seine Worte blieben in meinem Gedächtnis haften.

Die Zeit verging. Abschlussfeier, Umzug in die Stadt, Karriere – ich dachte, ich hätte die Schulzeit hinter mir gelassen. Oder zumindest glaubte ich das.

Nach acht Jahren, mit 24, kehrte ich müde von der hektischen Großstadt in meine Heimat zurück. Beim Schlendern durch den Markt erfasste ich plötzlich eine vertraute Stimme:

„Klara? Bist du das?“

Als ich mich umdrehte, sah ich ihn. Nun war er nicht mehr „Alexej Petrowitsch“, sondern einfach Alexej.

„Alexej Pe—… Alexej?“ stotterte ich und meine Wangen erröteten.

Er lächelte jenes vertraute Lächeln, das jedoch nun weicher und gereifter wirkte. „Du musst mich nicht mehr ‚Petrowitsch‘ nennen.“

Es fühlte sich fast unwirklich an: Vor dem Mann zu stehen, der einst meine Aufsätze bewertete und jetzt wie ein alter Freund lachte. Damals ahnte ich noch nicht, wie sehr dieser Augenblick mein Leben verändern würde.

„Unterrichtest du noch?“ fragte ich, während ich den Korb mit Gemüse festhielt.

„Ja“, nickte er und steckte die Hände in die Taschen seiner Jacke. „Aber nun Englischliteratur, nicht mehr Geschichte.“

„Literatur? Und was ist mit Geschichte?“ neckte ich ihn.

Sein Lachen war leicht und tief: „Ich habe festgestellt, dass es mir leichter fällt, über Bücher zu sprechen.“

Er war älter geworden, doch seine Leichtigkeit war geblieben, vielleicht sogar gewachsen. Nicht mehr der junge Lehrer, sondern ein selbstsicherer Mann, der seinen Weg gefunden hatte.

Wir unterhielten uns, und das Gespräch floss wie ein Tanz. Alexej berichtete von Schülern, die ihn zur Verzweiflung brachten, aber auch Hoffnung gaben. Ich erzählte von den chaotischen Jobs in der Stadt, zerbrochenen Beziehungen und dem Wunsch, mein eigenes Unternehmen zu gründen.

Wichtiger Einblick: Er glaubte fest an meine Fähigkeiten, und das mit einer Überzeugung, die über bloße Worte hinausging.

„Du schaffst das bestimmt“, sagte er beim Kaffee einige Wochen später. „Deine Beschreibung hat mir ein lebendiges Bild vor Augen gemalt.“

„Du willst mich nur aufmuntern“, schmunzelte ich, doch in seinem Blick lag etwas Unergründliches.

„Ganz ernsthaft“, antwortete er ruhig. „Du hast alles, was du brauchst. Jetzt musst du nur noch anfangen.“

Beim dritten gemeinsamen Abendessen in einem kleinen Bistro bei Kerzenschein wurde mir klar: Altersunterschied? Unwichtig. Verbindung? Sofort vorhanden. Gefühle? Überraschend intensiv.

„Du benutzt mich doch nur, um historische Fakten zu bekommen, oder?“ scherzte ich, als er die Rechnung übernahm.

„Du hast mich erwischt“, grinste er und beugte sich näher. „Aber ich habe vielleicht auch andere Gründe.“

Etwas lag in der Luft. Die Stille war voller Bedeutung, und mein Herz schlug wild.

„Welche anderen Gründe?“ flüsterte ich.

„Das wirst du herausfinden, wenn du länger bleibst“, flüsterte er zurück.

Ein Jahr später standen wir unter einem riesigen Eichenbaum im Garten meiner Eltern. Um uns herum funkelten Lichter, Lachen erfüllte die Luft und das Blattwerk raschelte leise. Eine kleine, vertraute Hochzeit – genau so, wie wir es uns gewünscht hatten.

Als ich den Ring an Alexejs Finger steckte, lächelte ich. Es war nicht die Art von Liebesgeschichte, mit der ich in meiner Jugend träumte, aber es war eindeutig meine Geschichte.

Später, als die letzten Gäste gegangen waren und das Haus sich in Stille hüllte, blieben wir in Hochzeitskleidung und mit Champagnergläsern im gedämpften Licht des Wohnzimmers zurück.

„Ich habe etwas für dich“, sagte er und durchbrach die Stille.

„Ein Geschenk? Nach der Hochzeit? Mutig“, lächelte ich.

Er lachte leise und zog ein kleines, abgenutztes Lederbüchlein hinter seinem Rücken hervor.

„Ich glaube, das wird dir gefallen.“

Meine Finger glitten über das Cover.

„Was ist das?“

„Schlag auf.“

Auf der ersten Seite erkannte ich sofort meine unregelmäßige Handschrift. Mein Herz schlug schneller.

„Das ist doch… mein alter Traumtagebuch.“

Er nickte und lächelte leicht schuldbewusst: „Du hast es während meines Unterrichts geschrieben. Erinnerst du dich an die Aufgabe, deine Zukunft zu beschreiben?“

„Das hatte ich völlig vergessen!“ lachte ich und spürte, wie meine Wangen heiß wurden. „Du hast das aufbewahrt?“

„Nicht absichtlich“, gestand er. „Als ich die Schule wechselte, fand ich es in einer Kiste mit alten Papieren. Ich wollte es wegwerfen, aber… konnte nicht. Es war zu gut.“

„Gut?“ betrachtete ich die Seiten mit den jugendlichen Träumen — ein Café eröffnen, nach Paris reisen, die Welt verändern. „Das ist doch der Unsinn einer Sechzehnjährigen.“

„Nein“, widersprach Alexej sanft. „Das ist die Landkarte deines zukünftigen Lebens. Ich habe sie aufgehoben, weil ich wusste, dass du es schaffen kannst. Ich wollte nur sehen, wie du es umsetzt.“

Ich starrte ihn an und hielt das Büchlein fest: „Glaubst du wirklich, ich kann das schaffen?“

Er legte seine Hand über meine: „Ich glaube es nicht, ich weiß es. Und ich werde immer an deiner Seite sein.“

Mit Tränen in den Augen drückte ich das Büchlein an mein Herz: „Alexej… du bringst mich gerade um.“

Er grinste: „Darum geht’s.“

An diesem Abend, mit dem Tagebuch auf den Knien und seiner Hand auf meiner Schulter, spürte ich, wie sich etwas in mir veränderte.

„Warum hast du mir das früher nicht gezeigt?“ flüsterte ich.

Er drehte sich leicht zu mir: „Ich wollte dich nicht bedrängen. Du solltest selbst zu deinen Träumen zurückfinden.“

Ich blätterte die Seiten und murmelte fast vergessen die Zeilen vor mich hin, dann fragte ich mit einem Kloß im Hals: „Und wenn es mir nicht gelingt?“

Er stützte sich auf den Ellbogen und sah mir direkt in die Augen: „Nur eines ist schlimmer als das Scheitern: es gar nicht erst zu versuchen.“

  • Ich fand den Mut, meine Angst zu überwinden.
  • Gaben aufzugeben war keine Option mehr.
  • Unterstützung kann die entscheidende Kraft sein.

Am nächsten Morgen wusste ich genau, welchen Weg ich einschlagen würde.

Wenig später kündigte ich meinen ungeliebten Job und stürzte mich voller Hingabe in meine Leidenschaft – ein Buchcafé. Alexej war eine stetige Unterstützung, begleitete mich durch schlaflose Nächte, finanzielle Engpässe und Momente der Verzweiflung.

„Meinst du wirklich, hier wird jemand kommen?“ fragte ich eines Tages, als ich an der Wand arbeitete.

Er stand auf der Leiter und lächelte schmunzelnd: „Du machst Witze? Ein Buchcafé? Die Leute werden Schlange stehen, um den Duft dieses Traums zu atmen.“

Und tatsächlich: Unsere Eröffnung war mehr als nur ein Geschäft. Es wurde zum Herzstück unseres kleinen Ortes und zu unserem gemeinsamen Traum.

Jetzt sitze ich hinter dem Tresen unseres Café-Buchladens, sehe zu, wie Alexej unserem kleinen Sohn die Stifte vom Boden aufsammelt und denke an jenes Büchlein – den Funken, der ein längst erloschenes Feuer wieder entfacht hat.

Er warf mir einen Blick zu und fragte lächelnd: „Was für ein Blick ist das?“

„Nichts“, antwortete ich und umklammerte die Tasse. „Ich denke einfach nur… ich habe wirklich den Lehrer geheiratet.“

„Daran zweifle nie“, zwinkerte er.

„Manchmal sind es die Begegnungen des Lebens, die alte Träume zurückbringen und neue Wege eröffnen.“

Diese Geschichte zeigt, wie unerwartete Zufälle unser Schicksal beeinflussen können. Es lohnt sich, an seine Träume zu glauben und den Mut zu finden, sie zu verfolgen – denn manchmal führt uns genau das zurück zu uns selbst.