Am Ende Juli 2025 stand Lera an einem Wendepunkt in ihrem Leben. Ihr Herz war von Angst erfüllt, während sie zögernd die Schwelle zu der alten Kräuterfrau überschritt. Ihre Finger krampften sich an den Saum ihres schlichten Baumwollkleides, ihre Stimme schwankte wie ein Blatt im Herbstwind. Tränenvoll flehte sie Nikolai an – nicht nur um eine Antwort, sondern um Rettung.
Leise fragte er mit sanfter Stimme, die fast wie ein Trostklang klang: „Wovor fürchtest du dich?“ Seine Hände hielten ihre, zogen sie näher. „In einem Monat feiern wir unsere Hochzeit, alles ist festgelegt. Unsere Eltern wissen Bescheid, und wir werden eine Familie sein.“
Ein kalter Hauch Traurigkeit klang in Leras Antwort: „Was, wenn du deine Meinung änderst? Wenn du mich verlässt? Was werde ich dann tun, ganz allein mit dem Kind?“
Mit einem Lächeln auf den Lippen küsste Nikolai zärtlich ihre Stirn. „Mein Schatz, wenn es ein Junge wird, nehmen wir ihn mit angeln. Ich werde ihm Werte wie Ehrlichkeit, Stärke und Geduld beibringen. Und wenn es ein Mädchen ist, dann wird sie deine Helferin, deine Freude, ein Licht in unserem Zuhause sein.“
Doch Lera blieb besorgt: „Und wenn sie nach ihrem Vater sucht?“
Er beruhigte sie: „Sie wird ihn finden, denn ich werde ihr Vater sein. Bald nimmst du meinen Nachnamen an und wirst meine Frau. Du brauchst keine Angst mehr haben, das verspreche ich dir.“
Mit zärtlichen Lippen berührte er ihre, wie beim ersten Mal, versuchte alle seine Versprechen in diesem Kuss auszudrücken. Danach sprang er leicht über den Holzzaun und ließ die Stille des Dorfes hinter sich, das sich allmählich zur Ruhe legte. Hunde bellten vereinzelt, und der Wind rauschte leise durch die Blätter – das Leben in der ländlichen Idylle zog sich müde zurück.
Nikolai ging mit den Händen in seinen Taschen und einem leichten Lächeln. Bei der Aussaataktion verdiente er gut, genug für Träume: ein neues Dach, ein schönes Kleid für Lera, einen Kinderwagen für den Nachwuchs. Der Vorsitzende hatte ihm ein paar freie Tage gegeben, um sich auszuruhen und auf die Hochzeit vorzubereiten. Alles wirkte hell und hoffnungsvoll wie der Morgenhimmel.
„Es scheint, als könnte uns nichts trennen, wenn der Tag des Glücks so nah ist.“
Doch an einem Straßengraben erblickte er plötzlich eine Gestalt. Kein Dorfbewohner, sondern eine Fremde. Niemand aus dem Ort würde enge Hosen tragen oder mit einer Zigarette wie ein Model posieren. Kurz geschnittene Haare, ein frecher und herausfordernder Blick. Diese Frau hatte etwas Härte und Rebellion, als wolle sie den Frieden des Dorfes zerstören.
„Hallo, Schöne!“, rief Nikolai und hielt inne. „Wo kommst du hierher?“
Die Fremde lachte und blies Rauch in die Luft. „Oh, wie freundlich hier! Kannst du deinen Namen nennen, oder hast du keine Manieren?“
„Nikolai“, antwortete er. „Und du?“
„Marina“, erwiderte sie und schüttelte die Asche ab. „Sag mal, gibt es hier überhaupt etwas Spannendes zum Zeitvertreib? Oder ist das hier ein echtes Kaff?“
„Samstags gibt es Tanz im Klub“, zuckte Nikolai mit den Schultern.
„Samstag? Zu spät! Ich will jetzt feiern!“
Er dachte kurz nach: „Na gut, dann komm mit zu mir, da ist es ruhig und niemand stört.“
„Perfekt, ich habe ein Sommerhäuschen meiner Großmutter gemietet, ganz in der Nähe.“
Kurze Zeit später saßen die beiden in einem kühlen Zimmer. Leise, melancholische Musik aus dem alten Plattenspieler erfüllte den Raum. Eine Flasche Wein, Obst und Kerzen standen auf dem Tisch. Marina beobachtete Nikolai herausfordernd, doch in ihren Augen lag mehr als Verlangen – da war Rebellion, Sehnsucht nach einem neuen, aufregenden Gefühl, verboten und berauschend.
„Willst du tanzen?“, fragte sie, während sie aufstand.
„Ja, lass uns tanzen“, erwiderte er und zog sie eng an sich.
Musik, Tanz und Nähe verschmolzen zu einem berauschenden Traum, süß und gefährlich zugleich.
Am Morgen erwachte Nikolai schweißgebadet, sammelte hastig seine Sachen und verließ heimlich das Haus. Die Sonne stieg gerade auf, bald würden die Frauen mit dem Melken der Kühe beginnen. Auf der staubigen Dorfstraße lief er, sein Herz raste. Was hatte er getan? Wie konnte er so handeln, wo Lera doch auf ihn wartete, und ihr gemeinsames Kind?
Doch am Abend suchte er erneut Marina auf. Sie würde bald abreisen – dies war ihre letzte Nacht zusammen. Ein letzter Fehltritt, eine letzte Schwäche.
Währenddessen auf dem Bauernhof, wo Lera gerade Milch in einen Eimer goss, bemerkte eine der Melkerinnen mit einem spöttischen Ton: „Lera, dein Kater hat letzte Nacht nicht zu Hause geschlafen. Man hat gesehen, wie er zu einer Fremden in ihr Sommerhaus schlich.“
„Das ist eine Lüge!“, schrie Lera und ließ das Eimer mit einem lauten Geräusch fallen.
„Niemand lügt. Sie sagen, er fährt mit ihr in die Stadt. Er will dich schwanger wie alte Schuhe wegwerfen.“
Diese Worte drangen wie Messer ins Herz. Lera rannte zu Nikolais Haus, doch die Tür war verschlossen. Nur seine Mutter saß am Tisch und blickte rot von den Tränen zum Fenster hinaus.
„Er ist weg…“, flüsterte sie, „mit ihr, in die Stadt.“
Lera brach zusammen und glitt langsam an der Wand zu Boden. Ihre Welt zerbrach, in ihren Ohren dröhnte es, und ein einziger Gedanke beherrschte sie: Schande. Sie, schwanger und verlassen. Wie sollte sie den Menschen begegnen? Wie weiterleben?
Sie stürmte davon, riss sich den Mantel vom Leib als wolle sie den Schmerz abstreifen. Ein pochender Schmerz erfüllte ihren Kopf. Doch dann dachte sie fest: „Ich weiß, was zu tun ist.“
Im Dorf lebte Valja, eine Kräuterfrau, deren Augen tiefe Weisheit und Traurigkeit trugen. Die Leute kamen zu ihr, wenn Kinder krank waren, Ehemänner tranken oder das Herz zerriss. Nun suchte Lera Trost bei ihr – mit gebrochenem Herzen und einer Last, die sie nicht zu tragen wusste.
„Mama, Nikolai hat mich verlassen… Er ist mit einer anderen in die Stadt gefahren…“ schluchzte Lera beim Eintreten.
„Und was ist mit dir? Mit dem Kind?“, fragte die Mutter entsetzt.
„Warum sollte ich ihm wichtig sein? Ich bin nur ein einfaches Dorfkind…“
Der Vater verließ den Raum, sein Gesicht war hart wie Stein.
„Wenn das Baby geboren wird, schieße ich es tot!“, rief er und ballte die Fäuste.
„Mein Kind, warum geschieht das alles?“, weinte die Mutter.
„Mama, ich gehe zu Valja. Sag auf der Arbeit, ich bin nicht da“, packte Lera.
„Geh, Tochter, ich kümmere mich darum.“
Nach einer Stunde stand Lera vor dem Haus der Kräuterfrau.
„Komm herein, Mädchen. Lass uns Tee trinken und reden“, lud Valja sie ein, als hätte sie schon alles gewusst.
Am Tisch im Schein der Petroleumlampe herrschte erst Schweigen. Dann fragte die Alte: „Warum bist du gekommen?“
Lera erzählte von ihrem Schmerz, ihrer Angst, ihrer Schande.
Valja reichte ihr den Tee. Der schmeckte bitter, mit Kräutern und unbekannten Düften. Bald fühlte Lera eine Schwere im Kopf, und ihre Lider wurden schwer. Sie schlief ein.
Im Traum kämpfte ihr Kind mit den reißenden Wassern eines Flusses. Es schrie: „Mama! Hilf mir!“, doch sie konnte sich nicht bewegen, als wären ihre Füße festgewachsen. Ein Aufschlag, dann Stille.
Als sie erwachte, fragte Valja: „Hast du dich entschieden? Willst du das Kind loswerden?“
Nach stillem Zögern sagte Lera leise: „Nein. Das ist Leben. Mein Blut, meine Seele. Ich werde es nicht töten.“
Die Kräuterfrau nickte zustimmend: „Gut so. Geh nach Hause und denk daran: Du bist nicht allein.“
Auf dem Heimweg schritt Lera zu Fuß, obwohl Valja ihr das Radfahren verboten hatte, denn Schwangere sollten sich schonen. Mit erhobenem Haupt ging sie ihren Weg. Sie würde dieses Kind bekommen, es aufziehen und stark sein. Sie hatte Valja, ihre Eltern und die Liebe.
- Nach neun Monaten, an einem sonnigen Frühlingstag, kam ein gesunder Junge zur Welt, der lautstark nach seinem Platz in der Welt verlangte.
- Leras Eltern begrüßten sie im Krankenhaus.
- Am nächsten Tag erschien Nikolais Mutter mit einem Beutel voller gestrickter Babysachen.
„Bitte… erlaubt mir, meinen Enkel zu sehen… Ich bin seine Großmutter“, sagte sie zitternd.
Lera zögerte, reichte ihm aber vorsichtig das Baby.
„Mein Liebling, mein Blut…“, flüsterte die Frau und drückte das Kind an ihr Herz. „Eine Großmutter bringt dir das mit, was sonst niemand hat – Liebe.“
Zwei Monate später kehrte Nikolai ins Dorf zurück. Die Stadt hatte ihn nicht aufgenommen. Marina war weg. Er stand vor dem Laden und beklagte sich bei seinen Freunden:
„Unglaublich! Sie macht jeden Abend Feste und kochen kann sie nicht!“
Eine Stimme erwiderte: „Hättest du bei Lera geblieben, gäbe es diese Probleme nicht.“
„Ach, sie wird mich schon vergeben…“, seufzte er.
„Wird sie nicht. Sie heiratet bald, und der Sohn bekommt den Namen des neuen Mannes. Sie fängt ein neues Leben an.“
Zuhause wartete Nikolais Mutter. Sie gab ihm Tee und stellte dann seinen Koffer auf die Veranda.
„Fahr zurück in deine Stadt. Dort war es gut, als du die schwangere Freundin verlassen hast. Hier bist du nicht mehr willkommen.“
„Aber wohin soll ich gehen…?“
„Du wirst es finden, wie du die andere gefunden hast, die dich von deinem Glück weggeholt hat.“
Eine Woche später ertönte im Dorf die Hochzeitsglocke. Lera schritt als Braut mit einem Lächeln in einem weißen Kleid und ihrem Sohn im Arm zum Altar. Ihr neuer Ehemann – freundlich, stark und verlässlich – legte seinen Arm um ihre Schultern.
- Der Junge hatte nun drei Großmütter: seine leibliche, die Kräuterfrau Valja und Nikolais Mutter, die trotz allem zur Hochzeit kam und vor Glück weinte.
Das Leben trieb seinen Lauf – kraftvoll, farbenfroh und echt.
Abschließend zeigt diese Geschichte, wie Schmerz und Verrat den Weg zur Stärke ebnen können, wenn Mut, Liebe und Unterstützung den Verlust überwinden.