In einer eiskalten Dunkelheit erwachte Natalia, als hätte sie sich in einen bodenlosen Brunnen voller Kälte fallen lassen. Ihr ganzer Körper wurde von feuchter, durchdringender Nässe benetzt, vergleichbar mit Wasser eines Flusses aus längst vergangenen Zeiten. Tropfen rinnten ihre Schläfen und Wangen hinab, drangen in die Haut ein, durchtränkten das dünne Material ihres Tanktops und durchnässten auch die Shorts, in denen sie geschlafen hatte. Ihre Haare, schwer und verklumpt, klebten am Hals, und die Luft war dicht vom muffigen Geruch von altem Holz – gemischt mit etwas Unheilvollem, fast schon Boshaftem.
Für einen Moment verweigerte ihr Bewusstsein den Dienst, klammerte sich an die Reste des Traums, wollte sich der Wirklichkeit entziehen. Doch diese war unerbittlich. Sie schlief nicht – sie wurde aus dem Schlaf gerissen.
„Steh auf, du Faulpelz!“, donnert eine Stimme, scharf wie Peitschenhiebe. „Genug herumgelegen wie eine faule Socke!“
Über ihr erhob sich Antonia Pawlowna – die Schwiegermutter, Herrin des Hauses, eine tyrannische Gestalt im schlabbrigen Hausmantel und Pantoffeln, als wäre sie dazu bestimmt, über fremde Leben zu richten. In ihren Händen hielt sie ein leeres Eimer als Symbol ihrer Macht. Ein triumphierendes Lächeln zierte ihr Gesicht, kalt wie ein Wintermorgen.
„Was hast du getan?!“ schrie Natalia, sprang aus dem Bett, kämpfte um Luft, als wäre sie gerade erst aus einem Fluss gezogen worden. Die nasse Pfütze unter ihren Füßen schmatzte, Wasser rann ihre Hüften hinab, und Tropfen tropften von ihren Haarspitzen. Ihr Körper bebte – vor Kälte, vor Schock und vor dem Gefühl, dass ihre Würde gerade mit dem kalten Wasser zu Boden geworfen wurde.
„Was schon längst fällig war!“, verkündete die Schwiegermutter mit Nachdruck, stellte den Eimer endgültig ab und unterstrich so die Endgültigkeit ihres Handelns. „Hier im Haus steht jeder um sechs Uhr auf! Kein Faulenzen bis Mittag, wie eine Königin!“
Natalia eilte zum Nachttisch, ihre Augen klebten von der Nässe. Halb sieben. Samstag. Ihr einziger freier Tag nach zwei Wochen endloser Schichten im medizinischen Zentrum, wo sie jeden Tag zwölf Stunden auf den Beinen war, Hunderte Patienten betreute, Unhöflichkeiten und Stress ertrug – nur um dann zu Hause einen Eimer eiskalten Wassers ins Gesicht zu bekommen, von einer Frau, die sie als Eindringling betrachtete.
„Das ist mein freier Tag!“ rief sie, ihre Stimme zitterte wie eine gespannte Saite. „Ich habe das Recht, mich auszuruhen! Ich bin ein Mensch!“
„Recht?“, schnaufte Antonia Pawlowna, als würde sie Gift ausspucken. „Welches Recht? Du wohnst in MEINEM Haus, isst von meinem Brot, benutzt meine Sachen – also gilt hier MEINE Ordnung!“
Langsam stand Natalia auf und hinterließ auf dem Parkett nasse Fußspuren, ähnlich denen eines Ertrinkenden. Ihr Körper zitterte nicht nur vor Kälte, sondern auch vor aufgestauter Wut und Ohnmacht – das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben.
Vor vier Monaten waren sie mit Maxim hierhergezogen – „nur vorübergehend“, wie er sagte, für ein Jahr, um Eigenkapital für eine Hypothek zu sparen. Vorübergehend, als ob man sich selbst vorübergehend verlieren könnte. Natalia arbeitete bis zur Erschöpfung, Maxim bis spät in die Nacht. Antonia Pawlowna erklärte von Anfang an: Sie sei die Königin dieses Reichs, Natalia ihre Dienerin, gebrochen und gedemütigt.
- Sie kochte, putzte, wusch, trocknete und hing die Wäsche auf – und doch war alles „falsch“.
- Borschtsch: „Wie Brühe“ entwickelt.
- Die Böden: „Schmutzig“.
- Die Wäsche: „Wie von Obdachlosen aufgehängt“.
Täglich neue Kritik, neue verbale Stiche, stete Erinnerung daran: Du bist hier keine Herrin. Du bist nur eine Last.
„Maxim!“ rief Natalia, blickte sich um, als könnte er aus Luft erscheinen. „Maxim!“
„Schrei nicht!“, herrschte die Schwiegermutter sie an. „Er ist nicht hier! Er ist weg, um jemandem zu helfen, während du hier faul rumliegst! Also regeln wir das nur zwischen dir und mir!“
Ohne sie zu beachten, ging Natalia zum Schrank, hinterließ nasse Spritzer auf dem Boden. Sie musste sich umziehen, sofort, um nicht krank zu werden – von der Kälte, vom inneren Schmerz, von der seelischen Erschöpfung.
„Wohin willst du?“ stellte Antonia Pawlowna sich jäh in den Weg.
„Umzuziehen!“, antwortete Natalia mit zusammengebissenen Zähnen. „Willst du, dass ich an einer Lungenentzündung sterbe?“
Die Schwiegermutter zeigte auf die Pfützen auf dem Boden: „Erst räumst du die Sauerei weg! Keine Dreckspfützen hier!“
„Du hast das Wasser ausgeschüttet – dann räum du auf!“, rief Natalia und versuchte vorbeizugehen.
Antonia Pawlowna griff scharf nach ihrem Handgelenk, so kräftig, dass Natalia aufschrie. Ihre Finger krallten sich ein, hinterließen sofort rote Striemen – wie ein Zeichen der Unterwerfung.
„Wage es nicht, so mit mir zu reden!“, fauchte sie. „Ich werde dich schnell an deinen Platz verweisen, du Göre!“
Natalia riss ihre Hand los und wich zurück, als hätte sie vor einer Schlange Angst. Stumm nahm sie trockene Kleidung und ein Handtuch von einem Regal und stürmte hinaus – Spuren nass wie die eines Gefangenen, der flieht.
Hinter ihr schrie die Schwiegermutter Beschimpfungen nach, redete von Faulheit und Undankbarkeit – „Sowas wie dich gibt es auf der Straße genug“. Doch Natalia hörte nicht hin, schloss die Badezimmertür, drehte den Riegel um.
Unter der heißen Dusche zitterte sie, während das Wasser über ihren Körper rieselte und die Seele nicht erwärmen konnte. Sie weinte still, presste die Lippen zusammen – Tränen sind keine Schwäche, sondern Schmerz, den man nicht mit Worten ausdrücken kann.
Wie war es nur so weit gekommen? Warum hatte sie das alles geduldet? Wie ließ sie sich zu einem Schatten im fremden Haus degradieren?
Das Telefon vibrierte. Maxim schickte eine Nachricht:
„Ich bin weggefahren, um einem Kollegen zu helfen. Komme zum Mittagessen zurück. Wie geht es dir?“
Natalia starrte auf den Bildschirm. Sie wollte antworten:
„Deine Mutter hat mir gerade einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen. Sie hat mich am Arm gepackt. Sie will mich kaputtmachen.“
Aber sie wusste, was er sagen würde: „Mama hat es nur übertrieben“, „Sie meint es nicht böse“, „Du reagierst zu empfindlich“.
Maxim stand immer auf ihrer Seite. Nur war Natalia stets allein.
Sie schaltete das Wasser aus, trocknete sich ab, zog Jeans und einen warmen Pullover an. Sammelte die nassen Haare zu einem Zopf. Traf im Spiegel den Blick einer Frau mit dunklen Augenringen – aber einem neuen Feuer im Blick.
Es klopfte an der Tür.
„Wie lange willst du da noch sitzen?“ schrie die Schwiegermutter. „Du verschwendest Wasser!“
Natalia schwieg. Sie trat hinaus, fand Antonia Pawlowna im Flur – eine Wächterin, die den Weg versperrte.
„Räum endlich deine Sauerei weg!“
„Das ist nicht meine Sauerei!“ — antwortete Natalia kühl.
Sie ging in die Küche, stellte den Wasserkocher an, holte eine Tasse. Die Schwiegermutter folgte ihr wie ein Schatten.
„Also gut!“ die Schwiegermutter setzte sich wie eine Richterin. „Entweder du lebst nach meinen Regeln, oder du verziehst dich aus meinem Haus!“
Natalia wandte sich um.
„Sehr gern“, flüsterte sie mit eisigem Ton. Jeder Laut war wie ein scharfer Schlag. „Sobald Maxim zurückkommt, ziehen wir aus.“
„Mal sehen, wen er wählt – dich oder seine Mutter!“, lächelte Antonia Pawlowna hämisch.
Der Wasserkocher kochte. Natalia goss die Tasse ein, warf einen Teebeutel hinein. Ihre Hände zitterten nicht mehr.
„Weißt du was?“ setzte sie sich ihr gegenüber. „Es ist mir egal, wen er wählt. Ich werde es nicht länger ertragen.“
„Misshandlungen?“ Die Schwiegermutter hob dramatisch die Hände. „Ich bringe dir nur Ordnung bei!“
„Einen Eimer eiskaltes Wasser auf eine schlafende Person zu kippen ist keine Ordnung! Das ist Demütigung! Grausamkeit! Krieg!“
„Gefällt es dir nicht? Hau ab!“ Die Schwiegermutter stand auf. „Such dir einen anderen Trottel, der deine Faulheit erträgt!“
Sie stürmte aus dem Raum, die Tür schlug zu. Natalia blieb allein zurück. Der Tee kühlte ab, sie berührte ihn nicht.
In ihrem Kopf gab es nur einen Befehl: Lauf.
Sie nahm das Handy, schrieb an ihre Freundin Olga:
„Kann ich für ein paar Tage zu dir kommen? Ich muss einfach verschwinden.“
Die Antwort folgte sofort:
„Natürlich! Was ist los?“
„Erzähl ich dir persönlich. Bin in einer Stunde da.“
Natalia trank den kalten Tee aus und begann, ihre Sachen zu packen. Im Schlafzimmer standen noch Pfützen. Das Bett war zerstört. Sie schlich vorsichtig um das Wasser wie über ein Minenfeld und bunkerte Kleidung in ihre Sporttasche.
Aus dem Wohnzimmer drang das Lachen einer Fernsehkomödie. Antonia Pawlowna saß vor dem Bildschirm, als ob nichts passiert wäre. Wasser über jemanden geschüttet – und dann Comedy geschaut.
Die Tasche war zu, das Telefon in der Hand. Sie rief Maxim an. Es ging direkt zur Mailbox.
„Maxim“, ihre Stimme ruhig und eiskalt. „Deine Mutter hat mir einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet, während ich schlief. Ich fahre zu Olga. Ruf mich an, wenn du das hörst.“
Sie legte auf, zog die Jacke an, schnürte die Schuhe.
Antonia Pawlowna kam in den Flur.
„Wohin willst du?“
„Zu einer Freundin.“
„Und wer räumt hier auf?“
„Sie“, sagte Natalia und schob sie beiseite, ging hinaus.
Dahinter hallten Schreie, Flüche und Drohungen, aber Natalia drehte sich nicht um. Sie stieg die Treppen hinunter, trat nach draußen. Die kalte Luft traf ihr Gesicht. Sie atmete tief ein – zum ersten Mal seit Monaten spürte sie, dass sie lebte.
Maxim kehrte gegen zwei Uhr zurück. Das Haus leer und still. Kein Essen, keine Stimmen – nur die Mutter saß im Wohnzimmer, die Wut im Gesicht versteinert.
„Wo ist Natalia?“
„Sie ist geflohen“, antwortete Antonia Pawlowna schroff. „Zu ihrer Freundin.“
Maxim prüfte das Telefon, hörte sich die Nachricht an, wurde bleich.
„Mama, ist das wahr?“
„Na ja, ich habe nur Wasser ausgeschüttet. Na und? Sie ist doch aufgewacht!“
Er ging ins Schlafzimmer, sah das nasse Bett, die Pfützen, den Eimer.
„Wie konntest du das tun?!“
„In meinem Haus mache ich, was ich will!“
„Das ist zu viel! Wir hatten Absprachen!”
„Keine Absprachen!“
Maxim rief Natalia an.
„Ich hole dich ab.“
„Ich bin bei Olga. Ich komme nicht zurück.“
„Lass uns reden!“
„Was gibt es zu besprechen? Vier Monate Demütigungen. Vier Monate Hass von ihr. Und du immer auf ihrer Seite.“
„Ich wollte nur den Frieden bewahren…“
„In welcher Familie? Sie hasst mich, sieht mich als Fremde!“
„Nein…“
„Doch. Und du weißt das.“
Maxim erstarrte.
Antonia Pawlowna trat hinter ihn.
„Wenn du zu ihr gehst, komm nicht zurück.“
Langsam drehte Maxim sich zu ihr um, als wäre jeder Schritt Qual. Schmerz und Enttäuschung standen in seinen Augen, die sich mit ihrem kalten Blick maßen.
„Mama, meinst du das ernst? Du stellst mich vor die Wahl zwischen dir und der Frau, die ich liebe?“
„Richtig gehört!“, sie richtete sich auf wie eine Soldatin, die Stimme hart wie Stein. „Wähle: ich oder sie! Ich bin deine Mutter! Ich habe dich großgezogen, genährt, beschützt! Und sie ist eine Fremde!“
Maxim hielt das Telefon ans Ohr, Stille lag in der Leitung – doch er wusste, dass Natalia jedes Wort hörte.
„Natalia, hörst du?“, fragte er mit zitternder Stimme. „Natalia?“
„Ich höre dich“, kam eine leise, kühle, emotionslose Antwort, als wäre ihr Herz bereits stehen geblieben. „Weißt du was? Bleib bei deiner Mutter. Ihr seid eine Familie. Ihr verdient euch gegenseitig.“
„Natalia, warte!“ schrie er, doch der Anruf wurde beendet.
Er ließ das Telefon sinken. Der Bildschirm erlosch. Wie eine Hoffnung, die er verlor.
Langsam, als begreife er die Tragweite, wandte sich Maxim seiner Mutter zu, sein Gesicht von Schmerzen verzerrt.
„Bist du zufrieden?“ hallte seine Stimme im leeren Raum. „Du hast gerade meine Familie zerstört. Alles vernichtet, wofür ich gekämpft habe.“
„Ich?“ Sie warf die Hände hoch, als werfe sie Schuld ab. „Das ist ihre Schuld! Undankbar! Kann nicht im Haus leben, respektiert keine Älteren, schätzt nicht, was sie bekommt!“
„Nein, Mama!“, Maxim stand abrupt auf, die Stimme von Zorn bebend. „Du kannst andere nicht respektieren! Du hast angenommen, dein Haus wäre deine Festung und alle um dich herum deine Diener! Du hast Wasser auf einen schlafenden Menschen gekippt! Hast Spuren an ihrem Arm hinterlassen! Das ist keine ‚Erziehung‘, das ist Grausamkeit!“
„Ich bin deine Mutter!“, kreischte sie. „Ich habe das Recht!“
„Ja, du bist meine Mutter!“, schrie er zurück. „Aber Natalia ist meine Frau! Der Mensch, mit dem ich mein Leben teilen will! Ich liebe sie! Ich habe sie gewählt! Und ich lasse nicht zu, dass du unsere Familie zerstörst!“
Er griff nach seiner Jacke, öffnete die Tür.
„Wohin gehst du?“, Panik klang zum ersten Mal in ihrer Stimme.
„Zu meiner Frau!“, sagte Maxim, ohne sich umzudrehen. „Um sie zu überzeugen, uns eine Chance zu geben. Mir eine Chance, ein richtiger Ehemann zu sein und kein Junge, den du an der Leine hältst.“
„Wenn du gehst, werde ich dich nicht vergeben! Du bist nicht mehr mein Sohn!“
Maxim blieb im Türrahmen stehen, der Wind drückte ihn nach vorn, als schiebe ihn das Schicksal selbst.
„Weißt du, Mama“, sagte er leise mit eisiger Entschlossenheit, „das ist deine Wahl. Aber bedenke: Du kannst ganz allein bleiben. Ohne Sohn. Ohne Schwiegertochter. Ohne Enkel. Denn wenn du meine Familie nicht respektierst, wirst du sie für immer verlieren.“
Er ging hinaus und schloss die Tür behutsam.
Antonia Pawlowna blieb im Flur stehen, wie von einer Klippe gestoßen. Stille lag im Apartment. Langsam setzte sie sich aufs Sofa. Der Fernseher zeigte immer noch eine Komödie, doch das Lachen klang hohl und spöttisch.
Sie hatte gewonnen. Doch fühlte sich wie eine Verliererin.
Maxim kam eine Dreiviertelstunde später bei Olga an. Die Fahrt schien endlos, jeder Block ein Schritt zurück in eine Vergangenheit, die er für immer verlieren konnte.
Olga öffnete die Tür, sah sofort sein Gesicht an und ahnte alles.
„Sie ist in der Küche“, flüsterte sie. „Sehr niedergeschlagen.“
Maxim trat ein. Natalia saß am Tisch, umklammerte eine Tasse mit kaltem Tee, ihr Blick leer und entseelt.
„Natalja…“, flüsterte er und setzte sich neben sie.
Sie sah ihn nicht an.
„Entschuldige“, sagte er, eine Mischung aus Reue, Schmerz, Liebe und Angst in seiner Stimme. „Für alles. Dass ich geschwiegen habe. Dass ich ihr erlaubt habe, dich zu erniedrigen. Dass ich dir nicht geglaubt habe.“
Endlich drehte sie sich um. Tränen glitzerten in ihren Augen.
„Ich habe so oft versucht, mit dir zu reden…“, zitterte ihre Stimme, „und du hast immer gesagt: ‚Sie ist eben so.‘ ‚Es fällt ihr schwer.‘ ‚Halte durch.‘“
„Ich dachte, das sei der Ausweg…“, nahm er ihre Hand. „Zeig mal.“
Zögernd streckte sie ihr Handgelenk heraus. Deutlich waren blaue Flecken zu sehen, Fingerabdrücke von Antonia Pawlowna.
„Ich wusste nicht, dass es so weit gekommen ist“, flüsterte Maxim und berührte vorsichtig die Verletzungen. „Es tut mir leid… Ich hätte dich beschützen müssen.“
„Und jetzt?“, fragte sie. „Jetzt wirst du mich schützen?“
„Ja!“, antwortete er entschlossen. „Ich bin schon weg. Ich habe ihr gesagt, dass wir eine Wohnung mieten. Ich suche bereits.“
Er zeigte ihr Wohnungen auf dem Handy: eine Einzimmerwohnung in der Nähe ihrer Arbeit, eine Zweizimmerwohnung weiter weg, aber gemütlicher.
„Wir wollten eigentlich sparen, um eine eigene Wohnung zu kaufen…“, flüsterte Natalia.
„Weißt du was?“, nahm er ihre Hände. „Es ist besser, in einer gemieteten Wohnung glücklich zu sein, als Geld zu sparen und sich zu verlieren. Du bist meine Familie. Und ich werde nicht zulassen, dass dir noch einmal jemand wehtut.“
Sie schmiegte sich an ihn und spürte zum ersten Mal seit langer Zeit: Er stand wirklich auf ihrer Seite.
„Und was hat deine Mutter gesagt?“
„Sie drohte, mich nicht mehr zu verzeihen“, lächelte Maxim, „aber ich habe geantwortet: ‚Das sind ihre Probleme. Ich wähle die Liebe.‘“
Olga schaute in die Küche.
„Noch Tee?“
„Danke, Olya“, lächelte Natalia, „für alles. Für deine Unterstützung. Für die Tür, die du mir geöffnet hast.“
„Ach, was!“, winkte die Freundin ab. „Wozu sind Freundinnen sonst da?“
Am Abend holten sie ihre Sachen ab. Antonia Pawlowna saß im Wohnzimmer wie eine Königin in einem leeren Palast.
„Ah, ihr seid ja wieder da“, sagte sie, ohne aufzusehen.
„Mama, wir holen unsere Sachen“, sagte Maxim ruhig.
Natalia begann schweigend, die Kleidung zusammenzulegen. Die Schwiegermutter näherte sich der Schlafzimmertür.
„Und wohin geht ihr dann? Auf der Straße schlafen?“
„Wir haben eine Wohnung gemietet“, antwortete Maxim.
„Wovon?“, fragte sie spöttisch.
„Von unserem Geld, das wir selbst verdient haben.“
„Ich warte nur darauf, wie ihr heult, wenn das Geld alle ist!“
Maxim richtete sich auf.
„Mama, hör auf. Wir gehen. Das ist unsere Entscheidung. Wenn du Teil unseres Lebens sein willst, dann akzeptiere uns.“
„Ich? Akzeptieren?“, schnaufte sie. „Ihr werdet auf Knien zu mir kriechen!“
„Nein“, sagte Natalia und hob den Kopf. „Nie.“
Sie holten ihre Sachen raus. Maxim verweilte an der Tür.
„Mama, überleg es dir. Wir können diese Beziehung retten. Aber nur, wenn du uns respektierst.“
Antonia Pawlowna drehte sich weg.
Er ging hinaus, die Tür schloss sich.
Drei Monate später lebten Maxim und Natalia in einer kleinen, aber gemütlichen Wohnung. Sie mussten sparen, und der Traum von einer eigenen Hypothek rückte in die Ferne. Doch morgens wachte man zusammen auf, bereitete gemeinsam das Frühstück, lachte und küsste sich.
Sie waren glücklich.
Antonia Pawlowna rief nicht mehr an. Maxim versuchte es dreimal – keine Antwort. Nachbarn sahen sie selten – nur im Laden, oft allein.
Eines Abends klingelte es.
Natalia öffnete die Tür. Die Schwiegermutter stand da, abgemagert und blass, Angst und Scham in den Augen.
„Darf ich rein?“ Ihre Stimme zitterte.
Natalia trat zurück.
Maxim kam aus dem Zimmer.
„Mama?“
„Ich wollte reden“, begann Antonia Pawlowna zaghaft.
Sie setzten sich in die Küche. Natalia stellte den Wasserkocher auf, reichte ihnen Tee. Schweigen lag in der Luft.
„Ich habe viel nachgedacht“, gestand sie endlich.
Sie sah Natalia an.
„Ich lag falsch. Ich gebe es zu. Ich hatte Angst, meinen Sohn zu verlieren. Aber genau das habe ich getan – weil ich alles zerstört habe.“
Natalia stellte ihr die Tasse hin.
„Antonia Pawlowna, verzeih mir. Ich habe mich schrecklich benommen, besonders an jenem Tag…“
„Lass uns nicht zurückblicken“, sagte Natalia. „Was vergangen ist, ist vorüber.“
„Danke“, schluchzte die Schwiegermutter. „Ich hatte solche Angst, dass ihr mir nicht vergeben würdet…“
„Mama, wir haben dir vergeben“, sagte Maxim und nahm ihre Hand. „Doch die Beziehung muss neu aufgebaut werden – mit Respekt und Vertrauen.“
„Ich verstehe“, nickte sie. „Ich werde mein Bestes geben.“
Sie tranken Tee, sprachen übers Wetter, Filme und alte Erinnerungen. Das Eis schmolz langsam.
Zum Abschied sagte Natalia:
„Kommt am Sonntag. Ich backe euren Lieblingskuchen.“
Antonia Pawlowna weinte.
„Danke… Danke euch beiden…“
Nach ihrem Weggang umarmte Maxim seine Frau.
„Du bist unglaublich. Nicht jede hätte vergeben.“
„Sie ist deine Mutter“, flüsterte Natalia, „und sie bereut es ehrlich. Jeder verdient eine zweite Chance.“
„Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch.“
Ein Jahr später verkündete Natalia, dass sie ein Kind erwartete.
Als Antonia Pawlowna das erfuhr, brach sie in Tränen aus und kniete nieder. Nicht aus Freude – sondern aus Erleichterung.
Sie hätte beinahe alles verloren.
Doch rechtzeitig hielt sie inne.
Dieser Tag mit dem Eimer kalten Wassers markierte eine Wende. Er lehrte Demut, zeigte Maxim, was es heißt, ein Mann zu sein, der schützt, und stärkte Natalia, nicht länger zu fürchten, zu gehen.
Eine Familie sind keine Mauern, kein Haus, keine „meinen Regeln“.
Familie bedeutet Liebe, Respekt und die Bereitschaft, sich zu verändern.
Auch wenn es schmerzt.
Auch wenn es spät ist.
Auch wenn es die ganze Seele fordert.