Meine Großmutter war gestorben, und das Einzige, was sie mir in ihrem Testament hinterlassen hatte, war ein altes Sofa. Mein Vater konnte das nicht fassen. Er schüttelte den Kopf, seine Stimme zitterte vor Wut, als er sagte, dass sie ihr ganzes Vermögen mit ins Grab genommen habe. Ich war ihr einziger Enkel, und doch hatte sie nichts anderes für mich vorgesehen als dieses Möbelstück. Aber für mich war es mehr als nur ein Sofa. Es war voller Erinnerungen an die Momente, die ich mit ihr verbracht hatte. Ich sah uns wieder vor meinem inneren Auge, wie wir abends zusammensaßen, während sie mir Märchen vorlas und ich mit einer dampfenden Tasse Tee in der Hand gebannt ihren Worten lauschte. Niemand verstand mich so wie sie.
Als ich mich darauf niederließ, um mich meinen Gedanken hinzugeben, spürte ich plötzlich etwas Ungewöhnliches. Irgendetwas Hartes drückte in meinen Rücken. Ich richtete mich auf, tastete vorsichtig die Rückenlehne ab und stellte fest, dass sich darin ein versteckter Gegenstand befand. Mit zitternden Händen nahm ich ein Messer und schnitt den Stoff auf. Dahinter kam eine grüne Metallkiste zum Vorschein. Meine Finger bebten leicht, als ich den Deckel anhob. Darin lagen zahlreiche Dokumente – und ein Brief, adressiert an mich.
Ich schluckte schwer, öffnete das Schreiben und begann zu lesen. Meine Großmutter hatte ihre Gedanken und Gefühle für mich in Worte gefasst. Jeder Satz lastete schwer auf meiner Brust. Nach dem Tod meiner Mutter hatte sich das Verhältnis zwischen meiner Großmutter und meinem Vater dramatisch verschlechtert. Sie hatte versucht, mich zu schützen, doch er war der Meinung, sie habe sich in sein Leben eingemischt. Als sie sich sogar an das Jugendamt gewandt hatte, war ihr Verhältnis endgültig zerbrochen. Doch sie hatte nur mein Bestes gewollt. Ich erinnerte mich daran, wie sie immer für mich da gewesen war, mir Halt gegeben hatte, wenn sonst niemand für mich da war.
Ich las weiter. Mein Vater hatte sich mir erst wieder zugewandt, nachdem meine Großmutter gestorben war, und jetzt wusste ich, warum. Sie schrieb in ihrem Brief, dass er es nicht aus Liebe zu mir getan hatte, sondern weil er auf ihr Erbe hoffte. Sie enthüllte eine Wahrheit, die mir bisher verborgen geblieben war. Nach dem Tod meiner Mutter hatte sie herausgefunden, unter welchen Bedingungen ich bei meinem Vater lebte. Die Wohnung war ein einziges Chaos, überall lagen leere Flaschen und schmutzige Wäsche. Ich war sich selbst überlassen, ernährte mich von Fertiggerichten, während meine Großmutter ihm regelmäßig Geld für mich geschickt hatte. Doch das Geld hatte mich nie erreicht.
Sie hatte versucht, mit ihm zu reden, ihn zur Vernunft zu bringen, doch er wies jede Verantwortung von sich, gab anderen die Schuld für sein eigenes Versagen. Schließlich sah sie keinen anderen Ausweg mehr und traf eine schwere Entscheidung. Sie brachte mich aus dieser Umgebung fort und vertraute mich Denisa und Michail an, einem Paar, das mir ein stabiles Zuhause geben konnte. Ihre Worte flehten mich an, bei ihnen zu bleiben und nicht den falschen Versprechungen meines Vaters zu glauben. Alles, was sie getan hatte, war aus Liebe zu mir geschehen und aus Respekt vor meiner Mutter.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Der Brief in meinen Händen fühlte sich plötzlich schwer an. Ich sah zu meinem Vater hinüber. Er saß vor dem Fernseher, beachtete mich nicht, als wäre ich gar nicht da. Meine Finger krampften sich um die Dokumente. Ich wusste, dass ich eine Entscheidung treffen musste. Eine, die mein Leben für immer verändern würde.