Nach dem Tod ihrer Schwiegermutter kam Valentina zum Notar, wo das Testament verlesen werden sollte. Das Gebäude war ihr vertraut: alt, mit seinem rissigen Schild und den schweren Türen, hinter denen noch immer der Geruch von Staub, Holz und Papier hing.
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Valja trat als Erste ein. In einem schwarzen Mantel bewahrte sie ihre gewohnte Ruhe. Ihre Schwiegermutter war immer streng gewesen, doch Valja respektierte sie. Die letzten Jahre ihrer Krankheit hatten sie einander näher gebracht: Valja hatte sich um die alte Frau gekümmert, sie zu Ärzten begleitet, ihr Essen zubereitet und ihre Reizbarkeit und ihr nachlassendes Gedächtnis ertragen. André, ihr Mann, war distanziert geworden: Er ging immer häufiger weg, blieb länger bei der Arbeit und wurde ihr fast fremd.
Zehn Minuten später betrat André den Raum. Doch er war nicht allein.
Neben ihm ging eine junge Frau in den Dreißigern: gepflegtes Haar, elegante Handtasche. Sie hielt einen etwa fünfjährigen Jungen im Arm, eng an seine Mutter gekuschelt. Walja blieb regungslos.
„Was spielst du mir da?“, fragte sie ruhig und sah ihrem Ex-Mann direkt in die Augen.
André schwieg. Die Frau nickte nur kurz und setzte sich neben ihn. Neugierig warf das Kind Walja einen Blick zu.
Der Notar trat ein, verbeugte sich, setzte sich an seinen Schreibtisch und öffnete seine Akte:
„Wir sind hier versammelt, um das Testament von Maria Petrowna Iwanowa zu eröffnen …“
Während er las, konnte Walja kaum glauben, was geschah. Endlich stand die Frau vor ihr, über die schon so lange Gerüchte kursierten; Walja hatte es nie glauben wollen. Oder vielleicht wollte sie die Realität einfach ignorieren.
„Gemäß dem letzten Willen der Verstorbenen gehen die Wohnung und die Bankkonten an Walentina Sergejewna Iwanowa“, fuhr der Notar fort.
Pause. Alle Augen richteten sich auf Walja. Sie schwieg.
„Allerdings“, fügte der Notar hinzu, „ist noch ein weiteres Erbe geplant: Die Datscha im Dorf Glinino und die im Safe aufbewahrten Familienjuwelen sollen an ihren Enkel Pjotr Andrejewitsch vererbt werden – unter der Bedingung, dass er offiziell als Andrej Iwanows Sohn anerkannt wird. Organisierte Familienaufenthalte
Es herrschte Stille. Nur das Kind fragte leise:
„Mama, wer ist diese Tante?“
Walja stand langsam auf.
„Ich bin diejenige, die diese Familie so viele Jahre lang ernährt hat. Und jetzt bin ich anscheinend frei.“
Sie ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Draußen begann es zu regnen. Valya hob den Kragen ihres Mantels, atmete die kalte Luft ein und spürte nicht Schmerz, sondern eine seltsame Leichtigkeit. Alles war vorbei. Oder vielleicht fing es gerade erst an.
Auf dem Heimweg schwieg Valya. Regentropfen kullerten durch das Fenster, und die Worte des Notars wirbelten in ihrem Kopf herum. Die Wohnung, das Geld: Alles schien ihr fremd. Ihre Schwiegermutter kannte die Wahrheit: das Kind, den Ehebruch. Doch sie hatte bis zum Schluss geschwiegen. Und nun vermachte sie die Datscha und den Schmuck ihrem unehelichen Enkel. Es war nicht nur ein Geschenk: Es war eine Botschaft.
Zurück in der leeren Wohnung begegneten Valya einst vertraute Gerüche: Kaffee, Kuchen, Kölnisch Wasser … Jetzt herrschte nur noch Staub und Stille. Sie zog ihren Mantel aus, machte sich Tee und setzte sich ans Fenster. Was jetzt tun? Alles verkaufen? Weggehen? Allein bleiben?
Ihr Handy vibrierte. Eine Nachricht von einem Unbekannten Nummer:
„Hallo. Hier ist Marina. Ich möchte mich unterhalten, ohne Skandal. Für Petja.“
Marina. Die Lehrerin. Die Mutter seines Kindes. Walja starrte lange auf den Bildschirm und antwortete dann:
„Morgen 12 Uhr, Café „Altstadt“. Ohne André.“
Am nächsten Tag trafen sie sich wieder. Marina wirkte angespannt, blieb aber würdevoll. Sie hielt ein Fotoalbum in der Hand, das Petjas Leben dokumentierte: erste Schritte, Schulfeste, Kinderzeichnungen. Walja betrachtete es; das Kind hatte Andrés Züge, vor allem aber Maria Petrownas: dieselben Augen, dieselben Wangenknochen.
„Hat sie ihn gesehen?“, fragte Walja.
„Einmal, auf ihren Wunsch hin.“ Ich habe nicht verstanden, warum … Nun ja.“
Es folgte Schweigen.
„Ich will kein Geld“, sagte Marina schließlich. Auch nicht die Wohnung. Ich möchte nur, dass Petia eine Geschichte hat. Dass er nicht „das andere Kind“ ist. Dass er akzeptiert wird.
Valya nippte an ihrem Kaffee. Sie spürte weder Wut noch Groll, sondern eine neue Stärke, die sie lange nicht gespürt hatte: dieselbe Stärke, die ihre Schwiegermutter immer an ihr bewundert hatte.
„Er wird seinen Namen und sein Erbe erhalten. Denn er ist Teil dieser Familie“, erklärte Valya. „Aber von heute an gehöre ich nicht mehr zu deiner.“
Als Valya das Café verließ, empfand sie keine Bitterkeit, sondern immens