5,000 / 5,000
Translation results
Translation result
Andrej war noch nie ein guter Lügner gewesen. Während er im Schlafzimmer seinen Koffer packte, vermied er sorgfältig Marinas Blick, der Frau, mit der er fast zehn Jahre zusammenlebte. „Also, eine Konferenz. Eine ganze Woche“, sagte Marina und lehnte sich an den Türrahmen. „Und auf jeden Fall in Sotschi, wenn alle Urlaub haben.“ „Na ja“, murmelte Andrej und schob verlegen seine Strandshorts unter einen Stapel Hemden. „Die Firma übernimmt alle Kosten. Es wäre komisch, abzulehnen.“ „Und Vika, deine Kollegin, kommt auch?“ Marinas Stimme klang nicht wie eine Frage, sondern wie eine müde Feststellung. Andrej erstarrte kurz, machte sich dann aber weiter fertig, als wäre nichts geschehen. „Ja. Sie ist für die Präsentation zuständig. Arbeit ist Arbeit.“ „Natürlich“, Marina verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie letztes Jahr auf der Firmenfeier, als du bis vier Uhr morgens ‚gearbeitet‘ hast?“ „Fängst du schon wieder an?“ Andrej knallte seinen Koffer zu. „Ich habe ihr damals alles erklärt. Wir hatten ein wichtiges Projekt.“ „Und dafür musste sie alle Nachrichten von ihrem Handy löschen?“ Andrej hob seinen Koffer vom Bett und sah seiner Frau endlich in die Augen. „Ich werde nicht darüber reden. Der Flug geht in drei Stunden.“ „Grüße deinen ‚Kollegen‘“, sagte Marina und trat von der Tür zurück, um ihn durchzulassen. „Ruh dich aus.“ Andrej murmelte etwas und eilte zum Ausgang. Allein gelassen, stand Marina lange mitten im Schlafzimmer und betrachtete das Familienfoto auf dem Nachttisch. Dann griff sie entschlossen zum Telefon und suchte nach der Nummer der Person, die ihr helfen konnte. Mitte Juni in Sotschi, erfreut mit idealen Wassertemperaturen – warm, aber nicht zu warm, mit sanften Wellen. Andrej lag faul unter einem Sonnenschirm und beobachtete Vika beim Sonnenbaden. Ihr gebräunter Körper spielte in der Sonne und zog neugierige Blicke ihrer Umgebung auf sich. „Komm her!“, rief sie und winkte ab. „Das Wasser ist einfach herrlich!“ Andrej stand langsam auf und stapfte zum Wasser. Trotz drei Tagen unbeschwerter Erholung – ohne Arbeit, Hausarbeit und Marinas ständige Vorwürfe – spürte er immer noch eine innere Anspannung. „Woran denkst du?“, fragte Vika, schwamm näher heran und umarmte ihn. „Erzähl mir bloß nicht, es ginge um die Arbeit.“ „Nein, es ist nur …“ Andrej zögerte. „Ich habe vergessen, den Bericht vor der Abreise abzuschicken.“ „Lügner“, lächelte Vika und küsste ihn leicht auf die Wange. „Du denkst an deine Frau, oder?“ Andrej runzelte die Stirn. „Wir haben vereinbart, dieses Thema hier nicht anzusprechen.“ „Okay, okay“, sagte Vika versöhnlich. – Vielleicht sollten wir zu den Bojen schwimmen? Abends saßen sie im Hotelrestaurant mit Blick aufs Meer. Vika trug ein neues Kleid, das sie tagsüber in einer Boutique am Ufer gekauft hatte. Andrej beobachtete, wie der Sonnenuntergang ihre Haut golden färbte, und fand, dass sie wirklich umwerfend aussah. Aber etwas störte ihn immer noch. — Fahren wir morgen in die Berge? — fragte Vika und nippte an ihrem Wein. — Ich möchte ein paar schöne Fotos für Social Media machen. — Klar, — nickte Andrej. — Wir kaufen gleichzeitig ein paar Souvenirs. — Mag Marina Souvenirs? — fragte Vika unschuldig. Andrej zuckte zusammen. — Ich habe dich gebeten, dieses Gespräch nicht anzufangen. — Entschuldige, — Vika legte ihre Hand auf seine. — Aber früher oder später musst du diese Situation klären. Wir können uns nicht ewig verstecken. — Ich weiß, — antwortete Andrej düster. — Ich rede nach meinem Urlaub mit ihr. — Wirklich? — Vikas Augen leuchteten hoffnungsvoll. — Versprichst du es? — Versprochen. Die Woche verging wie im Flug. Sie schwammen, sonnten sich, machten Ausflüge, probierten Meeresfrüchte in gemütlichen Restaurants und verbrachten heiße Nächte im Hotelzimmer. Andrej dachte fast nicht mehr an zu Hause und daran, was ihn nach der Rückkehr erwartete. Fast. Am Abreisetag umarmte ihn Vika am Flughafen. — Vergiss dein Versprechen nicht, — flüsterte sie und küsste ihn auf die Lippen. — Ich warte auf deinen Anruf. — Ich erinnere mich, — sagte Andrej und riss sich mühsam los. — Ich rufe an, sobald ich mit ihr gesprochen habe. Sie flogen mit verschiedenen Maschinen – diese Vorsicht schien angebracht. Im Flugzeug bestellte Andrej Whisky und überlegte, was er seiner Frau sagen sollte. In den zehn Jahren Ehe war ihre Beziehung so fremd geworden. Marina war mit ihrer Karriere beschäftigt, und er … traf Vika und erkannte, dass er sich noch lebendig fühlen konnte. Die Scheidung schien unausweichlich, doch das machte es nicht leichter. Spätabends hielt ein Taxi in der Nähe seines Hauses. Nachdem er den Fahrer bezahlt hatte, erstarrte Andrej für ein paar Minuten und blickte zu den Fenstern seiner Wohnung. Im Wohnzimmer brannte Licht. Marina schlief nicht. Er holte tief Luft und ging zur Tür. Die Tür öffnete sich lautlos. Im Flur stellte er seinen Koffer ab und lauschte. Leise Musik und Stimmen drangen aus dem Wohnzimmer. „Fernseher“, dachte er, zog seine Schuhe aus und ging in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Was er sah, ließ ihn erstarren. Der Raum war bis zur Unkenntlichkeit verwandelt. Statt des üblichen Minimalismus gab es Girlanden, Blumen und Luftballons. An den Wänden hingen Fotos: eine Hochzeit, eine Hochzeitsreise, ihre erste gemeinsame Europareise … Mitten im Wohnzimmer stand ein festlich gedeckter Tisch mit Champagner und einer Torte, dekoriert mit einer Kerze in Form der Zahl „10“. Marina saß auf dem Sofa, aber sie war nicht allein. Neben ihr stand ein großer, blonder Mann, den Andrej noch nie zuvor gesehen hatte.