Ein Lied aus der Vergangenheit – Als ein Kind die Türen zur Erinnerung öffnete

„Wie kennst du dieses Lied?“ fragte Andrei mit brüchiger Stimme.

Elena sah aus dem Fenster in die Dunkelheit, dann drehte sie sich langsam zu ihm um.

„Meine Mama hat es oft gesungen, als ich kleiner war“, sagte sie leise. „Immer wenn der Strom ausfiel oder sie traurig war. Sie sagte, dieses Lied sei das Einzige, was ihr geblieben war von ihrer eigenen Mutter. Ich habe es auswendig gelernt, weil… ich wollte, dass es nie verschwindet.“

Andrei schluckte schwer. Er erinnerte sich. Das Lied war identisch mit dem, das seine eigene Mutter ihm gesungen hatte, damals, als er noch ein Kind war – bevor das Leben ihn verschluckt hatte in Bürokratie, Verantwortung, und Enttäuschung.

Die Melodie, ihre Melancholie, der Text… Das konnte kein Zufall sein.

„Deine Mutter… wie heißt sie?“ fragte er vorsichtig.

„Irina“, antwortete Elena. „Irina Dumitru.“

Es war, als hätte jemand das Fenster seiner Erinnerung weit aufgerissen. Irina. Der Name stach wie ein Blitz in seine Brust.

Er kannte sie. Natürlich kannte er sie. Vor über zwanzig Jahren waren sie Nachbarn gewesen. Kinderfreunde. Vielleicht sogar die erste große Liebe, die nie ausgesprochen worden war. Sie hatte wunderschöne blaue Augen – genau wie Elena.

Die Stille im Wagen wurde dicht. Mihai, der Fahrer, wagte nicht zu sprechen. Das Radio spielte leise ein altes Volkslied, das kaum hörbar war.

„Elena… weißt du, dass ich deine Mutter einmal kannte?“ fragte Andrei leise. „Lange her. Wir waren jung. Ich hätte nie gedacht…“

Elena lächelte traurig.

„Mama sagt manchmal, dass sie jemanden vermisst. Jemanden, der ihr das Lächeln zurückgegeben hat, als sie es fast verloren hätte.“

Andrei drehte sich zu ihr, fuhr sich durchs Gesicht, um die Tränen zu verstecken, doch es war zwecklos.

„Vielleicht bin ich dieser Jemand gewesen…“, murmelte er.

Der Rest der Fahrt verging schweigend, aber nicht leer. Es war ein Schweigen voller Bedeutung, Erinnerungen, unausgesprochener Gefühle. Als sie schließlich in Râșcoveni ankamen, war die Nacht hereingebrochen.

Andrei begleitete Elena bis zur Tür eines kleinen, einfachen Hauses. Dort stand eine Frau im Licht der Veranda, blass, aber mit diesem vertrauten Blick – Irina.

Ihre Augen trafen sich. Kein Wort wurde gesagt, aber alles wurde verstanden.

Und so endete die Reise, die als Zufall begann, mit der Möglichkeit eines neuen Anfangs.

Manche Begegnungen sind keine Zufälle – sie sind Kapitel, die das Leben für später aufhebt.