Ich war wie jeden Mittwochmorgen früh aufgestanden. Der Kaffee blubberte in der alten Maschine, die meine Tochter mir vor Jahren geschenkt hatte. Ich legte das gestrickte Jäckchen für meine Enkelin bereit – es war frisch gewaschen, in Lavendelduft getaucht, so wie sie es mochte. Um halb zehn wollte ich wie gewohnt bei ihnen sein. Ich liebte diese Vormittage: Geschichten vorlesen, ihr kleines Köpfchen auf meinem Schoß, das leise Lachen, wenn sie sich an mich kuschelte. Es war mein ganzes Glück.
Doch heute kam der Anruf früher als sonst.
Es war meine Tochter. Ihre Stimme klang gehetzt, aber entschlossen.
„Mama… bitte komm heute nicht. Vielleicht… bleibst du diese Woche einfach mal zu Hause, ja?“
Ich hielt das Telefon fest ans Ohr, als hätte ich mich verhört.
„Ist etwas passiert?“ fragte ich leise.
„Nein, nein“, sagte sie schnell. „Es ist nur… na ja, Thomas’ Eltern sind da. Sie bleiben ein paar Tage. Und… es ist einfach besser, wenn es nicht so voll ist.“
So voll? Ich war also… zu viel.
Ich lächelte ins Nichts.
„Natürlich, Liebes. Ruht euch gut aus.“
Dann legte ich auf, bevor sie hörte, wie meine Stimme zu zittern begann.
Ich saß lange in der Küche. Der Kaffee war inzwischen kalt geworden. Neben mir lag das Jäckchen, das ich gestrickt hatte, in Rosa mit kleinen weißen Blümchen. Plötzlich kam es mir lächerlich vor. Altmodisch. Nicht gut genug.
Ich dachte an Thomas’ Eltern – Ärzte, gepflegt, immer höflich. Teure Schuhe, teurer Tee. Immer mit einem Geschenk in der Hand und einem Kommentar über „moderne Erziehung“. Ich erinnerte mich an das erste Mal, als seine Mutter mir sagte: „Sie sind sicher eine gute Großmutter. Aber ich finde, das Kind braucht Struktur – keine Märchen.“
Ich lächelte damals. Heute nicht mehr.
Gegen Mittag zog ich mir den Mantel an und ging zum Park. Der Wind war scharf, aber ich wollte keinen Kaffee und kein Buch. Ich wollte einfach nur den Lärm der Welt hören, um mein Herz nicht pochen zu hören.
An einer Bank setzte ich mich neben eine ältere Frau. Auch sie war allein. Wir kamen ins Gespräch – zuerst über das Wetter, dann über unsere Kinder. Sie erzählte, dass ihr Sohn sie „nicht mehr brauche“.
„Wir werden unsichtbar, weißt du?“ sagte sie mit rauer Stimme.
Ich nickte.
„Aber weißt du was?“ fuhr sie fort, „unsichtbar ist nicht tot. Unsichtbar ist nur leise. Und leise heißt nicht wertlos.“
Ich sah sie an. Und zum ersten Mal an diesem Tag lächelte ich ehrlich.
ENDE
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Von der geliebten Oma zur Unerwünschten – Wie Reichtum mein Platz in der Familie ersetzte
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