in kleiner Stuhl am Fenster

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Seit zwei Jahren steht der kleine grüne Stuhl an genau derselben Stelle — direkt vor dem Fenster mit Blick auf den Innenhof. Jeden Morgen setzt sich Klara mit einer Tasse Kamillentee darauf. Niemand weiß genau, was sie dort sieht. Die Bäume? Die Nachbarskinder? Oder vielleicht Erinnerungen, die nur sie selbst erkennen kann.
Mit sechzig hatte sie geglaubt, das Leben würde sanfter werden. Es gab keine Arbeit mehr, keine kranken Kollegen, kein Gedränge in der U-Bahn. Nur Stille. Und Klara hatte sich lange danach gesehnt – nach dieser Pause. Aber als sie kam, war sie kalt. Und leer.
Ihr Sohn war weit weg – räumlich und emotional. Seine Frau mochte keine Schwiegermütter, sagte er einmal lächelnd, als Klara vorschlug, Weihnachten bei ihnen zu verbringen. Ihre Tochter schrieb nur Geburtstagsnachrichten, in denen der Ton so neutral war wie das Geschenk – ein Gutschein, ohne persönliche Worte.
Es war nicht immer so. Klara war keine schlechte Mutter. Vielleicht streng, ja. Vielleicht laut, wenn sie sich sorgte. Aber sie hatte geliebt – mit ganzem Herzen. Sie hatte alles gegeben: Frühstück in der Dämmerung, warme Jacken in kalten Wintern, offene Arme in dunklen Nächten.
Und nun? Eine Tasse Tee, ein grüner Stuhl und die Frage: „War das alles umsonst?“
Bis eines Tages ein Umschlag im Briefkasten lag. Ohne Absender, nur ihr Name. Darin: ein Bild. Ein Kind – etwa fünf Jahre alt – mit strubbeligen Haaren und einem Lächeln, das bis in den Himmel reichte. Auf der Rückseite stand mit Kinderbuchstaben:
„Danke für die rote Mütze, Oma. Mama sagt, du hast sie gestrickt. Ich liebe sie. Vielleicht kannst du mir noch eine machen?“
Klara konnte kaum atmen. Tränen tropften auf das Papier. Nicht vergessen. Nicht ganz. Irgendwo, zwischen all dem Schweigen, hatte ihre Liebe Spuren hinterlassen.
Am nächsten Morgen war der grüne Stuhl leer. Denn Klara saß im Wohnzimmer an der Nähmaschine. Mit weichen Händen und neuem Mut strickte sie – nicht nur eine Mütze, sondern ein neues Band. Faden für Faden, Hoffnung für Hoffnung.
Titelvorschlag: „Der Tag, an dem ich doch noch gebraucht wurde“
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