„Anna Sergejewna, die Unterlagen sind fertig. Wer bringt Sie nach Hause?“, fragte die Krankenschwester sanft und musterte die gebrechliche Frau mit dem blassen, von dunklen Ringen gezeichneten Gesicht.
„Ich … werde es alleine schaffen“, erwiderte Anna und versuchte, zuversichtlich zu klingen.
Die Krankenschwester sah sie besorgt an. Eine Woche war seit der schwierigen Geburt vergangen, und sie hatte immer noch niemanden an ihrer Seite. Ihr Mann war nicht einmal aufgetaucht. Nur ein kurzer Anruf: „Verschwende deine Zeit nicht mit mir.“
Anna nahm Lisa vorsichtig in die Arme und wiegte das Baby in ihrer Armbeuge. Die Krankenschwester half mit dem zweiten Baby – Mitja. Zwei kleine Bündel, zwei neugeborene Leben, für die sie nun die volle Verantwortung trug. Sie warf sich ihre Tasche über die Schulter und hielt in der anderen Hand eine Packung Windeln.
„Sind Sie sicher, dass Sie alles tragen können?“, fragte die Krankenschwester. „Soll ich ein Taxi rufen?“
„Nicht nötig. Die Bushaltestelle ist nicht weit.“
Nicht weit: nur einen Kilometer auf den verschneiten Februarstraßen, mit zwei Neugeborenen und einer Wunde, die bei jedem Schritt pochte. Doch niemand war da, den sie anrufen konnte. Das Geld reichte kaum für Milch und Brot bis zum Monatsende.
Annas Schritte waren klein und vorsichtig. Der Wind wehte ihr Schneeflocken ins Gesicht, die Tasche zerrte an ihrem Arm, ihr Rücken schmerzte. Doch unter den dünnen Decken spürte sie die Wärme ihrer Kinder – wärmer als jede Jacke.
An der Bushaltestelle musste sie warten. Passanten rannten vor dem Wind davon. Niemand bot ihr Hilfe an, nur neugierige Blicke blickten auf die junge Frau mit zwei Neugeborenen. Als der Bus ankam, half ihr eine alte Frau beim Einsteigen und bot ihr ihren Sitzplatz an.
„Fahren Sie zu Ihrem Mann?“, fragte die Frau.
„Ja“, log Anna und senkte den Blick.
Insgeheim hoffte sie immer noch, dass Ivan nur Angst gehabt hatte. Dass er sich bessern würde, wenn er seine Kinder sähe. Dass er sie lieben würde, wie er es vor zwei Jahren versprochen hatte, als er sagte: „Ich will einen Sohn und eine Tochter, genau wie du.“ Das Schicksal hatte es gut mit ihnen gemeint – sie hatte sie beide zusammengebracht.
Das Haus empfing sie mit leerer Stille und abgestandener Luft. Schmutziges Geschirr in der Spüle, Zigarettenstummel in einem Glas auf dem Tisch, leere Flaschen. Anna legte die Neugeborenen vorsichtig auf das Sofa und deckte es mit einem sauberen Handtuch zu. Sie öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und zuckte bei dem Schmerz in ihrem Unterleib zusammen.
„Ivan?“, rief sie. „Wir sind zu Hause.“
Ein Rascheln drang aus dem Schlafzimmer. Ivan erschien, seinen Bademantel um sich geschlungen. Sein Blick wanderte zu den Kindern, der Tasche, Anna – distanziert, kalt. Als sähe er zwei Fremde.
„Was für ein Lärm“, murmelte er. „Ich wette, sie haben die ganze Nacht geweint.“
„Ihnen geht es gut“, sagte sie und kam näher. „Mitja nur, wenn er Hunger hat, und Lisa ist immer so ruhig. Schau, sie sind wunderschön …“
Iwan wich zurück. Etwas wie Ekel – oder vielleicht Angst – flackerte in seinen Augen auf.
„Weißt du, ich dachte gerade …“, begann er und strich sich über den Nacken. „Dieses Leben ist nichts für mich.“
„Was?“ Anna erstarrte ungläubig.
„Babys, Windeln, ständiges Weinen. Ich bin nicht bereit.“
Anna war sprachlos: Wie kann man nach neun Monaten des Wartens nicht bereit für seine eigenen Kinder sein?
„Aber du hast gesagt …“
„Ich habe es mir anders überlegt“, sagte er lässig mit einem Achselzucken. „Ich bin noch jung. Ich will das Leben genießen und mir keine Gedanken über Windeln machen müssen.“
Er holte eine Sporttasche aus dem Schrank und begann, sie mit T-Shirts und Jeans zu füllen, so vorsichtig, als würde jemand etwas wegwerfen.
„Gehst du?“ Annas Stimme war weit weg.
„Ich gehe“, nickte er. „Ich bleibe noch eine Weile bei Serjoga, dann denke ich über die Miete nach.“
„Was ist mit uns?“ Anna traute ihren Ohren nicht.
„Bleib hier“, sagte er, ohne sich umzudrehen. „Das Haus ist auf deinen Namen eingetragen. Die Kinder gehen dich etwas an.“
Er spuckte neben dem Sofa auf den Boden, schnappte sich seine Tasche und knallte die Tür hinter sich zu. Die Fenster zitterten. Lisa brach in leises Schluchzen aus – als verstünde sie, dass sie im Stich gelassen worden war.
Anna sank zu Boden, wie von einem Abgrund der Angst verschlungen. Sie war allein, mit zwei Neugeborenen, in einem kalten Haus und hatte nur ein paar Krümel Geld.
Lisa weinte lauter. Mitja stimmte ein – zwei verzweifelte Stimmen in einem Schrei. Anna erwachte aus einem Albtraum, kroch zum Sofa, hob die beiden hoch und drückte sie an ihre Brust. Diese schutzlose Wärme war ihre einzige Realität.
„Pst, meine Lieblinge“, flüsterte sie und wiegte sie. „Wir schaffen das. Ich werde euch nie verlassen.“
Draußen wirbelte der heftige Wind Schnee auf. Die Sonne war bereits untergegangen. Es war nur die erste von vielen Nächten, die sie zusammen verbringen würden, ohne den, der ihr eigentlich helfen sollte. Als die Uhr drei Uhr schlug, schlief Mitja endlich ein; Lisa hatte sich bereits beruhigt. Sie legte die beiden in ein provisorisches Kinderbett – einen mit einer Wolldecke ausgelegten Pappkarton. Der Ofen war fast aus; ihr fehlte die Kraft, auch nur Holz nachzulegen.
„Wir werden überleben“, murmelte sie in die Dunkelheit, als rezitierte sie ein Mantra, das sie jahrelang begleiten sollte.
Iwan stammelte eine Begrüßung: „Ihr seid Lisa und Mitja, richtig? Ich bin euer Vater.“
Die Kinder antworteten nicht. Lisa sagte: „Wir sind ohne euch aufgewachsen. Warum seid ihr nach dreizehn Jahren hier?“
Iwan bat um Verständnis: „Ich habe alles verloren und an euch gedacht. Ich würde euch gerne kennenlernen.“
„Ihr wisst nichts über uns“, erwiderte Lisa. „Und ihr habt kein Recht, euch vorzustellen, als wäre nichts geschehen. Ihr habt neben unsere Betten gespuckt und seid gegangen, ohne euch umzudrehen.“
Iwan senkte den Kopf. „Du hast Recht …“
„Ihr seid Fremde“, schloss Mitja. „Völlig Fremde.“
Und sie gingen weg, umarmten sich wie immer und ließen ihn mit seinem Bedauern allein.
Zu Hause merkte Anna sofort, dass etwas passiert war. „Was ist passiert?“, fragte sie.
„Papa ist zur Schule gekommen“, sagte Mitja.
Anna setzte sich mit brechender Stimme hin: „Und was hast du gesagt?“
„Die Wahrheit“, antwortete Lisa. „Der uns fremd ist.“
Anna nickte voller Stolz und Erleichterung: Das Leben, das sie gemeinsam aufgebaut hatten – sie und ihre beiden Kinder – war stärker als alles Verlassenwerden.
Am nächsten Morgen klopfte es erneut. Anna öffnete die Tür. Ivan war gealtert, blass, erschöpft. „Anja“, stammelte er.
Anna sah ihn lange und distanziert an: „Die Kinder haben schon alles gesagt. Dem ist nichts hinzuzufügen.“
Ivan versuchte, seine Hilfe anzubieten, Geld zu schicken, ein neues Leben zu beginnen. Doch Anna erklärte ihm mit ruhiger Stimme, dass auch sie ihm dankte: „Wärst du geblieben, wäre es uns vielleicht schlechter gegangen. Stattdessen bist du gegangen, und wir sind stärker geworden.“
Die Kinder gingen in die Küche, als wollten sie eine Schutzmauer bilden. Ivan drehte sich traurig um und ging allein die staubige Straße entlang.
Anna sah ihm nach und fühlte zum ersten Mal seit Jahren Freiheit: Die letzte Verbindung zur Vergangenheit war zerrissen.
„Lasst uns gehen“, sagte sie zu ihren Kindern. „Der Kuchen wird kalt.“
Sie gingen zurück ins Haus, schlossen die Tür und setzten sich an den Tisch – Mutter und Kinder, zusammen, wie immer. Der Tee dampfte in den Tassen, und der Duft von Apfelkuchen erfüllte den Raum. Draußen strich der Wind über die Spitzenvorhänge.
„Mama, bist du traurig?“, fragte Liza und lehnte sich an Annas Schulter.
„Nein“, sagte sie und küsste Lizas Kopf und dann Mitjas. „Ich bin nicht allein. Ich habe dich, und du hast mich. Das ist alles, was ich brauche.“
Und sie aßen den Kuchen und sprachen über die Schule, ihre Wochenendpläne und die neugeborenen Kälber auf dem Bauernhof – über das wahre Leben, das Leben, das sie gemeinsam aufgebaut hatten, mit ihren eigenen Händen.