Ich heiße Marianne. Ich bin sechzig. Und ich beginne zu glauben, dass ich für niemanden mehr wichtig bin – außer vielleicht für die Katze, die jeden Abend vor meinem Fenster sitzt, obwohl sie nicht mir gehört.
Früher war mein Leben laut. Stimmen von Kindern, Türen, die zuschlugen, das Pfeifen meines Mannes, wenn er die Zeitung las. Heute ist da nur das Ticken der Uhr über dem Kühlschrank und das Quietschen meines alten Sessels, wenn ich mich hineinsetze.
Meine Tochter lebt in Leipzig, mein Sohn in Basel. Beide erfolgreich, beide beschäftigt. „Mama, wir rufen dich morgen an“, sagen sie oft. Manchmal ist dieses Morgen Wochen entfernt. Und wenn es doch kommt, sind es sieben Minuten Gespräch zwischen zwei Meetings.
Ich erinnere mich an jeden einzelnen Tag, als sie klein waren – Fiebernächte, Geburtstagskuchen, erste Liebeskummer. Ich war da. Immer. Jetzt bin ich ein Name auf dem Handybildschirm, den man manchmal wegdrückt, wenn es gerade nicht passt.
Die Abende sind am schwersten. Dann mache ich den Fernseher an, aber nicht um zuzusehen – nur um Stimmen zu hören. Ich koche zu viel, esse zu wenig. Und der Briefkasten bleibt leer, außer den Rechnungen und der Werbung für Treppenlifte.
Manchmal frage ich mich: Wenn ich heute gehen würde – wie lange würde es dauern, bis es jemand merkt?
Letzten Dienstag passierte etwas. Etwas Winziges. Aber es war genug.
Ich ging wie immer zum Supermarkt. Die Kassiererin, jung, mit einem Nasenpiercing, schaute mich an und sagte plötzlich:
„Sie haben letzte Woche kein Brot gekauft. Ich hatte mir Sorgen gemacht.“
Ich schaute sie an – überrascht. Dann lächelte ich.
„Ich hatte eine Erkältung“, antwortete ich leise.
„Gut, dass Sie wieder da sind“, sagte sie. „Ich mag es, wie freundlich Sie immer grüßen.“
Ich ging nach Hause – mit einem Gefühl, das ich lange nicht mehr gespürt hatte. Ich war gesehen worden. Ich war jemand. Vielleicht nicht für meine Kinder, nicht für die Welt. Aber für diese Kassiererin – für einen Moment – war ich da.
Am nächsten Tag setzte ich mich an mein Fenster. Und statt nur zu warten, wie sonst, schrieb ich einen Brief. An meine Tochter. Kein Vorwurf, keine Klage – nur Erinnerungen. Und ein Foto von mir, wie ich auf einer Wiese stehe, lächelnd, aus der Zeit, als das Leben noch voller Pläne war.
Zwei Tage später klingelte mein Handy. Mein Enkel rief an – zum ersten Mal.
„Oma, Mama hat mir deinen Brief gezeigt. Er war schön. Kannst du mir erzählen, wie du Papa immer zur Schule gebracht hast?“
Ich weinte. Nicht laut, nicht dramatisch. Es war ein stilles, erleichterndes Weinen.
Vielleicht braucht es nur einen Moment. Einen Satz. Ein kleines Zeichen, dass man noch zählt. Dass man noch da ist.
Und solange ich jeden Morgen aufstehe, Tee koche, ein Lächeln teile –
lebt auch die Hoffnung.
Möchtest du, dass ich daraus eine längere Erzählung mit Kapiteln entwickle?

Die Frau, die alles gab – und niemand fragte je: Wie geht es dir
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