Dreißig Jahre lang lebte ich in der Überzeugung, adoptiert zu sein, von meinen leiblichen Eltern verlassen, weil sie mich nicht bei sich behalten konnten. Doch der Besuch im Waisenhaus erschütterte jede Gewissheit über meine Vergangenheit.
Ich war erst drei Jahre alt, als mein Vater mir zum ersten Mal von meiner Adoption erzählte. Ich saß auf dem Wohnzimmerteppich und baute konzentriert einen Turm aus bunten Bausteinen. Er kam mit einem gezwungenen Lächeln auf mich zu, das meine Augen nicht erreichte, und legte mir eine Hand auf die Schulter.
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— Schatz, wir müssen reden — sagte er sanft, aber bestimmt.
Ich blickte auf und hielt meinen Lieblingskuschelhasen im Arm.
— Was ist los, Papa?
— Deine leiblichen Eltern konnten nicht für dich sorgen — erklärte er. — Deshalb haben Mama und ich dich adoptiert. Wir wollten dir ein besseres Leben ermöglichen.
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— Biologische Eltern? — fragte ich und neigte neugierig den Kopf.
Er nickte. — Ja, aber sie haben dich so sehr geliebt, auch wenn sie dich nicht behalten konnten.
Ich verstand es nicht ganz, aber das Wort „geliebt“ gab mir ein Gefühl von Geborgenheit.
— Bist du jetzt mein Papa?
— Genau, — antwortete er und umarmte mich fest. Und in dieser Umarmung fand ich meinen Platz in der Welt.
Sechs Monate später starb meine Mutter bei einem Autounfall. Ich erinnere mich nur noch an ein verschwommenes Bild von ihr, wie ein warmer Sonnenstrahl an einem kühlen Tag. Von da an war ich allein mit meinem Vater.
Anfangs war alles in Ordnung. Er machte mir Sandwiches und ließ mich samstagmorgens Zeichentrickfilme schauen. Aber mit der Zeit änderte sich etwas. Wenn ich Fehler machte oder Unsicherheiten zeigte, schrieb er alles meinen „richtigen Eltern“ zu.
Eine Episode, die mir im Gedächtnis geblieben ist, stammt aus meinem sechsten Geburtstag. Mein Vater organisierte ein Barbecue mit den Nachbarn. Lachend hob er sein Glas und sagte:
— Wir haben sie adoptiert. Ihre richtigen Eltern konnten nicht für sie sorgen. Diese Worte verletzten mich zutiefst. In den darauffolgenden Tagen fingen die Kinder aus der Nachbarschaft an, mich zu ärgern. Ich rannte weinend nach Hause, aber mein Vater sagte nur:
— Kinder sind so. Du musst lernen, stark zu sein.
Jedes Jahr an meinem Geburtstag nahm mich mein Vater mit in ein Waisenhaus und sagte:
— Schau dir diese Kinder an. Sie haben niemanden. Du kannst froh sein, eine Familie zu haben.
In diesen Momenten fühlte ich mich schuldig, als wäre meine Existenz eine Schuld, die ich zurückzahlen musste.
Als ich sechzehn wurde, beschloss ich, ihm gegenüberzutreten.
— Kann ich meine Adoptionspapiere sehen? — fragte ich beim Abendessen.
Ohne ein Wort stand er auf und kam mit einem Ordner zurück, der nur eine Seite enthielt: eine Adoptionsurkunde mit meinem Namen. Aber irgendetwas an diesem Papier überzeugte mich nicht.
Jahre später, als ich Matt traf, erzählte ich ihm alles. Er war derjenige, der mich ermutigte, die Wahrheit zu suchen. Also ging ich mit Herzklopfen ins Waisenhaus. Doch dort überbrachte mir eine freundliche Frau eine schockierende Nachricht: Es gab keine Aufzeichnungen über mich.
Verwirrt und am Boden zerstört konfrontierte ich meinen Vater. Als ich ihn danach fragte, verzog sich sein Gesicht zu Schuldgefühlen. Schließlich gestand er die Wahrheit: Ich war nicht adoptiert. Ich war die Tochter meiner Mutter, aber nicht seine. Meine Mutter hatte eine Affäre gehabt, und er, unfähig, mit dem Verrat umzugehen, hatte die Adoptionsgeschichte erfunden, um seinen Schmerz und seine Wut zu rechtfertigen.
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag. Alles, was ich dreißig Jahre lang geglaubt hatte, war eine Lüge, konstruiert, um eine Wunde zu verbergen, die nicht meine war.
Mit Tränen in den Augen und einem Kloß im Hals verließ ich das Haus. Jahrelang hatte ich nach Antworten auf meine Identität gesucht, aber nie hätte ich gedacht, dass die Wahrheit so bitter sein würde.